Wer hilft Putin aus der Klemme?Osteuropa-Forscher im Interview zum Ukraine-Krieg
Bonn – Joe Biden hat nach der Rede von Wladimir Putin zum 9. Mai den Eindruck formuliert, der russische Präsident wisse nicht mehr weiter – und er, Biden, wolle herausfinden, was dagegen zu tun sei. Weiß Putin wirklich nicht mehr weiter?
Andreas Heinemann-Grüder: Putin passt offenbar seine Kriegsziele an, auch wenn er sie noch nicht endgültig formuliert hat. Ich interpretiere seine Rede so, dass er die Ukraine nicht mehr abschaffen oder vollständig entmilitarisieren will. Er sprach vor allem vom Donbass, nicht mehr von der gesamten Ukraine. Grundsätzlich stimme ich Biden zu, dass Putin nicht richtig weiß, wie er aus der Situation herauskommt. Das alte Maximalziel ist nicht zu erreichen, und selbst beim Donbass fragt sich, wie er ihn kontrollieren will. Will er da eine chinesische Mauer bauen? Und der Krieg kommt ja auch ins eigene Land. Nicht nur Biden, sondern auch China sagt sich, je länger der Krieg dauert, desto stärker geschwächt geht Russland daraus hervor.
Haben die USA und China dann überhaupt ein Interesse, Putin aus der Klemme zu helfen?
Für die USA gilt: Nein. Bei ihnen kommt zur Solidarität mit der Ukraine auch die geostrategische Auseinandersetzung dazu: In Syrien, in Libyen, in anderen Ländern Afrikas haben die Russen Gegner der USA unterstützt und werden mit ihren privaten Militärfirmen in Ländern aktiv, in denen die USA Interessen haben. Die Chinesen sitzen zwischen Baum und Borke. Einerseits bindet der Konflikt amerikanisches Militär und amerikanisches Geld. Das kann dann nicht in Konflikten mit China eingesetzt werden. Andererseits machen sie sich große Sorgen um den Welthandel. Für sie ist unklar, ob es von Vorteil ist, wenn der Krieg andauert – oder ob die Kosten zu hoch sind.
Zur Person
Prof. Andreas Heinemann-Grüder arbeitet am Bonn International Centre for Conversion und lehrt als Honorarprofessor Politikwissenschaft an der Universität zu Bonn. Er ist Spezialist für Friedens- und Konfliktforschung und beschäftigt sich seit seinem Forschungsstudium in Moskau (1987/88) intensiv mit der Entwicklung osteuropäischer Länder. Zudem berät er das Auswärtige Amt bei ziviler Krisenprävention. (EB)
Nun ist das angegriffene Land die Ukraine. Auf was könnte sie sich denn überhaupt einlassen?
De facto hat die ukrainische Führung schon vor Kriegsbeginn die Krim und den damals russisch kontrollierten Donbass abgeschrieben. Alle wussten: Jenseits aller Rhetorik kriegen wir das nicht zurück, und wir wollen es eigentlich auch gar nicht, denn erstens ist die Wirtschaft dort verrottet, und zweitens haben die Bürger, die proukrainisch waren, diese Gebiete längst verlassen. Die übrigen kann man ja nicht in ein chinesisches Umerziehungslager stecken.
Aber diese Gebiete hatte Russland ja schon zuvor. Was könnte man Putin jetzt noch bieten?
Die Frage ist, ob sich die Ukraine damit anfreunden kann, dass Russland die Oblaste Donezk, Luhansk und Teile von Cherson kontrolliert. Einfach weil sie zu dem Schluss kommt, dass sie das nicht alles zurückerobern kann. Es wird eine neue Demarkationslinie geben. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat auch gesagt, im Gegenzug zu Sicherheitsgarantien könne sein Land auf die Nato-Mitgliedschaft verzichten.
Aber das mit den Sicherheitsgarantien ist ja schon einmal schiefgegangen, sonst hätten wir den Krieg nicht.
Richtig. Die Garantien können nur von einer Macht kommen, vor der die Russen Respekt haben und die nicht in der Nato ist. Eine Mission afrikanischer und asiatischer Staaten unter chinesischem Kommando, das würden die Ukrainer akzeptieren, denn sie wissen: Kein Russe traut sich, auf einen Chinesen zu schießen.
Warum sollte China so etwas tun?
Nun, die Ukraine ist Teil der chinesischen Seidenstraßen-Initiative, beim Wiederaufbau ist viel Geld zu verdienen. Die Chinesen werden da nicht uneigennützig sein, sondern Aufträge verlangen.
Und wie soll die Demarkationslinie gesichert werden?
Sinn hat das nur mit einer Pufferzone, in der keine schweren Waffen stationiert sein dürfen. Das muss auch robust durchgesetzt werden, denn sonst bekommen wir wie früher an den Grenzen der Rebellenrepubliken ständig Verletzungen des Waffenstillstandes mit Artillerie.
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Wann wären beide Seiten so weit, dass sie über so etwas mit sich reden ließen?
In dem Moment, wo beide keine Geländegewinne mehr machen. Wo beide mit dem Rücken zur Wand stehen. Im Augenblick hoffen die Ukrainer noch, die Russen mit westlichen Waffen zurückschlagen zu können. Bekämen andererseits die Russen den Eindruck, der westliche Nachschub für die Ukraine bliebe aus, hätten sie keinen Anlass zum Verhandeln. Es muss einen Verdun- oder Sedan-Moment geben. Beide müssen begreifen, dass die Kosten der Fortsetzung dieses Abnutzungskrieges zu hoch werden. Ich weiß nicht, wann das sein wird – wohl nicht mehr in diesem Jahr.
Die Anhänger von Alice Schwarzer werden jetzt sagen, das spreche doch gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Man müsse das unterlassen, um die Ukrainer zum Verhandeln zu bewegen.
Dann würden aber die Russen ermutigt, weiter vorzurücken. Wenn Putin erkennt, dass der Westen die Ukraine fallenlässt, wird er weiter vorrücken. Er hat dann gar kein Motiv für Kompromisse mehr. Alice Schwarzers Vorschlag läuft darauf hinaus, dass Putin seine Kriegsziele wieder eskalieren kann.(EB)