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Virologe Dittmer im InterviewNeue Corona-Welle im Winter sehr wahrscheinlich

Lesezeit 6 Minuten
Ulf Dittmersteht im Labor vor einer Maschine.

Ulf Dittmer, Leiter des Instituts für Virologie der Universitätsklinik Essen, bei der Durchführung eines PCR-Tests auf Sars-Cov-2.

Neue Corona-Untervarianten, Infektionen mitten im Sommer, Debatten über die Maskenpflicht: Im Rundschau-Interview sagt der Essener Virologe Ulf Dittmer, wie er die Lage sieht. Und wie stark eine neue Infektionswelle unser Gesundheitssystem belasten könnte.

Kehrt Covid-19 zurück?

Leider hat sich das Virus Sars-CoV-2 ständig verändert. Eigentlich ist es ja wie alle anderen Coronaviren ein saisonaler Erreger, es hat sich aber so angepasst, dass es sich auch im Sommer verbreitet. Das Virus war nie ganz verschwunden, aber wie in den Vorjahren haben wir dieses Jahr am Anfang des Sommers sehr wenige Infektionen gehabt. Wie auch in den Vorjahren haben wir jetzt eine Sommerwelle, keine sehr große, aber eine Sommerwelle.

Manche sagen: Das schlechte Wetter und die Kino-Straßenfeger Barbie und Oppenheimer waren die Auslöser.

Es ist schwer, das konkret festzumachen, meist haben wir eine Kombination von vielen Ursachen. Sicher ist es eine Gefahr, wenn viele Menschen dicht zusammen in Räumen sind. Insofern könnten solche Kino-Kassenschlager eine Rolle spielen. Dazu kommt aber, dass im Spätsommer bei einigen Leuten die Immunität wieder runtergeht: Wenn sich der Körper im letzten Winter mit so einem Erreger auseinandergesetzt hat oder man im Herbst geimpft wurde, sinkt die Immunität im Verlauf des Sommer schon wieder.

Die Datenlage ist nicht gut, weil nur noch wenig getestet wird. Wir sind ein wenig im Blindflug unterwegs.

Wissen wir überhaupt zuverlässig, wie stark Covid-19 zurzeit verbreitet wird? Es wird ja kaum mehr getestet.

Das stimmt. Die Datenlage ist nicht gut, weil nur noch wenig getestet wird. Wir sind ein wenig im Blindflug unterwegs. Und wenn es noch einmal dramatischer werden sollte, werden wir das erst bemerken, wenn die Fallzahlen in den Krankenhäusern stark steigen. Wir haben allerdings ein Instrument, die Überwachung des Abwassers in Städten. Wir können damit das Virus an sich nachweisen und auch die einzelnen Varianten, aber quantifizieren – es wird mehr oder weniger –, das ist im Abwasser nicht einfach.

Manchmal sieht man ja Kurven, die aus Abwasserwerten angeblich wahre Inzidenzen ableiten. Die taugen also nichts?

Das funktioniert einfach noch nicht. Für solche Rückrechnungen bräuchten wir weitere technische Verbesserungen.

Bei Influenza gibt es ein Monitoring-System mit Schwerpunktpraxen, die dann mit dem Robert Koch-Institut zusammenarbeiten. Brauchen wir das auch für Corona?

Genau solche Systeme sollten wir unbedingt ausweiten. Auf Covid-19 und auch auf RSV, das andere Virus, das uns im Winter umtreibt. Wir machen das übrigens im Universitätsklinikum Essen so, dass wir schon im Sommer alle Patienten, die mit Atemwegsbeschwerden in die Notaufnahme kommen, auf diese drei Viren testen. Und zwischen Oktober und Ostern weiten wir das Testprogramm aus: Alle in der Notaufnahme werden getestet, auch wer mit einem Beinbruch oder einem Herzinfarkt kommt. Damit erhalten wir Daten über die Häufigkeit der Erreger. Solche Monitoring-Stellen in Krankenhäusern und Arztpraxen brauchen wir unbedingt.

Wir haben bei der Omikron-Variante von Sars-Cov-2 noch keine Subvariante gesehen, die das Bild grundsätzlich verändert hätte.

Welche Bedeutung haben immer neue Subvarianten, etwa die neue Eris-Variante?

Wir haben bei der Omikron-Variante von Sars-CoV-2 noch keine Subvariante gesehen, die das Bild grundsätzlich verändert hätte. Es gab immer neue Varianten, die vor allem die Eigenschaft hatten, dem Immunsystem immer noch besser aus dem Weg zu gehen. Sie konnten dann Menschen ein zweites oder drittes Mal infizieren, obwohl sie noch Antikörper im Blut haben. Dadurch haben wir immer neue Infektionswellen gesehen, obwohl wir doch eigentlich eine Herdenimmunität haben. Aber noch keine dieser Omikron-Varianten hat die Lage in den Krankenhäusern grundsätzlich verändert, weil der Schutz vor schwerer Erkrankung durch die Herdenimmunität doch gut funktioniert.

Nun hat die Herdenimmunität ja in der Politik dazu geführt, dass man im Frühjahr die pandemische Lage für beendet erklärt hat und Covid-19 jetzt wie jede andere Atemwegsinfektion behandelt. War das richtig?

Doch, das war richtig. Die typischen schweren Covid-19-Verläufe, wie wir sie 2020, 2021, noch 2022 erlebt haben, sehen wir hier im Krankenhaus nur noch sehr selten. Und andererseits gibt es ähnlich schwere Verläufe ja auch bei Influenza und RSV. Einzelne Patienten trifft es leider sehr schwer, bis zur Lebensgefährdung. Da unterscheidet sich Sars-CoV-2 nicht mehr von anderen Atemwegsinfektionen. Es ist daher richtig, sie gleich zu behandeln.

Aber Covid-19 kann doch schwere langfristige Folgen haben mit zum Teil immer noch unklaren Wirkzusammenhängen. Gehört das nicht auch zur Risikobewertung?

Ja, aber solche Phänomene sind auch von Grippe, RSV oder Herpes-Infektionen bekannt. Nur hat sie bei diesen Viren niemand besonders benannt. Aber wir kennen das, chronische Leiden, die mit einer Virusinfektion assoziiert sind, auch wenn man den ursächlichen Zusammenhang nicht beschreiben kann. Das tritt bei Corona allerdings häufiger auf. Was bei Sars-CoV-2 eigentümlich ist: Das Virus kann auch Nervenzellen infizieren. Das kennen wir von Influenza und RSV so nicht. Aber prinzipiell, wenn auch in geringerem Ausmaß, gibt es Langzeit-Erkrankungen auch bei anderen Virusinfektionen.

Ich habe schon immer dafür plädiert, auch schon vor Corona, wenn eine starke Influenzawelle absehbar war, dass man zumindest im Krankenhaus im Winter Mund-Nasen-Schutz tragen müsste.

Sehen Sie denn die Gefahr, dass sich nochmals eine neue große Covid-19-Welle aufbaut, die unser Gesundheitssystem wieder an seine Grenzen bringt?

Eine neue Welle halte ich im Winter für sehr wahrscheinlich, und damit werden auch wieder mehr Menschen schwer erkranken, vor allem Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Dass aber unser gesamtes Gesundheitssystem gefährdet werden könnte – von Corona allein her sehe ich das nicht. Allerdings erlebt zum Beispiel Australien gerade eine heftige Grippewelle. In Kombination könnte das dazu führen, dass Krankenhäuser, salopp gesagt, wieder aus dem letzten Loch pfeifen. Damit ist das Gesundheitssystem noch nicht gefährdet, aber wir würden wieder eine extrem starke Belastung des Krankenhauspersonals erleben.

Wären da nicht elementare Schutzmaßnahmen wie Masken oder Tests im Gesundheitswesen sinnvoll?

Ich habe schon immer dafür plädiert, auch schon vor Corona, wenn eine starke Influenzawelle absehbar war, dass man zumindest im Krankenhaus im Winter Mund-Nasen-Schutz tragen müsste. Denn wir haben es hier mit vielen vorgeschädigten, oft auch immungeschwächten Patienten zu tun, die wir schützen müssen. Ich hoffe, wir holen die Masken im nächsten Winter wieder aus dem Schrank, wenn sich Infektionswellen abzeichnen. Es kann doch nicht sein, dass jemand sagt, ich habe keine Lust auf die Maske, und dann stirbt dadurch ein Patient. Und wenn die Masken nicht reichen und Covid-19 Zahlen weiter nach oben gehen, dann müssen wir auch an regelmäßige Tests denken.

Und wie sieht es bei Impfungen aus?

Wir alle sollten uns am Beispiel Influenza orientieren. Das gilt auch für den neuen Impfstoff gegen das RSV-Virus, der im Herbst auf den Markt kommt. Für wen eine Grippe-Impfung in Betracht kommt, der sollte auch an eine Immunisierung gegen Covid-19 und RSV denken. Also Angehörige von Risikogruppen, und ganz intensiv empfehle ich das für medizinisches Personal.

Das Impfen könnte einfacher werden, wenn es Kombinationsimpfstoffe gegen mehrere Erreger in einer Spritze gäbe. Oder sogar Nasensprays. Wo steht die Entwicklung?

Kombi-Impfstoffe werden getestet. Mit Sicherheit haben wir im übernächsten Winter eine Kombination gegen Grippe und Sars-CoV-2, möglicherweise sogar schon in diesem Winter, aber das wird knapp, das kann ich nicht absehen. Die Impfstoffe für das dritte Virus, das ja auch nicht ungefährlich ist, nämlich RSV, sind gerade erst zugelassen worden. Sicher wird man versuchen, das auch zu integrieren, idealerweise auch für den übernächsten Winter. Und bei den Nasen-Impfstoffen gibt es zwar sehr interessante Daten, es fehlt aber ein entscheidender Punkt. Wir wissen zwar, dass die Nasensprays kurzfristig einen sehr guten Schutz erzeugt, aber wir wissen noch nicht, wie lange dieser Schutz anhält.

Sollte man warten, bis die auf die neuen Varianten angepassten Impfstoffe auf dem Markt sind?

Ja, es macht absolut Sinn auf die angepassten Impfstoffe zu warten. Sie sollen ja auch sehr bald kommen. Das erhöht ziemlich sicher die Antikörperantwort gegen die zurzeit zirkulierenden Varianten und ist daher sinnvoll.