Ukrainische Luftangriffe auf russische Stellungen auf der Krim und in Südrussland: Was hat das mit „aktiver Verteidigung“ zu tun? Und wer steckt hinter einer „Kreml-Schnupftabakdose“?
Ukrainische Luftschläge auf der KrimAngeblich fünf hohe russische Offiziere getötet
Die „Kreml-Schnupftabakdose“ hatte am Freitag brisanten Inhalt zu bieten. „Kremlinskaja Tabakerka“ ist kein Museumsstück, sondern ein sogenannter Z-Kanal, also ein Auftritt nationalistischer Militärkreise auf der Plattform Telegram. Und beim Öffnen der „Tabakerka“ sahen die Nutzer seit 6.01 Uhr eine Nachricht über 23 getötete russische Soldaten auf der von Russland besetzten ukrainischen Halbinsel Krim, darunter fünf hohe Offiziere. Quelle: Informanten aus dem russischen Verteidigungsministerium und dem Generalstab.
Die offizielle russische Darstellung las sich ganz anders: Die Ukraine habe die Krim und die russische Region Krasnodar (mit dem Hafen Noworossijsk) in der Nacht zum Freitag mit zehn Raketen angegriffen, die man alle zerstört habe. Danach habe man 36 Drohnen abgefangen, das war offenbar die zweite Welle der ukrainischen Luftangriffe. Nach Angaben der „Schnupftabakdose“ hatten dagegen drei der zehn Raketen ihre Ziele erreicht.
Ukrainischer Luftwaffenchef dankt den Piloten
Bereits vor diesem russischen Bericht hatte die Ukraine ihren Angriff auf einen russischen Kommandoposten bei Sewastopol, der Hauptstadt der Krim, bestätigt. Die vom US-Auslandssender Radio Free Europe/Radio Liberty getragene Internetplattform Krym.Realii berichtet über eine ganze Serie von Explosionen an verschiedenen Orten der Krim und in Noworossijsk. Für Spekulationen ukrainischer Blogger, der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow höchstselbst sei bei den Angriffen zu Schaden gekommen, gibt es keinerlei Beleg. Dass die Ukrainer ihre Angriffe als erfolgreich sehen, zeigt ein Statement des ukrainischen Luftwaffenchefs Mykola Oleschtschuk, der seinen Piloten für den erfolgreichen Einsatz dankte, an frühere russische Behauptungen über die angebliche Zerstörung eines Bunkers mit zehn ukrainischen Generälen erinnerte und erklärte, nun erwarte er aus Moskau eine ähnlich epische Schilderung der ukrainischen Luftschläge auf Sewastopol und Jewpatorija.
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Auch im neuen Jahr, das zeigt sich, steht die Krim im Fokus der ukrainischen Gegenwehr gegen die russische Aggression. Das entspricht früheren Äußerungen von Präsident Wolodymyr Selenskyj, der die militärische Neutralisierung der Halbinsel zum Ziel seiner Streitkräfte erklärt hatte. Der ukrainische Analyst Mykola Bielieskow hat erst am Donnerstag einen Aufsatz über die „aktive Defensive“ veröffentlicht, die die Ukraine betreiben müsse: Statt großer Bodenoffensiven empfiehlt er eine Abnutzungsstrategie gegen die Angreifer verbunden mit gezielten Angriffen – speziell auf die Krim. Durch solche Angriffe hat es die Ukraine geschafft, die russische Schwarzmeerflotte so weit zurückzudrängen, dass sie Getreidetransporte per Schiff nicht mehr blockieren kann. Die Ukraine hat die russische Luftabwehr auf der Krim massiv geschwächt, und sie erschwert Russland die Nutzung der Halbinsel als Logistikdrehscheibe. Das Landungsboot „Nowotscherkassk“, das Munition von Nopworossisjk zum Krim-Hafen Feodosija gebracht hatte, wurde samt Ladung Ende Dezember durch einen ukrainischen Luftschlag zerstört, dabei wurden auch die Hafenanlagen beschädigt. Jeder Luftalarm bei Kertsch – so auch wieder am Freitagmorgen – führt zur vorübergehenden Sperrung der für den russischen Nachschub so wichtigen Brücke.
US-Hilfe wird nachlassen
Die Ukraine setzt also auf eine Erosion der russischen Streitkräfte bei möglichst geringen eigenen Verlusten – eine Form des Abwehrkampfes, die wohl das ganze Jahr 2024 prägen wird. Zumal das US-Außenministerium gerade angekündigt hat, die Hilfe für die Ukraine werde nicht wieder das Niveau der letzten Jahre erreichen. Umso mehr muss die Ukraine mit ihren Mitteln haushalten.
Für die „Schnupftabakdose“ könnte das ukrainische Vorgehen immer neuen unbekömmlichen Stoff ergeben. Der kuriose Titel hat eine Vorgeschichte: Vorläuferkanal „Kreml-Wäscherei“, der sich erklärtermaßen um schmutzige Wäsche kümmern wollte, wurde im Sommer 2023 verboten. Daher nun die „Tabakerka“.