Hohe Inflation ist das größte Problem: Am 14. Mai stimmen die Türken nicht nur über einen neuen Präsidenten ab – sondern über ein weitreichendes Machtsystem.
HintergrundWas man jetzt zur Wahl in der Türkei wissen muss
Türken im Ausland durften bereits ihr Stimme abgeben, am 14. Mai folgen dann auch die Bürger in der Türkei selbst. Für Staatschef Recep Tayyip Erdogan hängt viel von der Wahl ab. Zuletzt zeigte er sich gesundheitlich angeschlagen und musste im Wahlkampf pausieren. Die wichtigsten Eckdaten zu der möglicherweise entscheidenden Abstimmung.
Wann finden die Wahlen statt, wer darf wählen, was wird gewählt?
In der Türkei müssen die Wahlen für das Amt des Staatschefs und für die 600 Sitze im Parlament spätestens alle fünf Jahre am selben Tag stattfinden. Erdogan hat den Wahltermin im Juni auf Mai vorgezogen, weil im Juni die Sommerferien beginnen. Die Parlamentswahl und die erste Runde der Präsidentschaftswahl finden am 14. Mai statt; erreicht kein Präsidentschaftskandidat an diesem Tag mehr als 50 Prozent der Stimmen, folgt am 28. Mai eine Stichwahl zwischen den zwei Bestplazierten. Wahlberechtigt sind rund 64 Millionen Türken über 18 Jahre; drei Millionen davon leben im Ausland, die Hälfte von ihnen in Deutschland. Die Wahlbeteiligung ist in der Türkei traditionell sehr hoch und könnte diesmal 90 Prozent erreichen.
Wer sind die Kandidaten für die Präsidentschaftswahl?
Der 69-jährige Erdogan bewirbt sich um eine dritte Amtszeit als Präsident. Die derzeitige Verfassung, die 2018 in Kraft trat, sieht zwar höchstens zwei Amtsperioden von jeweils fünf Jahren für den Präsidenten vor, doch Erdogan und die Wahlkommission argumentieren, dass seine erste Amtszeit von 2014 bis 2018 unter die alte Verfassung fiel und deshalb nicht zählt. Wichtigster Herausforderer Erdogans ist Kemal Kilicdaroglu (74), der von einem Bündnis aus sechs Oppositionsparteien sowie der prokurdischen Grünen-und-Linkspartei unterstützt wird. Daneben bewerben sich noch der Linkspopulist Muharrem Ince (58) und der Rechtsnationalist Sinan Ogan (55) um das höchste Staatsamt. Ince und Ogan haben keine Chance auf einen Sieg, machen mit ihrem Wähleranteil aber eine Stichwahl zwischen Erdogan und Kilicdaroglu wahrscheinlicher.
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Welche Befugnisse hat der Präsident?
Das Präsidialsystem, das Erdogan vor sechs Jahren per Volksabstimmung durchsetzte, gibt dem Staatschef weitreichende Machtbefugnisse und schwächt die Kontrollrechte des Parlaments. Erdogan ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und kontrolliert direkt oder indirekt die komplette Bürokratie und die Justiz. Kilicdaroglu verspricht, das Präsidialsystem abzuschaffen und zur parlamentarischen Demokratie zurückzukehren.
Was sind derzeit die wichtigsten Themen?
Für die Wähler ist die schlechte Wirtschaftslage mit einer Inflation von offiziell über 50 Prozent und einem starken Wertverfall der Lira laut Umfragen das wichtigste Problem. Die Opposition macht Erdogan für die Misere verantwortlich, während die Regierung auf weltweite Probleme wie den Anstieg der Energiepreise verweist und versucht, die Lage mit staatlichen Hilfsprogrammen zu entschärfen. Ein weiteres wichtiges Wahlkampfthema ist die Bewältigung der Erdbebenkatastrophe. Erdogan setzt auf einen raschen Wiederaufbau der zerstörten Region, während die Opposition der Regierung eine verfehlte Baupolitik und Korruption vorwirft. Die Opposition kritisiert zudem, dass Erdogan mehr als drei Millionen syrische Flüchtlinge ins Land gelassen hat, und verspricht eine Rückführung der Flüchtlinge nach Syrien innerhalb von zwei Jahren.
Wie sieht der Wahlkampf aus?
Türkische Politiker reisen durchs Land und absolvieren manchmal mehrere Kundgebungen am Tag. Erdogan war zuletzt von seinem Programm so erschöpft, dass er während einer Live-Sendung im Fernsehen einen Schwächeanfall erlitt und Wahlkampftermine absagen musste. Fernsehinterviews mit regierungsnahen Sendern bilden ebenfalls einen wichtigen Bestandteil von Erdogans Wahlkampf. Kilicdaroglu setzt neben öffentlichen Auftritten vor allem auf Video-Botschaften in den sozialen Medien. Er ist dazu gezwungen, weil die meisten herkömmlichen Medien und auch der staatliche Fernsehsender TRT auf Erdogans Seite stehen und die Opposition größtenteils ignorieren. Internationale Wahlbeobachter kritisieren dieses Ungleichgewicht.
Was sagen die Umfragen über einen möglichen Wahlausgang?
In den meisten Befragungen liegt Kilicdaroglu vor Erdogan, erreicht aber nur in wenigen Umfragen ein Ergebnis von mehr als 50 Prozent, das für einen Sieg in der ersten Runde nötig wäre. Bei der Parlamentswahl zeichnet sich ab, dass Erdogans Partei AKP zwar stärkste politische Kraft bleiben wird. Die AKP und ihre rechtsnationale Partnerin MHP werden den Umfragen zufolge aber ihre Mehrheit in der Volksvertretung verlieren. Kilicdaroglus Oppositionsbündnis könnte demnach mit Unterstützung der prokurdischen Grünen-Links-Partei und kleinerer Linksparteien neue Gesetze beschließen und wichtige Ämter etwa in der Medienaufsicht besetzen. Falls Erdogan das Präsidentenamt behält, dürfte dies zu einem Dauerkonflikt führen, der Neuwahlen auslösen könnte.
Welche Parteien treten in der Türkei an?
Insgesamt bewerben sich 36 Parteien um Sitze im Parlament – der Wahlzettel für den 14. Mai ist deshalb einen Meter lang. Weil viele Parteien unter der Sieben-Prozent-Hürde für den Parlamentseinzug bleiben würden, haben sie Allianzen mit größeren Parteien gebildet. Erdogans AKP und die MHP führen eines dieser Bündnisse mit kleinen rechten und islamistischen Parteien, Kilicdaroglus CHP und die rechtskonservative IYI-Partei haben sich mit vier weiteren Parteien zur Oppositionsallianz zusammengetan. Die Grünen-Links-Partei formt mit kleineren Linksparteien einen dritten Block.
Wie könnte sich die Wahl auf das Verhältnis zu Europa auswirken?
Wenn Erdogan an der Macht bleibt, dürfte er seine Vision von einer türkischen Großmacht weiter vorantreiben. Allerdings braucht die Türkei wegen ihrer schweren Wirtschaftsprobleme die Hilfe ihrer wichtigsten Handelspartner – also der europäischen Staaten. Deshalb wird er wahrscheinlich versuchen, neue Spannungen mit der EU zu vermeiden. Die Opposition kündigt für den Fall einer Machtübernahme ohnehin eine pro-europäischere Außenpolitik und eine Wiederbelebung der türkischen EU-Bewerbung an. Allerdings will die Opposition auch das Flüchtlingsabkommen mit Europa auf den Prüfstand stellen.