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Türkischer PräsidentErdogan droht EU mit Abbruch der Gespräche

Lesezeit 4 Minuten
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisiert den Bericht des Europaparlaments. Die Beitrittsverhandlungen sind ins Stocken geraten.

Kritik aus Europa zurückzuweisen, hat Tradition in der Türkei. Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan jetzt auf einen Bericht des EU-Parlaments über die Zustände in seinem Land reagierte, ging er aber einen Schritt weiter als bisher. Die EU wolle einen Bruch mit der Türkei provozieren, sagte der Staatspräsident. Seine Regierung werde ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen. „Wenn nötig, gehen wir und die EU getrennte Wege.“

Offiziell redet die Türkei seit 18 Jahren mit der EU über einen Beitritt. Die Verhandlungen kamen aber nie sehr weit, weil der ungelöste Zypern-Konflikt, der Widerwillen gegen die Türkei in der EU und der Demokratie-Abbau in Ankara nennenswerte Fortschritte verhinderten; seit einigen Jahren herrscht vollständiger Stillstand. Keine der beiden Seiten wollte bisher diejenige sein, die den Verhandlungsprozess für beendet erklärt. Erdogan hatte seit einiger Zeit sogar signalisiert, die Beziehungen zur EU wieder neu beleben zu wollen, auch um westliche Investoren für die krisengeschüttelte türkische Wirtschaft zu gewinnen.

Erdogan will Reisefreiheit

Bewegt hat sich nichts. Erdogan verlangt von der EU vor allem Reisefreiheit für Türken in Europa und eine Ausweitung der Zollunion, was der türkischen Wirtschaft helfen würde. Brüssel fordert, Erdogan solle die drakonischen türkischen Terror-Gesetze entschärfen und politische Häftlinge wie den Kunst-Mäzen Osman Kavala freilassen, was der türkische Präsident ablehnt. Die Europäer sind auch besorgt wegen der steigenden Zahl türkischer Asylbewerber, die wegen der Repression und der schlechten Wirtschaftslage in die EU fliehen. In Deutschland haben von Januar bis August knapp 29000 Türken um Asyl gebeten; das sind mehr als im gesamten vergangenen Jahr.

Das EU-Parlament erklärte vorige Woche in einem Bericht zur Türkei, ohne drastische Kursänderung in Ankara könnten die Beitrittsverhandlungen nicht wiederbelebt werden. Von der Türkei werde als Beitrittsbewerberin erwartet, „dass sie die Werte der Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte achtet und das Unionsrecht einhält“. Weil das nicht der Fall sei, solle die EU „einen parallelen und realistischen Rahmen“ außerhalb des Beitrittsprozesses finden. Der Türkei-Berichterstatter des EU-Parlaments, der Spanier Nacho Sanchez Amor, sprach von einer „anhaltenden und offenkundigen Missachtung der türkischen Behörden, was die notwendige Einhaltung von demokratischen Werten, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und die Angleichung an die in der EU geltenden Gesetze, Grundsätze und Verpflichtungen angeht“.

Erdogans Argument: Bedrohung durch Terrorgruppen

Erdogans Regierung begründet Einschränkungen der Meinungsfreiheit und anderer Grundrechte mit einer Bedrohung durch terroristische Gruppen und beklagt, Europa beschütze türkische Staatsfeinde. Die Türkei blockiert seit mehr als einem Jahr den Nato-Beitritt von Schweden, weil dort Anhänger der kurdischen Terrorgruppe PKK ungestraft aktiv sein könnten.

Erdogan dürfte seine Äußerung über „getrennte Wege“ von Türkei und EU zumindest teilweise an das heimische Publikum gerichtet haben. Der Präsident schlägt mit Blick auf die Kommunalwahlen im März, bei denen er mit seiner Partei AKP die Großstädte Istanbul und Ankara von der Opposition zurückerobern will, auch bei anderen Themen wieder verstärkt nationalistische Töne an.

Solange die Türkei von Erdogan und der AKP regiert werde, sei es unwahrscheinlich, dass sich da Land auf die EU zubewege, meint der Oppositionspolitiker Namik Tan, ein früherer türkischer Diplomat. Dass Erdogan den vollständigen Bruch mit der EU riskieren werde, glaube er aber nicht, sagte Tan der türkischen Nachrichtenplattform T24.

Viele Türkei-Skeptiker in Europa würden ein Ende der Beitrittsverhandlungen mit Ankara begrüßen. Allerdings würde Europa ohne Beitrittsprozess den letzten Rest an Einfluss auf die Türkei verlieren. In der Flüchtlingsfrage, bei der die Türkei am längeren Hebel sitzt, könnte das der EU neue Probleme einbringen. Schon vor drei Jahren hatte Erdogan Zehntausende Flüchtlinge an die Landgrenze der Türkei mit Griechenland geschickt, um die EU unter Druck zu setzen. Auch hat er mehrmals damit gedroht, das Flüchtlingsabkommen mit der EU aus dem Jahr 2016 aufzukündigen.

Vor dem faktischen Stopp der Beitrittsverhandlungen sei Europa im türkisch-europäischen Verhältnis der stärkere Partner gewesen, schreiben die Türkei-Experten Günter Seufert und Christopher Kubaseck in ihrem jetzt erschienenen Buch „Abschied von Atatürk: Die Krisen und Konflikte der Neuen Türkei“. Ohne den Druck der Beitrittsgespräche sei nun aber eine gegenseitige Abhängigkeit entstanden, „in der es oft den Anschein hat, Ankara könne in zentralen Bereichen mehr Druck auf die EU ausüben als umgekehrt“.