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Rundschau-Debatte des TagesWird Syriens Machthaber Assad wieder salonfähig?

Lesezeit 4 Minuten
Ein vom Kreml am 14.09.2021 zur Verfügung gestelltes Bild zeigt Wladimir Putin (r), Präsident von Russland, bei einem Treffen mit Baschar al-Assad, Präsident von Syrien, im Kreml.

Rückkehr auf die Weltbühne: Nicht nur Wladimir Putin pflegt Kontakte zu Baschar al-Assad.

Vor zehn Jahren kamen die ersten Syrer nach Deutschland – inzwischen gibt es immer mehr Pläne für ihre Rückkehr in die Heimat. Ein türkischer Migrationsforscher empfiehlt der EU, mit Machthaber Assad zu verhandeln.

„Sie sind jetzt in Sicherheit“, sagte Hans-Peter Friedrich. Der damalige Bundesinnenminister begrüßte am 11. September 2013 in Hannover 107 Syrer, die per Flugzeug aus Beirut angekommen waren – die ersten syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge, die Deutschland offiziell aufnahm. Zehn Jahre später leben mehr als 900.000 Syrer in der Bundesrepublik, in der Türkei sind es mehr als drei Millionen. Insgesamt sind 5,4 Millionen Syrer aus dem Bürgerkriegsland geflohen. Werden sie jemals zurückkehren?

Wie ist die Perspektive für Syrer in anderen Ländern?

Die Frage der Rückkehr syrischer Flüchtlinge ist inzwischen zum Politikum geworden. In Deutschland plädiert die AfD für ein Abkommen mit der syrischen Regierung, um die Flüchtlinge nach Hause schicken zu können. Dänemark erlaubt die Abschiebung syrischer Flüchtlinge in einige Regionen des Bürgerkriegslandes. Die Slowakei schickt 500 Soldaten an die Grenze zu Ungarn, um syrische Flüchtlinge abzufangen, die aus dem Nachbarland kommen. In der Türkei verspricht Präsident Recep Tayyip Erdogan, er werde eine Million Syrer mit dem Bau neuer Siedlungen in türkisch besetzten Gebieten Syriens zur freiwilligen Rückkehr ermuntern. Der Libanon will jeden Monat 15000 Syrer nach Hause schicken. Menschenrechtler werfen der Türkei und dem Libanon vor, Flüchtlinge gegen ihren Willen zu deportieren.

Wollen die Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren?

Freiwillig geht bisher kaum jemand. In einer Umfrage des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR sagten 93 Prozent der befragten Syrer im Ausland, für sie komme eine Heimkehr in den nächsten zwölf Monaten nicht infrage. Für alle Zeiten ausgeschlossen ist dies für viele aber nicht: Jeder dritte Umfrageteilnehmer äußerte die Hoffnung auf eine Rückkehr in den nächsten fünf Jahren, 58 Prozent wollen irgendwann wieder nach Hause. Präsident Baschar al-Assad sagte vor Kurzem, seine Regierung verhandele mit den UN bereits über „Projekte für die Rückkehr“.

Lässt die Situation in Syrien eine Rückkehr zu?

Eine Heimkehr von Zehntausenden oder Hunderttausenden Syrern wäre nur realistisch, wenn im kriegszerstörten Syrien eine neue Infrastruktur mit Schulen, Krankenhäusern und Straßen, neue Arbeitsplätze und eine neue politische Ordnung ohne Assads Zwangsherrschaft aufgebaut würden. In absehbarer Zeit dürfte sich keine dieser Voraussetzungen erfüllen. Murat Erdogan, Leiter des Zentrums für Migrationsforschung Mügam an der Universität Ankara und einer der führenden Experten für syrische Flüchtlinge, glaubt nicht an eine Rückkehr der Geflohenen in ihre Heimat. „Das funktioniert nicht“, sagte der Forscher unserer Redaktion. „Das ist zu spät. Die haben ein neues Leben.“ Statt auf die Rückkehr der Syrer zu hoffen, sollten die Aufnahmeländer darüber nachdenken, wie neue Fluchtwellen verhindert werden können. Schließlich sind sieben Millionen Syrer im eigenen Land heimatlos. Sollte es etwa eine neue Krise in der Rebellenprovinz Idlib geben, würden sich Millionen Menschen auf den Weg zur türkischen Grenze machen, so die Prognose des Experten. „Dann wird die Türkei einen Korridor für Flüchtlinge von der syrischen Grenze bis nach Edirne“ an der Landgrenze zur EU einrichten, meint Murat Erdogan.

Wie könnten sich weitere Fluchtwellen verhindern lassen?

Als Mittel gegen neue Fluchtwellen empfiehlt der Experte einen Tabubruch: eine Zusammenarbeit mit Assad. Arabische Nachbarländer von Syrien arbeiten bereits an einer Normalisierung der Beziehungen. Auch die Türkei strebt Gespräche mit Damaskus an, um eine Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen. Er verstehe die Argumente der Europäer gegen eine Zusammenarbeit mit dem Diktator, sagt Murat Erdogan. Auch er sei kein Freund von Assad. „Aber Syrien ist eine tickende Bombe, die jederzeit wieder explodieren kann. Und nach mehr als zwölf Jahren ist Assad immer noch da.“ Europa arbeite schließlich auch mit anderen autokratischen Regimen zusammen. Geld für den Wiederaufbau in Syrien wäre aus seiner Sicht „eine strategische Investition für Europa“.

Wie könnte eine Kooperation mit Assad aussehen?

Gemeinsam sollten die EU, die Türkei und die syrische Regierung nach Vorstellungen des Migrationsforschers mit europäischen Geldern in allen Teilen Syriens an den Wiederaufbau gehen, um Syrern in Syrien einen Grund zu geben, in ihrem Land zu bleiben. Zwar würden sich selbst bei einem erfolgreichen Wiederaufbau nur relativ wenige Syrer in Deutschland oder anderen Länder für eine Rückkehr entscheiden, sagt Murat Erdogan. Doch sein Vorschlag könne immerhin die Flucht von weiteren Millionen Menschen in die Türkei und nach Europa verhindern. Schon im Flüchtlingsabkommen von 2016 hatten EU und Türkei verabredet, „die humanitären Bedingungen in Syrien zu verbessern“.

Wie stehen westliche Staaten zu einer Zusammenarbeit?

Die Diskussion, ob und wie der Westen mit Assad kooperieren sollte, steht erst am Anfang. Die USA und die EU bestehen nicht mehr ausdrücklich auf einem Rücktritt des Diktators als Voraussetzung für eine Normalisierung. EU-Staaten wie Griechenland, Ungarn und Zypern halten Kontakt mit dem Assad-Regime. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) fordert aber, dass „jeder Schritt in Richtung Assad“ von konkreten Zugeständnissen des Regimes abhängig gemacht werden sollte. Die US-Regierung äußerte sich ähnlich.

Bisher sieht Assad keinen Grund für Kompromisse. Er hat den Krieg gegen die Rebellen militärisch gewonnen, die UN-Verhandlungen über politische Reformen torpediert – und wird trotzdem von seinen arabischen Nachbarn umworben. Die meisten syrischen Flüchtlinge im Ausland dürften deshalb erst einmal bleiben, wo sie sind. Die Türkei hat bereits 200.000 Syrer eingebürgert, in Deutschland waren es allein im vergangenen Jahr rund 50.000.