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Wo Schmuggel Staatsraison istWie es zur Eskalation in Transnistrien kommen konnte

Lesezeit 4 Minuten
Moldau, Tiraspol: Russische und transnistrische Flaggen wehen vor einem Gebäude. Die prorussischen Machthaber der abtrünnigen Region Transnistrien in der Republik Moldau haben Medienberichten zufolge Russland um «Schutz» gebeten.

Hauptstadt eines international nicht anerkannten Staates: In Tiraspol weht eine Fahne der selbsternannten Republik Transnistrien neben der russischen.

Droht zusätzlich zum russischen Krieg gegen die Ukraine ein weiterer Konflikt? Die Pseudo-Republik Transnistrien hat Moskau um Schutz gebeten: Wie das Ende eines bizarren Geschäftsmodells zur politischen Eskalation führt.

Russland hat der abtrünnigen moldawischen Region Transnistrien zwar „Schutz“ versprochen, aber Präsident Wladimir Putin hat in seiner Rede zur Lage der Nation nichts zu dem Thema gesagt. Warum nicht, wo der Konflikt doch zumindest verbal eskaliert?

Welche Rolle spielt Transnistrien in Moldawien?

Etwa ein Siebtel der 2,5 Millionen Einwohner der Republik Moldau oder Moldawien wohnt in Transnistrien. Diese Bezeichnung meint das Gebiet jenseits, also östlich des Flusses Dnister (russisch Dnjestr), der Moldawien durchströmt und dann auf ukrainischem Gebiet ins Schwarze Meer mündet. Moldawien, Rest eines alten Fürstentums, gehörte im 19. Jahrhundert zu Russland, nach dem Ersten Weltkrieg zu Rumänien, nach dem Zweiten zur Sowjetunion – bis zu deren Auflösung 1991. Als Folge der russischen Kolonisierung und der sowjetischen Nationalitätenpolitik gibt es in Transnistrien eine starke russische Minderheit von schon 2004 etwa 30 Prozent. In ganz Moldawien ist Rumänisch Amtssprache, in Transnistrien genießen aber auch Russisch und Ukrainisch diesen Status. Die Region grenzt im Osten an die Ukraine.

Was ist die Wurzel des Konflikts?

Angehörige der russischen Minderheit begannen schon 1990, also noch zu Sowjetzeiten, mit dem Aufbau eines eigenen Pseudostaats, Fläche: etwa das Anderthalbfache von Luxemburg. 1992 kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit Hunderten Toten zwischen von Russland unterstützten irregulären transnistrischen Einheiten und den Streitkräften der Zentralregierung. Seither ist die russische Armee dort stationiert – nach Angaben von n-tv-Korrespondent Denis Trubetskoy mit nominell 1700 Soldaten, von denen viele aber transnistrischer Herkunft sind. Hinzu kommen rund 7500 eigene transnistrische Soldaten. Die Herrschaft der moskautreuen Führung unter „Präsident“ Wadim Krasnoselski und seinen Vorgängern hat zu einem dramatischen Bevölkerungsverlust geführt: 1989 lebten 700 000 Menschen in Transnistrien, heute ist es noch die Hälfte. Moldawien aber hat sich längst auf den Weg Richtung EU-Mitgliedschaft gemacht.

Warum die aktuelle Eskalation?

Schon 2006 hatte die transnistrische Führung per Referendum einen Beitritt zur Russischen Föderation beschließen lassen. Moskau ließ dies unbeantwortet – wohlweislich, wie sich zeigen wird. Am Mittwoch ersuchte Transnistrien Moskau nun um „Schutz“. Hintergrund damals wie heute: ein Zollstreit. Große Teile der transnistrischen Wirtschaft werden durch den Konzern „Sheriff“ des ehemaligen KGB-Agenten Wiktor Guschan kontrolliert. Von Öl bis Kaviar gibt es kaum ein Geschäft, in dem er nicht aktiv ist. Auch der Real-Madrid-Bezwinger Sheriff Tiraspol gehört ihm. Reich geworden ist Guschan durch Zigarettenschmuggel – und ohne Schmuggel, Geldwäsche und Schleusungen könnte der „Staat“ Transnistrien nicht überleben. Der Hafen Odessa liegt nur 60 Kilometer von der Grenze entfernt, von Transnistrien aus steht der Weg über Moldawien in die EU offen.

Solche Geschäfte setzen gute Beziehungen nicht nur nach Moskau, sondern auch nach Kiew und zumindest erträgliche in die moldawische Hauptstadt Chisinau voraus. Die allerdings haben gelitten. 2006 und erneut zum Jahresbeginn 2024 hat Moldawien versucht, dem Schmuggel durch Zölle Einhalt zu gebieten. Seit Januar müssen alle (angeblich) in Transnistrien hergestellten Waren in Moldawien verzollt werden. Auch der von den russischen Freunden Transnistriens geführte Krieg gegen die Ukraine stellt das bisherige Geschäftsmodell in Frage: Kiew hat die Grenze zu der russisch dominierten Region geschlossen.

Wird Russland jetzt intervenieren?

Auch wenn die Schutzbitte fatal an das im Donbass abgespielte Drehbuch erinnert: Putin schweigt aus gutem Grund. Eigentlich ist die bisherige Lage für ihn nämlich bequem. Das Zündeln in Transnistrien lässt Moldawien nicht zur Ruhe kommen, und Putin kann in Ruhe versuchen, dort einen Umsturz zu inszenieren. Zugleich sind ukrainische Truppen durch die russische Präsenz an der Grenze zu Transnistrien gebunden.

Aber eine Militärintervention? Da es weder einen Zugang zum offenen Meer noch eine Landverbindung nach Russland gibt, wäre der Nachschub nicht zu organisieren.

So war die Lage schon 2006, und jetzt hat die Ukraine die russische Schwarzmeerflotte dermaßen dezimiert, dass ein Landemanöver an der – wie gesagt ukrainischen – Dnister-Mündung, um dort einen Brückenkopf für eine Transnistrien-Offensive zu schaffen, ausgeschlossen erscheint. Deshalb wäre es für Putin auch schwerlich möglich, von Transnistrien aus eine zweite Front im Krieg gegen die Ukraine zu eröffnen. So zieht Putin es wohl vor, die Temperatur langsam zu erhöhen.

Anders sähe es aus, wenn Russland Odessa und damit eine Landverbindung nach Transnistrien hätte erobern können. Dann könnte Moskau auch das moldawische Kernland bedrohen. Für Moldawien heikel wäre es auch, wenn der Ukraine-Krieg eines Tages nach dem Muster der Minsker Abkommen von 2014/15 „eingefroren“ würde: Dann stünde der Bosporus wieder für Kriegsschiffe offen, Russland könnte die Schwarzmeerflotte verstärken – und später einen Anlass für einen Angriff auf Odessa, die Dnister-Mündung und Moldawien suchen. Das wäre nur durch westliche Garantien auszuschließen, die einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nahekämen. Auch die Sicherheit Moldawiens hinge davon ab.