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Schwierige Aufgabe im Ukraine-KriegWie man Kriegsverbrechern habhaft werden kann

Lesezeit 4 Minuten

Ein ukrainischer Soldat kämpft in Anbetracht der Trümmer in Butscha mit den Tränen. 

  1. Die Vertuschung von Kriegsverbrechen scheint kaum noch möglich.
  2. Neben Zeugenaussagen und forensischen Untersuchungen liefern Satellitenbilder und soziale Medien Beweise.
  3. Verantwortlichen habhaft zu werden bleibt schwer.

Auf das Entsetzen folgen die Ermittlungen: Internationale Experten sollen nun Beweise für die in der ukrainischen Stadt Butscha an Zivilisten verübten Gräueltaten sichern. Alle Leichen sollten exhumiert, identifiziert und untersucht werden, forderte die UN-Menschenrechtschefin Michelle Bachelet. Die EU will zur Aufklärung mutmaßlicher russischer Kriegsverbrechen Ermittlungsteams in die Ukraine schicken.

Zeugenaussagen und Satellitenaufnahmen helfen bei der Aufklärung

Dabei hat sich das Instrumentarium für die Sicherung von Beweisen in den vergangenen Jahren erweitert. Zu den Aussagen von Zeugen und der Untersuchung der Opfer sind – anders als früher – Satellitenaufnahmen als Standardverfahren und eine umfangreiche Sammlung von Daten aus sozialen Medien gekommen. Es steht nicht mehr Wort gegen Wort, sondern Behauptungen müssen vor der Datenlage bestehen – und können leichter entlarvt werden. So widerlegen Videos und Satellitenbilder aus Butscha nach Darstellung der „New York Times“ schon jetzt Moskauer Behauptungen, dass Leichen getöteter Zivilisten erst nach dem Abzug des russischen Militärs platziert worden seien. Die „FAZ“ und ukrainische Medien fanden laut einem Tweet Spuren von eingesetzten russischen Einheiten, darunter Aufnäher und Packdokumente bei einer Munitionskiste, die das 234. Luftlande-Regiment benennen.

Mehr als 7000 Meldungen kommen aus Borodjanka

Es gibt einen juristischen Instrumentenkasten, mit dem Vorgesetzte und Machthaber ohne unmittelbare Beteiligung, aber aufgrund ihrer Befehlsverantwortung verurteilt werden können, wenn sie von Verstößen wussten oder hätten wissen müssen – und Kriegsverbrechen nicht stoppten oder bestraften. Die meisten Meldungen über russische Kriegsverbrechen sammelte die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft allerdings woanders – nämlich in der Stadt Borodjanka. Mehr als 7000 Meldungen über solche Verbrechen seien bislang registriert worden, erklärte Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa der Agentur „Unian“ zufolge. „Ich denke, wir werden gesondert über Borodjanka sprechen“, sagte sie demnach. Die Generalstaatsanwaltschaft arbeitet den Angaben nach bereits an der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen in Irpin, Butscha und Worsel.

Butscha Trümmer

Ukrainische Soldaten inspizieren die Trümmer einer zerstörten russischen Panzerkolonne auf einer Straße in Butscha. 

Strafgerichtshof in Den Haag leitete schon 30 Verfahren ein

Pionierarbeit bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen hat das UN-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien (ICTY) geleistet. Es war nach den Balkankriegen in den 1990er-Jahren von den UN in Den Haag 1993 eingesetzt worden. Es folgten weitere Tribunale etwa zu Ruanda, Sierra Leone oder dem Kosovo. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag als Weltstrafgericht nahm dann 2002 seine Arbeit auf und leitete bisher 30 Verfahren ein. Erst zehn Angeklagte wurden verurteilt. Zum Vergleich: das Jugoslawien-Tribunal klagte in etwa 20 Jahren 161 Personen an und verurteilte 90.

Für Verbrechen wie in Butscha ist der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zuständig. Es hat ein Mandat für die Ukraine, auch wenn Russland es nicht anerkennt. Das Weltstrafgericht will gerade die Täter verfolgen, die politisch und militärisch verantwortlich sind. Staats- und Regierungschefs genießen keine Immunität.

Expertise kostet: Sondermittel werden jetzt benötigt

Ein Hauptproblem des Weltstrafgerichts bei den Ermittlungen in der Ukraine ist aber: Es fehlen Geld und Fachkräfte. Chefankläger Karim Khan forderte die Vertragsstaaten auf, Sondermittel und auch Experten zur Verfügung zu stellen. Einige Staaten wie Großbritannien sagten dies zu. Entscheidend ist, dass Beweise so früh wie möglich sichergestellt werden, selbst wenn die Kämpfe noch andauern. Massengräber müssen unter Umständen wieder geöffnet werden, Leichen identifiziert und wenn möglich obduziert werden. Es muss deutlich sein, dass es sich um wehrlose Bürger handelte. Munitionsreste, Fotos, Videos, Satellitenaufnahmen können wichtige Beweise sein. Entscheidend sind sicher die Aussagen von Augenzeugen. An den Ermittlungen sollten nicht nur Polizeiexperten beteiligt sein, sondern auch militärische und politische Analytiker, Finanzfahnder, Forensiker, Historiker und ganz wichtig: Internetexperten. Sie können etwa nachweisen, ob ein Foto manipuliert wurde.

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Dabei bleibt aber ein Problem, die Beschuldigten überhaupt erst vor ein Gericht zu bringen. Das Vorhaben kann zunächst aussichtslos erscheinen, aber schon nach einem Regierungswechsel oder dem Sturz eines Regimes werden die Karten vielfach neu gemischt. Im Falle des Massakers von Srebrenica im Juli 1995 in Bosnien brauchte es starken internationalen Druck auf Serbien, damit es die Hauptverantwortlichen nach vielen Jahren auslieferte. Bosnisch-serbische Truppen hatten nach dem Fall der muslimischen Enklave Srebrenica 8000 Männer und männliche Jugendliche ermordet. Der damalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic starb 2006, noch während seines Verfahrens, im Haager Tribunal. Der bosnisch-serbische Führer Radovan Karadzic und sein Militärchef Ratko Mladic erhielten lebenslange Haftstrafen. Die letztinstanzlichen Urteile ergingen erst 2019 und 2021. (dpa)