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Interview

Russland und der Westen
Können wir uns ein Wettrüsten leisten, Herr Wolff?

Lesezeit 6 Minuten
Ein US-amerikanischer Himars-Raketenwerfer bei einer Übung auf den Philippinen: Auch bei solchen Waffensystemen droht ein nach Auffassung des Ökonomen Guntram Wolff ein Engpass.

Ein US-amerikanischer Himars-Raketenwerfer bei einer Übung auf den Philippinen: Auch bei solchen Waffensystemen droht ein nach Auffassung des Ökonomen Guntram Wolff ein Engpass.

Russland rüstet weiter auf und kann sogar seine strategischen Allianzen bedienen, so der Ökonom Guntram Wolff. Er warnt, dass westliche Staaten ihre Rüstungsproduktion massiv erhöhen müssen.

Die Europäer haben sich bei der Rüstung viel zu lange auf die USA verlassen, sagt der Ökonom Guntram Wolff. Er ist Hauptautor einer Studie, die die langsame Wiederaufrüstung Deutschlands und Europas angesichts der russischen Herausforderung kritisiert. Und er sagt, was nach einer Waffenruhe im russisch-ukrainischen Krieg passieren könnte.

Nach dem Analyseportal Oryx hat Russland im Krieg gegen die Ukraine schon 10.000 gepanzerte Fahrzeuge verloren, davon über 3300 Kampfpanzer. Wie lange halten die Angreifer das durch?

Zur Zeit schaffen es die Russen nicht nur, ihre Verluste in der Ukraine vollumfänglich zu ersetzen, sondern sie bauen tatsächlich weitere Armeen auf. Sie schaffen es, Einheiten in Armeestärke, also 20.000, 30.000, 40.000 Soldaten, mit Ausrüstung zu versorgen. Und sie schaffen es auch noch, ihre Exporte in Länder, mit denen sie strategische Allianzen haben, aufrechtzuerhalten. Die russische Verteidigungsindustrie hat ihre Produktion seit 2022 massiv nach oben gefahren und kann damit die Verluste in der Ukraine tatsächlich ersetzen.

Konkret bei den Panzern sind aber offensichtlich viele alte Modelle darunter, die man aus Depots holt und aufarbeitet. Und irgendwann sind die Depots leer, oder?

Russland kann nach unseren Zahlen etwa 1500 Panzer pro Jahr an die Front bringen. Wir haben keine harten Zahlen darüber, wie viele davon wirklich neu produziert sind. Die Vorräte sind aber, das sagt ja auch das britische Forschungsinstitut RUSI, so groß, dass Russland sich zumindest noch für das ganze Jahr 2025 versorgen kann. 2026 mag es dann zu einem Einbruch kommen, aber ich nehme an, dass auch die Russen das sehen und sich darauf vorbereiten. Zudem sehen wir, dass die Modernisierung voranschreitet. Russland baut zum Beispiel mehr Radpanzer, die einfacher herzustellen sind und für bestimmte militärische Zwecke sinnvoller sind. Und wir sehen auch einen massiven Anstieg der Produktion bei Langstreckendrohnen und Hyperschallraketen.

Der russische Marschflugkörper, der ein Kinderkrankenhaus in Kiew zerstörte, war erst kürzlich gebaut worden, das zeigten die Trümmerteile. Kann Russland bei solchen Waffen neue Bestände aufbauen, oder wird alles in kurzer Zeit wieder verschossen?

Wir haben das ja in unserer Studie dargestellt: Die Bestände werden immer wieder neu auf- und dann abgebaut. Russland sammelt Raketen und Marschflugkörper und schießt in größeren Abständen massive Salven, um die ukrainische Luftabwehr zu überfordern. Bei Artilleriemunition dagegen wird zur Zeit mehr produziert, als eingesetzt wird, dank des Zugangs Russlands zu nordkoreanischer Produktion.

Wie lange können die Ukraine und ihre westlichen Partner dem denn standhalten?

Es ist eine Frage der politischen Entschlossenheit, die Produktion in Europa und den USA nach oben zu fahren. Wir Europäer haben uns viel zu lange auf die USA verlassen, als seien die ein Waffen-Amazon, wo man jederzeit unbegrenzt bestellen kann. In Wirklichkeit kommen die USA bei einigen Systemen, zum Beispiel den berühmten Himars-Raketenwerfern, an Grenzen. Sie liefern in die Ukraine, in den Nahen Osten, nach Taiwan. Wenn sich dann in Taiwan die Lage zuspitzt, entsteht ein Engpass.

Und wenn es zu einer Waffenruhe in der Ukraine käme?

Dann können Amerikaner und Europäer zusehen, wie Russland weiter aufrüstet. Es ist nicht hundertprozentig sicher, was Moskau macht, aber wenn Russland will, baut es in einem Jahr oder weniger neue Kapazitäten auf, die der kompletten Bundeswehr entsprechen. Der russische Krieg gegen die Ukraine hat ja gezeigt, wie wichtig die schiere Masse ist, die Größe der Vorräte. Wenn man als Verteidiger da nicht mithalten kann, wird man schnell in die Enge gedrängt. Im Donbass sind die Russen den Ukrainern um den Faktor zehn überlegen. Auch wenn es zu einem Waffenstillstand käme, müssten wir unsere Rüstungsproduktion stark ausbauen.

Können wir uns so ein Wettrüsten denn leisten? Wir können das Geld doch nicht zweimal ausgeben.

Ich bin Ökonom und kann nur sagen, makroökonomisch ist das kein Problem. Wir reden von einem halben bis ein Prozent mehr, als wir heute ausgeben. Heute sind es 1,2 Prozent der Wirtschaftsleistung plus das einmalige Sondervermögen. Auf Dauer geht es um 28 Milliarden Euro mehr bei einem Bundeshaushalt von knapp 500 Milliarden. Man möchte ja sagen, 0,8 Prozent des BIP liegen nicht ganz, aber fast schon in der Größenordnung von Rundungsfehlern für einen Makroökonomen. Das ist eine Frage des politischen Willens. Denken Sie einmal an die riesigen Budgetanpassungen, die während der Eurokrise im Süden Europas fällig waren. Dagegen sind die Budgetanpassungen, die wir im Verteidigungsbereich vornehmen müssen, gering.

Aber auch wenn wir das Geld ausgeben, kann die Industrie liefern?

Die Industrie kann schnell Kapazitäten aufbauen, aber sie wird das nur tun, wenn sie das Signal bekommt, dass die auch langfristig genutzt werden. Derzeit haben wir ein Sondervermögen, dann wird versprochen, dass wir langfristig auch den regulären Haushaltsansatz erhöhen. Aber kein Mensch weiß, ob in zwei, drei Jahren die politischen Mehrheiten dafür da sind. Auf dieser Grundlage können Unternehmen nicht investieren. Es ist alles eine Frage des politischen Willens. Wir benötigen jetzt zügig eine Erhöhung des regulären Verteidigungshaushalts und außerdem ein weiteres Sondervermögen.

Nochmal die Frage, wer länger standhält – jetzt umgekehrt: Wie lange würde Russland so ein Wettrüsten aushalten? Die Volkswirtschaft der EU ist neunmal so groß wie die russische. Ihr Kollege Marcus Keupp aus der Schweiz meint ja sogar, Russland habe den Ukraine-Krieg aus ökonomischer Sicht strategisch verloren.

Mit solchen Aussagen bin ich extrem vorsichtig. Russland wendet über 30 Prozent des Staatshaushalts für Verteidigung auf, das sind acht bis neun Prozent der Wirtschaftsleistung. Ich kenne keinen harten wissenschaftlichen Grenzwert dafür, wie viel Militärausgaben eine Volkswirtschaft sich leisten kann. Russland ist eine Diktatur, da ist es allenfalls die Frage, wie lange Putin die Bevölkerung ruhig halten kann. Russland hat eine harte Währungskrise vermieden, verdient immer noch Geld mit Öl und Gas und bekommt über Drittländer die westliche Technologie, die es für seine Waffen braucht. Natürlich, wenn es hart auf hart ginge, könnte der Westen Russland ökonomisch bezwingen. Aber wir dürfen bei alledem ja auch nicht übersehen, dass die Russen Partner haben: Iran, Nordkorea, in einem gewissen Maße auch China, das zumindest nicht will, dass Russland diesen Krieg verliert. Den Zusammenbruch Russlands sehe ich nicht so schnell. Umso wichtiger ist es, dass wir uns vorbereiten. Gerade um Krieg zu vermeiden. Si vis pacem para bellum, sagten die Römer, wenn Du Frieden willst, bereite Dich auf den Krieg vor.


Zur Person

Prof. Dr. Guntram Wolff ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Brüssel und Senior Fellow bei Bruegel. Für das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat er die umfangreiche Studie „Kiel Report - Kriegstüchtig in Jahrzehnten“ erstellt. Er war Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und fast ein Jahrzehnt Direktor von Bruegel.

Prof. Guntram Wolff

Prof. Guntram Wolff