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Russischer Generalmajor Popow rechnet ab„Ich hatte kein Recht zu lügen"

Lesezeit 4 Minuten
08.06.2023, ---: Auf diesem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums am Donnerstag, den 8. Juni 2023, veröffentlichten Foto ist Generalmajor Iwan Popow, Kommandeur der 58. russischen Armee, an einem ungenannten Ort zu sehen. Russlands Militärführung hat Popow dessen Angaben zufolge entlassen. Popow wandte sich in einer am Mittwoch auf dem Telegram-Kanal des Duma-Abgeordneten Guruljow verbreiteten Sprachnachricht an die Soldaten und erklärte, er sei wegen seiner Kritik an der ineffizienten Kriegsführung seines Postens enthoben worden. Foto: Uncredited/Russian Defense Ministry Press Service/AP +++ dpa-Bildfunk +++

Seines Postens enthoben: Generalmajor Iwan Popow, hier auf einem offiziellen Foto vom Juni 2023.

Ein russischer General wird seines Kommandos enthoben – und macht der Armeeführung massive Vorwürfe. Was wird der Abgang von Iwan Popow auslösen?

Das war zumindest ein starker Abgang: Per Audiobotschaft wandte sich der russische Generalmajor Iwan Popow, Kampfname: „Spartak“ und bis dato Kommandeur der in der Südukraine kämpfenden 58. Armee, an seine „Gladiatoren“. In der Nacht zum Donnerstag unterrichtete er sie über seine Absetzung, die er darauf zurückführte, dass er intern Kritik geübt habe: „Ich hatte die Wahl, still und feige zu bleiben und sagen, was sie hören wollten, oder die Dinge beim Namen zu nennen. In Eurem Namen, im Namen aller gefallenen Kameraden, habe ich kein Recht zu lügen.“ Und dann die Breitseite: „Ich habe die Aufmerksamkeit auf die größte Tragödie des modernen Kriegs gelenkt – auf das Fehlen von Artilleriebekämpfung, von Einrichtungen zur Artillerieaufklärung, auf die vielen Gefallenen und Verwundeten unter unseren Brüdern infolge feindlicher Artillerieangriffe.“

Seinen Vorgesetzten hielt „Spartak“ vor, sie hätten Verteidigungsminister Sergej Schoigu dazu bewegt, ihn abzulösen. „Die von unserer Armee gehaltene Front wurde nicht durchbrochen, aber unser ranghöchster Kommandeur hat uns in den Rücken gestoßen und hat unsere Armee im schwierigsten Moment enthauptet.“ Schon zuvor hatten Militärblogger behauptet, Generalstabschef Waleri Gerassimow habe Popow der Panikmache bezichtigt.

Ich hatte die Wahl, still und feige zu bleiben und sagen, was sie hören wollten, oder die Dinge beim Namen zu nennen.
Iwan Popow, abgesetzter russischer General

Das unabhängige US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW) geht zwar davon aus, dass Popows Abgang unmittelbar allenfalls „marginale“ Auswirkungen haben werde (so wichtig ist ein russischer Generalmajor denn doch nicht). Aber: Russische Kommandeure an der Front könnten so motiviert werden, die Angelegenheiten in die eigene Hand zu nehmen, um ihre Soldaten zu schützen. „Die immer fragilere russische Befehlskette könnte in Zukunft zu einer kritischen Kommando- und Kontrollkrise führen, in der die Unterstützung der Feldkommandeure für das russische Militärkommando immer schwächer werden könnte.“

Popows Kampfname erinnert an den römischen Rebellen Spartakus, und mit seiner unmittelbaren Ansprache an die „Gladiatoren“ hat er sich in eine Reihe mit dem Chef der Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin, gestellt – so die ISW-Analyse. Auch Prigoschin hatte im Zuge seines Aufstandes Gerassimow und Schoigu Unfähigkeit vorgeworfen. Und auch Prigoschin rühmte sich – wie Popow – des direkten Kontakts auch zu den einfachen Kämpfern. Rund um die Uhr will Popow für seine Leute erreichbar sein – und zwar ausdrücklich auch weiterhin, obwohl er nicht mehr ihr Kommandeur ist –, denn im Tod fürs Vaterland seien sie alle gleich.

„Heldenhafter Tod“ im Hotel „Duna“

Popows Kritik hatte einen konkreten Anlass: Am Dienstagabend verkündete der Duma-Abgeordnete und Ex-Generalleutnant Andrej Guruljow den „heldenhaften Tod“ von Generalleutnant Oleg Zokow. Zokow, der Vize-Chef des russischen Armeebezirks Süd, kam bei einem ukrainischen Marschflugkörper-Angriff auf das Hotel „Djuna“ in der besetzten ukrainischen Hafenstadt Berdjansk ums Leben. Dort war der Stab von Popows 58. Armee untergebracht. Mit Zokow dürften zahlreiche weitere Militärs getötet worden sein, Popows Kameraden vom Stabsoffizier bis zum einfachen Soldaten. Einen Tag später war es der gleiche Guruljow, der Popows Philippika öffentlich machte. Genau das, schreibt das ISW, dürfte auch Popows Absicht gewesen sein – entsprechend breit soll er seine Botschaft gestreut haben.

Innerhalb von nur vier Wochen hat das ukrainische Militär zwei russische Generäle getötet, denn bereits Mitte Juni war Generalmajor Sergei Gorjatschew einem Raketenangriff im Gebiet Saporischschja zum Opfer gefallen. Bereits damals hatten russische Militärblogger mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen kritisiert. Insgesamt hat Russland damit mindestens sieben Generäle im Krieg gegen die Ukraine verloren – bei insgesamt mindestens 47 000 Gefallenen, wie die oppositionellen Portale Mediazona und Meduza hochgerechnet haben. Noch stärker lichten sich die Reihen der russischen Generalität durch Absetzungen (wie die von Popow) und Inhaftierungen. Mehr als zehn hohe Offiziere sollen nach dem Wagner-Aufstand festgenommen worden sein. Der Luftwaffenchef und stellvertretende Kommandeur im Krieg gegen die Ukraine, Sergej Surowikin, setzte während des Aufstandes zwar einen Aufruf zur Loyalität ab, trug dabei aber schon keine Schulterstücke mehr und ist seither nicht mehr gesichtet worden. Seine Vize Andrej Judin wurde vorübergehend festgenommen, ebenso der Vizechef des Militärgeheimdienstes Wladimir Alexejew. Beide Generäle sind laut „Wall Street Journal“ suspendiert und dürfen sich nicht frei im Land bewegen – ebenso wie vermutlich Surowikin.

Stichwort: Russische Generäle

Die Titulatur russischer Generäle folgt einem anderen Schema als bei der Bundeswehr und anderen Nato-Truppen. Generalmajore wie Popow und Gorjatschew sind Ein-Sterne-Generäle, bei der Bundeswehr wären sie „nur“ Brigadegeneral. Der Rang eines russischen Generalleutnants wie Zokow wiederum entspricht dem eines Generalmajors bei Nato-Truppen (zwei Sterne).

Die Ukraine stellt auf die Nato-Generalsränge vor, ältere Kommandeure tragen aber noch ihre einmal verliehenen Titel. So ist der ukrainische Heereschef Oleksandr Syrskyj (drei Sterne) Generaloberst, eine Rangbezeichnung, die es in der Ukraine künftig nicht mehr geben wird. (rn)