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Rundschau-DebatteKann die Offensive der Ukraine erfolgreich sein?

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Die von Russland angegriffene Ukraine setzt Moskau mit der Offensive ihrer Truppen auf russischem Territorium weiter unter Druck.

Die von Russland angegriffene Ukraine setzt Moskau mit der Offensive ihrer Truppen auf russischem Territorium weiter unter Druck.

Nach dem Einfall von Truppen des angegriffenen Nachbarlandes im russischen Gebiet Kursk will Kiew erklärtermaßen noch härter zuschlagen – auch mit westlichen Waffen.

Die von Russland angegriffene Ukraine setzt Moskau mit der Offensive ihrer Truppen auf russischem Territorium weiter unter Druck. Zehntausende Menschen ergriffen im Gebiet Kursk am Wochenende die Flucht. Der geschäftsführende Gouverneur Alexej Smirnow sprach von einer schwierigen Lage angesichts des Beschusses mit Raketen, Drohnen und Artillerie. Auch in der Gebietshauptstadt Kursk wurde ein Wohnblock von Trümmern einer ukrainischen Rakete getroffen. Mindestens 15 Menschen wurden Behörden zufolge verletzt.

Was in der Grenzregion passiert

Die russischen Streitkräfte erhielten nach Angaben des Verteidigungsministeriums weitere Verstärkung, um die ukrainischen Truppen zurückzuschlagen. Nach Angaben des russischen Zivilschutzministeriums wurden mehrere grenznahe Ortschaften evakuiert; 76000 Menschen seien in andere Regionen gebracht worden. Die Lage im Gebiet Kursk ist unübersichtlich. Die Behörden warnten vor Panik und forderten die Menschen auf, Ruhe zu bewahren. Vielerorts war laut offiziellen Angaben Luftalarm zu hören.

Nach Einschätzung von Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) verlangsamte sich der ukrainische Vormarsch angesichts der russischen Truppenkonzentration zwar. Trotzdem hielten die ukrainischen Streitkräfte jedoch zuvor gemeldete Stellungen nahe der Grenze. Teils hätten sie sich auch etwas weiter vorwärts bewegt, teilte das Institut unter Berufung auf russische Militärblogger und die Auswertung von Geodaten veröffentlichter Videos mit.

Was derweil in der Ukraine geschieht

Ungeachtet der Kämpfe im eigenen Land setzte Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit unverminderter Härte fort. Bei einem neuen Luftangriff starben in der Nähe von Kiew laut Behörden ein Vierjähriger und sein Vater. Ein zwölf Jahre alter Junge sei verletzt worden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verurteilte den neuen „absichtlichen Terrorschlag“. Es werde untersucht, ob der Angriff diesmal mit einer nordkoreanischen Rakete erfolgt sei.

Auch im Osten der Ukraine setzten russische Truppen ihre Angriffe fort. Schwerpunkte der Kampfhandlungen lagen rund um Torezk und Pokrowsk am Rande des Donbass, wie der ukrainische Generalstab mitteilte. Zum Kampfgeschehen im Raum Kursk hieß es nur, dass russische Fernartillerie und Kampfjets das Gebiet um Sumy ins Visier nahmen. Diese Zone gilt als Aufmarschgebiet und Nachschubstrecke für die ukrainischen Verbände in der Region Kursk.

Selenskyj beklagte, Russland habe allein in der vergangenen Woche 30 Raketen und 800 Gleitbomben auf die Ukraine abgefeuert. Die Ukraine sei zwar dankbar für die westliche Hilfe bei der Flugabwehr. „Aber um den russischen Terror wirklich zu stoppen, brauchen wir nicht nur eine vollumfängliche Flugabwehr, die all unsere Städte und Gemeinden schützt, sondern auch starke Entscheidungen von unseren Partnern – Beschlüsse, die die Einschränkungen für unsere Verteidigungsaktionen beenden“, meinte Selenskyj.

Was Kiew vom Westen fordert

Die Ukraine hofft auf eine baldige Erlaubnis westlicher Verbündeter für den Einsatz von Raketen mit größerer Reichweite gegen russisches Gebiet. Demnach erwartet Selenskyj entsprechende Entscheidungen dazu in den USA, Großbritannien und Frankreich. Wenn die Ukraine die Raketen unbegrenzt einsetzen könne, so Selenskyj, werde der Krieg beendet. Zuletzt hatte das Land durch die Eigenproduktion von Drohnen und Raketen die Angriffe auf Russland deutlich ausgeweitet.

Die Ukraine will vor allem Russlands militärische Infrastruktur dauerhaft vernichten. Um das Sterben von Zivilisten zu stoppen, sei es nötig, Russland die Fähigkeit zum Töten zu entziehen, sagte der Leiter des Präsidentenbüros, Andrij Jermak. „Es ist notwendig, seine militärische Infrastruktur zu zerstören, weil der Feind andere Argumente nicht akzeptiert“, sagte Jermak.

Was Selenskyj zur Offensive sagt

Nachdem sich Selenskyj tagelang nur indirekt zur Kursk-Offensive geäußert und erklärt hatte, das Nachbarland solle nun auch den Krieg spüren, den es selbst begonnen habe, äußerte er sich am Wochenende erstmals direkt zu dem Vorstoß. Er habe sich vom Oberkommandierenden Olexander Syrskyj über das Vordringen des Krieges auf das Gebiet des Aggressors informieren lassen. Der Präsident dankte den Soldaten, die das möglich machten.

Zugleich kündigte er eine Initiative an, Moskau noch die letzten Einflussmöglichkeiten in der Ukraine zu nehmen. Erwartet wird in Kürze ein Verbot der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die aus Sicht Selenskyjs von russischen Agenten durchsetzt ist. Die Kirche weist eine Verbindung zum Moskauer Patriarchat zurück.

Wie US-Experten die Lage bewerten

Nach Einschätzung der Militärexperten beim ISW spielt der Kreml den Ernst der Kursk-Offensive herunter. Die Region an der Grenze zur Ukraine sei nur zu einer Zone für Anti-Terror-Operationen und nicht zu einem Kriegsgebiet erklärt worden, um womöglich Panik zu verhindern, hieß es in der Analyse. Kremlchef Wladimir Putin scheue die Ausrufung des Kriegszustandes, weil er um die Stabilität im Land fürchte.

Russland hatte seine Grenzgebiete Kursk, Belgorod und Brjansk in der Nacht zum Samstag zu Zonen für sogenannte Anti-Terror-Operationen erklärt. Damit bekommen das Militär und andere Teile des Sicherheitsapparats deutlich mehr Befugnisse, Personal, Ausrüstung und Mittel. Das gilt als eine Vorstufe zur möglichen Verhängung des Kriegsrechts.

Wie Belarus auf den Vorstoß reagiert

Nach dem ukrainischen Einmarsch in Russland zeigt sich auch das benachbarte Belarus alarmiert. Machthaber Alexander Lukaschenko ordnete eine Verstärkung der Truppen im Grenzgebiet an. Auch die Flugabwehr sei in volle Bereitschaft versetzt worden, weil etwa zehn ukrainische Flugobjekte den Luftraum im Osten des Landes verletzt hätten.

Das Verteidigungsministerium in Minsk verlegte nach eigenen Angaben Panzer für einen möglichen Einsatz an die Grenze. Das Außenministerium teilte mit, dies sei ein „gefährlicher Versuch, die derzeitige Konfliktzone in unserer Region auszuweiten“. Auch ballistische Raketen vom Typ Iskander sowie Polones-Raketenwerfer würden in die Region verlegt. Schon zu Kriegsbeginn hatte Belarus sein Gebiet russischen Truppen zur Verfügung gestellt, um von dort in den Norden der Ukraine einzumarschieren. (dpa)

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