AboAbonnieren

Rundschau-Debatte des TagesWarum immer mehr Kinder an Corona erkranken

Lesezeit 4 Minuten
Kinder beim Coronatest

Kinder beim Coronatest (Symbolbild)

  1. Weil Hochbetagte zuerst gegen Corona geimpft wurden, sind die Ansteckungszahlen in den Altersgruppen ab 70 Jahren rapide gesunken.
  2. Gerade bei den Schulkindern ging die Kurve dagegen zuletzt teils dramatisch nach oben.
  3. Woran liegt das? Und was folgt daraus?

Berlin – Es sind Zahlen, die inzwischen auch das Robert-Koch-Institut (RKI) beunruhigen: Bei den Jugendlichen in Deutschland liegt die Sieben-Tage-Inzidenz mit etwa 270 um rund 100 Punkte höher als in der Gesamtbevölkerung. Ärzte fordern jetzt, junge Leute schneller zu impfen. Eine Suche nach Erklärungen und möglichen Konsequenzen:

Die gegenläufigen Kurven

Ein Blick in die RKI-Tabellen zeigt: Die Gesamtinzidenz bei den 15- bis 19-Jährigen lag vor einigen Tagen mehr als viermal so hoch wie Mitte Februar. Bei den über 90-Jährigen ging die Ansteckungszahl pro 100000 Einwohner seit Anfang des Jahres von 660 auf 100 nach unten.

Der Analyst Sebastian Mohr vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation bereitet mit RKI-Daten tagesaktuell eine interaktive Inzidenzkarte nach Altersgruppen und Landkreisen auf. Höhere Inzidenzen bei Jugendlichen zeigen sich fast überall. Teilweise sind die Unterschiede drastisch (siehe Grafik.)

Grafik Inzidenzen NEU

In Köln zum Beispiel lag die Gesamtinzidenz demnach an diesem Montag bei einem Wert von 246,1. Bei den Fünf- bis 14-Jährigen dagegen waren es 367,49. Auch bei Kita-Kindern sind die Inzidenzen bundesweit hochgegangen, laut RKI allerdings nicht so stark.

Wie die Kurven zu erklären sind

Es läge auf der Hand, das Hochschnellen der Zahlen auf die Rückkehr zum Präsenzunterricht zurückzuführen – und so den Ruf nach Schulschließungen zu begründen. Allerdings: Die eigentlichen Ausbrüche in Schulen sind in den letzten Wochen rückläufig, betont das RKI. Bekannt ist, dass sich Kinder und Jugendliche leichter mit der britischen Corona-Mutation B.1.1.7 anstecken können. Aber nicht unbedingt in Schulen oder Kitas. Die Datenlage zeige, dass sich Kinder viel häufiger bei Eltern oder Verwandten ansteckten, sagt etwa Kinder- und Jugendärztepräsident Thomas Fischbach. Beim RKI heißt es, bei den meisten Fällen sei „kein Infektionsherd bekannt“, es würden aber „insbesondere private Haushalte“ ausgemacht – daher auch die Notbremse mit Ausgangssperren.

Das könnte Sie auch interessieren:

Zudem gehen so gut wie keine sogenannten Superspreading-Events auf Minderjährige zurück, sie infizieren also fast nie mehrere andere Personen. Eine Erklärung lieferte eine Harvard-Studie, wonach Jugendliche, die das Virus in sich tragen, deutlich weniger Aerosole ausatmen als ältere Menschen.

Eine Rolle könnte das vermehrte Testen spielen: Bis Februar wurden fast nur Personen mit Corona-Symptomen getestet. So blieben überdurchschnittlich viele Kinder unentdeckt, weil diese bei Ansteckung seltener Krankheitszeichen zeigen als Erwachsene. Vor Ostern wurde dann mit den regelmäßigen Schnelltests an Schulen und Kitas begonnen.

Was daraus folgt

Zunächst befeuern die hohen Jugend-Inzidenzen die Diskussion über Schulschließungen. Der nach langem Ringen festgelegte Gesamtschwellenwert von 165, bei dessen Überschreiten Präsenzunterricht verboten ist, sei „viel zu hoch“, schimpfte am Montag Lehrerverbandspräsident Heinz-Peter Meidinger.

Kinder- und Jugendärztepräsident Fischbach hält dagegen: Er würde Schulen auch bei einer Inzidenz von mehr als 200 offen lassen. „Anstelle den Präsenzunterricht wegen willkürlich gegriffener Inzidenzwerte zu verbieten, müssen die Schulen endlich mit ausreichenden Tests für Schüler und Lehrer versorgt und das Personal geimpft werden“, sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Ein Blick in die Statistik: Bis 20. April waren unter den mehr als 80000 Corona-Todesopfern „nur“ 14 unter 20-Jährige, von denen wiederum elf vorerkrankt waren. 61 Todesopfer waren 20 bis 29 Jahre alt. Aber 70536 Verstorbene – also sieben von acht – waren 70 Jahre und älter.

Inzidenzen bald unzumutbar?

Es liegt nahe, dass hohe Jugend-Inzidenzen vor allem für Ältere zur Gefahr werden könnten. Aber ein Großteil der Lehrer ist inzwischen geimpft, in einigen Bundesländern kommen schon die über 60-Jährigen dran, im Mai soll die Priorisierungsgruppe 3 durchimmunisiert werden. Kinder und Jugendliche dürften dann noch deutlicher zu den Haupt-Inzidenztreibern werden. „Wir werden in eine Situation kommen, dass nur noch die Unter-20-Jährigen übrig bleiben“, sagt RKI-Vizechef Lars Schaade.

Halten Bund und Länder an Gesamtinzidenzen als Grenzwerte für Lockerungen oder Verschärfungen fest, würde das bedeuten, dass die Ansteckungszahlen unter jungen Leuten extrem hoch werden könnten, bevor härter eingedämmt werden müsste. „Wir werden uns fragen müssen, ob den Jugendlichen das zugemutet werden kann“, sagte Schade.

Eine Alternative wäre es, altersspezifische Inzidenzen als Schwellenwerte für Maßnahmen wie Schulschließungen festzulegen. Konkrete Vorbereitungen darüber gebe es nicht, heißt es beim RKI.