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Rundschau-Debatte des TagesIst Friedrich Merz „ein bisschen drüber“ – oder der starke Mann der CDU?

Lesezeit 4 Minuten
29.11.2022, Berlin: Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, nimmt an einem Pressestatement vor der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag teil. 

Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender

Seit einem Jahr ist die Ampel im Bund an der Regierung – und die Union in der Opposition. Der neue starke Mann, Friedrich Merz, hat die CDU seitdem konservativer gemacht. Unumstritten ist das nicht.

Friedrich Merz hat Bundeskanzler Olaf Scholz zum Jahrestag der Ampel-Regierung ordentlich eingeschenkt. Selbst SPD-Kanzler Gerhard Schröder wäre mutiger und zupackender gewesen, das Land werde unter Wert regiert. Kritik an der Regierung ist Merz’ Aufgabe als Vorsitzender der größten Oppositionsfraktion, die die Union seit einem Jahr ist. Aber gleich so heftig?

Manchmal ist Merz ein bisschen drüber, finden Unionsleute. Aber immerhin, die Union wird wahrgenommen. Hört man sich unter den Abgeordneten um, deren Zahl mit der verlorenen Bundestagswahl 2021 um 49 auf 197 Köpfe geschrumpft ist, sind viele ganz zufrieden. Merz sorge dafür, dass die Union trotz Krisenzeit, in der sich alle Blicke auf die Regierung richten, noch vorkommt. Merz ist ein pointierter Redner – und hat die Opposition auf Augenhöhe mit dem Kanzler geführt, meinen manche. „Es gibt wieder eine Opposition“, jubelte „Die Welt“ nach einer seiner Bundestagsreden in diesem Jahr.

Konstruktiver Druck

Aber wird auch eine Richtung klar, in die er die CDU führen will? Einerseits hat Merz seiner Fraktion „konstruktive Arbeit“ verordnet. Von einer bürgerlichen Partei wird erwartet, dass sie sich in Krisenzeiten staatstragend und verantwortungsvoll zeigt – und nicht nur auf die Regierung eindrischt. Das Sondervermögen für die Bundeswehr, Symbol für Scholz’ eingeläutete Zeitenwende, haben die Unionsparteien mit ermöglicht. Auch bei der Entscheidung, die Ukraine mit schweren Waffen zu beliefern, machte die Union erst Druck – und kam dann bei der Abstimmung mit an Bord.

Merz’ eigenes Auftreten ist gelegentlich nicht ohne Widersprüche. In den ersten Monaten des Jahres präsentierte er sich staatstragend, reiste noch vor Scholz in die Ukraine, der kantige Merz von vor 20 Jahren schien Geschichte. Doch dann blitzte er wieder auf. Als er mit Blick auf Flüchtlinge aus der Ukraine von möglichem „Sozialtourismus“ sprach, führte das zu offener Kritik aus der eigenen Partei. Merz entschuldigte sich. Auch in der Debatte um das Bürgergeld fuhr die Union harte Geschütze auf. Ihre Kritik, Arbeit würde sich künftig nicht mehr lohnen, verfing. Das Bürgergeld wurde nachgebessert, die Union war im Gespräch, wieder einmal.

Betont scharfe Töne

In der Diskussion um Zuwanderung und Einbürgerung wählen CDU und CSU nun ebenfalls die harte Attacke: Die Ampel wolle den deutschen Pass „verramschen“, behauptete die Fraktionsspitze. Neulich, als es um strategische Fragen ging, formulierte es ein führender Unionspolitiker so: „Wir sprechen das aus, was eine Mehrheit in der Bevölkerung denkt.“ Dass Merz dabei manchmal vor- und zurückrudert? Geschenkt.

Auch andere in der Union schlagen bei dem Thema einen betont scharfen Ton an. „Der migrationspolitische Weg der Ampel-Regierung ist in Europa leider einmalig, oder deutlicher gesagt: eine Geisterfahrt“, kritisiert zum Beispiel der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Thorsten Frei (CDU). Im Gespräch mit unserer Redaktion forderte er unter anderem eine konsequente Ausweisung von straffälligen Flüchtlingen und eine Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsländer, für deren Staatsangehörige es dann nicht mehr möglich wäre, in Deutschland Asyl zu beantragen: „Wir müssen uns auf diejenigen konzentrieren, die wirklich unsere Hilfe benötigen.“

Beim Thema Flüchtlinge und Zuwanderer wurde allerdings auch deutlich, dass nicht alle mit dem innenpolitischen Kurs der Fraktionsspitze einverstanden sind. Eine Reihe namhafter Abgeordneter, darunter Ex-NRW-Regierungschef Armin Laschet und zahlreiche frühere Amtsträger aus Merkel-Zeiten, machten beim Widerstand gegen das „Chancen-Aufenthaltsrecht“ der Koalition nicht mit, weil sie das Ampel-Gesetz für pragmatisch und richtig halten. Man kann das als Warnsignal an Merz verstehen, es mit der Zuspitzung und harten Opposition nicht zu weit zu treiben.

Konservativer als zuvor

Ein ehemals führender Unionspolitiker will bisher keinen Kurs bei Merz erkennen. „Die inhaltliche Debatte über Grundsatzfragen wird wieder einmal nicht geführt.“ Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch meint unterdessen: „Die neue Union hat ihre Position in der Mitte und etwas rechts der Mitte gefunden. Damit hat sie den Kurs von Angela Merkel nicht fortgesetzt. Sie ist konservativer geworden.“

Anfang Dezember erreichte die Union in Umfragen erstmals seit der Bundestagswahl 2021 wieder 30 Prozent Zustimmung, weit vor der Regierungspartei SPD, die auf 18 Prozent kommt. Friedrich Merz dürfte das als Bestätigung für seinen – wenn auch nicht immer ganz klaren – Kurs sehen.