AboAbonnieren

Rettung gesuchtWas machen für das Rentensystem?

Lesezeit 4 Minuten
Ein Glas mit der Aufschrift „Rente“. In dem Glas ist Geld.

Symbolbild

Länger arbeiten, Fachkräfte aus dem Ausland, Aktienrente: Es gibt viele Vorschläge zur Sicherung der Altersbezüge. Die Bundesregierung muss zeitnah Lösungen finden – auch wegen der Babyboomer.

Bei der Rente geht es im neuen Jahr um die Zukunft. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will zeitnah ein Rentenpaket II vorlegen zur Absicherung der Rentenversicherung. „Die Herausforderungen, die jetzt vor uns sind ab 2025, sind unbestritten riesig“, meinte Heil im Dezember. Deutschlands Arbeitgeber sind alarmiert. „Die Rente wird zum Bremsklotz für die wirtschaftliche Zukunft unserer Nation“, warnt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Dulger fordert eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters.

Das Problem

Heil erläuterte im Dezember vor Vertretern der Rentenversicherung: „Die Babyboomer werden 2025 fortfolgend in Rente gehen, die geburtenstarken Jahrgänge, die vor 1964 Geborenen.“ Also gibt es immer mehr Empfänger von Bezügen. Die Präsidentin der Rentenversicherung, Gundula Roßbach, sagt: „Die Geburtenrate in Deutschland liegt zwischen 1,5 und 1,6 Kinder je Frau. Um die Zahl der in unserem Land lebenden Menschen konstant zu halten, bräuchte es eine Geburtenrate von rund 2,1.“ Wie kann Heil also sein Ziel erreichen, die gesetzliche Rente als tragende Alterssicherung zu stabilisieren und dabei das Rentenniveau dauerhaft zu sichern?

Entwicklung der Rentenbeitragssätze seit 1990 mit Prognose bis 2036.

Entwicklung der Rentenbeitragssätze seit 1990 mit Prognose bis 2036

Sorge der Arbeitgeber

Dulger mahnt: „Immer mehr staatliche Mittel müssen in die Rentenkassen fließen. Zudem drohen die Beiträge immer stärker zu steigen.“ Je mehr Geld Unternehmen und Staat in die Sozialkassen stecken müssten, „desto weniger bleibt für Investitionen in die Zukunft“. Der Arbeitgeberpräsident verweist auf die mehr als 100 Milliarden Euro im Jahr, die aktuell aus dem Haushalt in die Rentenkasse fließen.

Aktuelle Lage

Derzeit ist die Rentenkasse gut gefüllt. „Trotz mehrfacher Krisen ist der Arbeitsmarkt in Deutschland stabil“, sagt Roßbach. Folglich seien die Beitragseinnahmen von Januar bis November um 5,5 Prozent gestiegen. „Das stimmt sehr positiv.“ Die Ausgaben seien zudem geringer gewesen als vor einem Jahr geschätzt. Corona habe zu einem Anstieg der Sterblichkeit geführt – ein Grund für einen langsameren Zuwachs der Lebenserwartung. Statt eines ursprünglich befürchteten Defizits von 6,5 Milliarden verbucht die Rentenversicherung laut Roßbach zum Jahresende so einen Überschuss von 2,1 Milliarden Euro. Im Juli sollen die Renten um rund 3,5 Prozent im Westen und um mehr als 4 Prozent in Ostdeutschland steigen.

Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben.
Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition
  1. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger fordert ein Ende der vorgezogenen Altersrente ohne Abschläge nach einer Versicherungszeit von 45 Jahren in heutiger Form.
  2. „Der Kanzler selbst hat ja schon erkannt, dass die Rente ab 63 nicht zeitgemäß ist, obwohl seine Partei sie damals durchgedrückt hat“, sagt der Arbeitgeberpräsident.
  3. Bei der Einführung im Jahr 2014 hatte die damalige Koalition von Union und SPD jährlich rund 200000 Antragsteller für die abschlagsfreie Rente prognostiziert.
  4. Nach Auskunft der Rentenversicherung wurden 2021 rund 257000 Anträge gestellt. 2020 gab es rund 260000 Anträge.

Prognosen für die kommenden Jahre

Roßbach verweist auf die offiziellen Schätzungen: Demnach bleibt der Beitragssatz bis 2026 bei 18,6 Prozent – und steigt bis 2030 auf 20,2 Prozent. „Ende der 1990er-Jahre war der Beitragssatz schon höher als der jetzt für 2030 prognostizierte“, sagt die Rentenpräsidentin. Damals betrug er 20,3 Prozent. Das Rentenniveau, das die Sicherungskraft der Renten im Verhältnis zu den Löhnen angibt, dürfte bis 2024 oberhalb von 48 Prozent bleiben. Danach greift voraussichtlich eine gesetzliche Haltelinie, um das Niveau zu stabilisieren. Aber 2036 würde es nach den Schätzungen auf 44,9 Prozent sinken.

Reform-Forderungen

Verdi-Chef Frank Werneke sieht das Älterwerden in Deutschland als „eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung“. Er fordert: „Deshalb braucht es eine Stärkung der zusätzlichen Finanzierung aus Steuereinnahmen.“ Arbeitgeberpräsident Dulger hat ganz andere Forderungen. „Wir müssen über das Renteneintrittsalter sprechen“, sagt er. „Wir haben eine wachsende durchschnittliche Lebenserwartung in dieser Republik, und deshalb werden wir auch nicht darum herumkommen, das Rentenalter schrittweise weiter anzuheben.“ Eine Koppelung von Lebenserwartung und Rentenalter erzeuge einen „Automatismus, der auf jeden Fall in die richtige Richtung geht“. Allerdings hatten SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag versprochen: „Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben.“

Faktor Arbeitsmarkt

Düsteren Szenarien hält Rentenpräsidentin Roßbach entgegen: „Es wird keinen Bankrott und keinen Kollaps des Rentensystems geben, sondern es gibt Entwicklungslinien, die gestaltet werden können.“ Das Erwerbspotenzial auf dem Jobmarkt sei groß – und sollte ihrer Ansicht nach weiter gefördert werden. „Zu nennen sind hier insbesondere die Frauen, die Älteren und die Zugewanderten.“ Bereits Heil hatte erklärt, das geplante neue Gesetz für mehr Einwanderung von Fachkräften solle auch zu stabileren Renten beitragen.


Mehr als eine Million Menschen im Rentenalter stocken in Deutschland ihr Einkommen auf, etwa als Reinigungskräfte, Fahrzeugführer oder Büroangestellte. Von den insgesamt knapp 39 Millionen abhängig Beschäftigten waren in diesem Jahr rund 1,067 Millionen 67 Jahre oder älter, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervorgeht. Das waren rund 15000 Menschen mehr als im vergangenen Jahr und 200000 mehr als noch 2015.

Laut Bundesarbeitsministerium sind mehr als 400000 der Beschäftigten bereits zwischen 70 und 75, gut 213000 sogar zwischen 75 und 85 Jahre alt. Von den mehr als 13000 Beschäftigten, die 85 und älter sind, sind noch 446 als Fahrzeugführer im Straßenverkehr tätig. (epd)


Reform-Optionen

Noch ist laut Roßbach politisch offen, ob der Beitragssatz für die Rente künftig bestimmten Grenzen unterliegen solle. „Daran wird sich bemessen, wie das mit Steuermitteln oder anderen Maßnahmen flankiert wird.“ Ab 2023 will die Regierung zudem einen neuen Kapitalstock für die Rente aufbauen. Mit zunächst 10 Milliarden Euro sollen Gewinne auf dem Kapitalmarkt erzielt werden („Aktienrente“). Nach Aussagen der Rentenversicherung bräuchten solche Anlagen aber viel mehr Umfang, um wirkliche Erleichterungen bei den Beiträgen zu bringen. (dpa)