Die Spitze der NRW-AfD würde sich gern als gemäßigt präsentieren. Aber eine Beisitzerwahl beim Landesparteitag in Marl stört das Bild massiv.
Rechtsaußen Helferich bekommt Spitzenamt„Mit dir im Vorstand der NRW-AfD sehe ich den nächsten Bürgerkrieg aufziehen“
Der „Showdown“ beim AfD-Landesparteitag zwischen dem sich selbst als gemäßigt einstufenden Lager um Landesparteichef Martin Vincentz und den völkisch-nationalistischen Kräften blieb zunächst aus. Vincentz erhielt am Samstag 78,3 Prozent der Stimmen und kann damit den Landesverband der AfD zwei weitere Jahre relativ unangefochten führen. Gemessen an früheren Landesparteitagen lief das Treffen in Marl über eine weite Strecke konfliktfrei ab. Bis es am frühen Abend dem fraktionslosen Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich aus Dortmund gelang, einen von fünf Beisitzer-Posten zu erringen.
Vincentz hatte zuvor eine positive Bilanz seiner Vorstandsarbeit gezogen. Die Landespartei habe ihre Mitgliederzahl in nur einem Jahr von rund 4800 auf aktuell 7050 erhöht. Fast 2000 Mitgliedsanträge befänden sich noch im Aufnahmeverfahren. Die Finanzen der Landes-AfD hätten sich deutlich verbessert, der Landesverband zeige sich unter seiner Führung geschlossener als früher.
Wird Vincentz zum Gegenspieler von Björn Höcke?
Der 37-jährige Landtagsabgeordnete vermied bei seiner Bewerbungsrede Provokationen wie zuletzt beim Neujahrsempfang der AfD in Duisburg. Im Januar hatte er dort einen rassistischen Witz gerissen. In Marl ließ Vincentz durchblicken, dass er womöglich noch Karrierepläne in der AfD hat. Partei-Landessprecher in NRW sei der „zweitschönste Job der Welt nach dem von Alice Weidel und Tino Chrupalla“. Das sind die Bundesvorsitzenden der AfD. Es heißt, der Arzt aus Tönisvorst habe bundespolitische Ambitionen und könne zum Gegenspieler der Ultrarechten um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke werden.
Vinzentz schwor die rund 650 Delegierten auf die Wahljahre 2024 und 2025 ein. Die Partei werde „nicht in die Knie gehen“ vor den Demonstrierenden, die seit Wochen gegen die AfD und den Rechtsextremismus auf die Straßen gehen. Der Einschätzung von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), die AfD sei eine „Nazipartei“, widersprach er. Seine Partei sei „das Gegenteil davon“.
Fast schien es, dem „gemäßigten“ Vincentz-Lager könne ein Durchmarsch gelingen. Doch dann schaffte gelang dem rechtsextremen Matthias Helferich am späten Samstagnachmittag in einer Kampfabstimmung gegen die Ex-Landtagsabgeordete Iris Dworeck-Danielowski der Sprung in den AfD-Landesvorstand. Der Jurist, der sich einmal selbst als „das freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet hat, könnte die Harmonie im AfD-Landesvorstand empfindlich stören.
„Mit dir im Vorstand sehe ich den nächsten Bürgerkrieg aufziehen“, sagte ein Delegierter nach der Bewerbungsrede des Dortmunders. Helferich sagte selbst, die AfD brauche keinen Landesvorstand, der sich als „Richtschwert“ verstehe. „Schaffen wir einen Vorstand, der sich als Schild für alle versteht."
Ex-Offizier: „Verfassungsschutz darf für uns kein Maßstab sein“
Auch einige andere Parteitagsdelegierte blinkten deutlich sichtbarer als Vincentz nach Rechtsaußen. Rüdiger Lucassen, Bundestagsabgeordneter und früherer AfD-Landesvorsitzender in NRW, forderte den Parteitag zur „Solidarität“ mit der vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei-Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ (JA) auf. Bei dem, was der frühere Bundeswehroffizier in Marl sagte, dürften jene, die ein Verbot der AfD fordern, hellhörig werden: „Der Verfassungsschutz darf für uns kein Maßstab sein“, sagte Lucassen. Es gehe darum, gegen den „politisch instrumentalisierten Verfassungsschutz eine Front zu machen.“
AFD-Bundesvize Stefan Brandner, ein Rechtsaußen aus Thüringen, forderte Ministerpräsident Wüst auf, auf, „die Klappe zu halten“. Den Journalisten von „Correctiv“, die das Potsdamer Geheimtreffen zur millionenfachen Ausweisung von Bürgern öffentlich machte, warf er vor, die Wahrheit zu verfälschen.
Die Anti-AfD-Demo vor dem „Eventzentrum.NRW“ in Marl-Sinsen bliebt kleiner als erwartet. „In der Spitze“ versammelten sich rund 2000 Teilnehmer vor der Halle, so die Polizei.
Zu den Rednern gehörten neben Marls Bürgermeister Werner Arndt (SPD) und Landrat Bodo Kimpel (CDU) Ruhr-Staatssekretär Josef Hovenjürgen (CDU). Er interpretiert die AfD – wie NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst -- als „Naziparte“. Hovenjürgen sagte wörtlich: „Wer Nazis duldet, macht deutlich, dass man Nazis hinnimmt. Dann ist man Nationalsozialist.“
Der frühere Schul-Staatssekretär Matthias Richter (FDP) warnte: „Wenn die AfD nur einen Teil der Macht hat, dann wird sie sofort damit beginnen, unsere Demokratie zurückzubauen.“