Köln – Mit einem 32-seitigen Thesenpapier hat eine zehnköpfige Autorengruppe um den Gesundheitsökonomen Matthias Schrappe Kritik an der intensivmedizinischen Versorgung in der Corona-Pandemie geübt (wir berichteten). Die Thesen werfen Intensivmedizinern unter anderem Panikmache und Abzocke vor.
Mittlerweile haben sich der Marburger Bund, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKB) und die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), die seit Frühjahr 2020 die Intensivbetten in Deutschland listet, zu den Vorwürfe geäußert. Eine weitere ausführliche Stellungnahme soll in zwei Wochen folgen. Auch die Autoren des Thesenpapiers reagierten bereits mit kleineren Korrekturen. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter entfachten die Vorwürfe unter dem Hashtag #Divigate teilweise heftige Diskussionen.
Wo sind die 3000 Betten?
Eine der Kernaussagen des Thesenpapiers: „Deutschland hat erhebliche Überkapazitäten in der stationären Versorgung.“ Damit wird nach Aussage der Verbände unterstellt, Patienten seien ohne Not und aus rein finanziellem Interesse auf Intensivstationen verlegt worden. In ihrer Stellungnahme bezeichnen die Verbände diesen Vorwurf als „Schlag ins Gesicht“ der Belegschaft in den Krankenhäusern. In der ersten Variante des Thesenpapiers war davon die Rede, dass Ende April 58 Prozent der Covid-Patienten in Krankenhäusern auf Intensivstationen behandelt werden, Ende März seien es 44 Prozent gewesen. In Italien seien es zum Vergleich mit elf Prozent deutlich weniger.
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Nach der Veröffentlichung stellte sich heraus: Die Autoren haben falsch gerechnet. Das Problem: Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts, auf die sich die Autoren berufen, beziehen sich nur auf neu aufgenommene Patienten. Die Autoren korrigierten ihre Angaben auf 41 Prozent Ende April und 31 Prozent Ende März. Auf Twitter kritisieren Nutzer, dass Schrappe und sein Team andere EU-Länder nicht in ihrer Tabelle aufführten: beispielsweise die Niederlande, die Ende März eine Intensivquote von 39 Prozent verzeichnete.
Aktuelle Zahlen
3708 Patienten befinden sich derzeit laut DIVI-Intensivregister deutschlandweit in intensivmedizinischer Behandlung. 63 Prozent der Patienten werden invasiv behandelt.
2952 Intensivbetten sind laut DIVI derzeit frei. Insgesamt sind 20 529 Intensivbetten belegt. 1276 Standorte melden ihre Zahlen regelmäßig. (sim)
Die Autoren des Thesenpapiers werfen der DIVI vor, in ihrer Statistik seien Betten verschwunden. Rückwirkend seien 3000 Betten gestrichen worden. Die Zahlen sind zwar richtig, die Erklärung ist allerdings einfach. „Das DIVI-Intensivregister hat im Verlauf der Pandemie die Betten der Kinderintensivstationen aus der Gesamtzahl der betreibbaren Betten (Anfang August, Anm. d. Red.) herausgerechnet“, schreiben die intensivmedizinischen Verbände in ihrer Stellungnahme. In der aktualisierten Version des Thesenpapiers greifen die Autoren diesen Punkt in einer Fußnote auf. Als Erklärung diene er für die Verfasser allerdings nicht, heißt es. Doch auch von Mitte Oktober bis Ende Dezember zeigt das Intensivregister eine Abnahme der freien Betten. Auf ihrer Website gibt die DIVI die Erklärung. Die Zahl beziehe sich auf die tatsächlich betreibbaren Betten. Durch die erhöhte Infektionszahl in der Bevölkerung fiel auch fachliches Personal für die Betreuung der Intensivpatieten aus. Schwer erkrankte Patienten hätten zudem mehr Personal in Anspruch genommen. Das bedeutete im Gegenzug, dass die Anzahl der betreibbaren Betten abnahm.
Falsche Zahlen
Schon kurz nach der Veröffentlichung des Thesenpapiers merkten Nutzer auf Twitter methodische Mängel und fehlende Quellen an. In einer Passage heißt es beispielsweise: „Rund 3000 Patienten wurden während der ersten Welle im Frühjahr 2020 intensivmedizinisch behandelt.“ Das DIVI-Register, das als Quelle aufgeführt ist, bezieht sich bei dieser Zahl allerdings auf die Höchstzahl der behandelten Patienten während der ersten Welle.
Im Mai veröffentlichte die DIVI Zahlen, nach denen bis zu diesem Zeitpunkt über 105 000 intensivmedizinische Behandlungen abgeschlossen waren.