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Todesangst im Polizeidienst„Lass ihn los, sonst töten wir dich“

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Der Respekt gegenüber Polizisten habe massiv nachgelassen, sagt Freches.

  1. Payk Freches erlebte bei einem eigentlich harmlosen Routineeinsatz in Lindlar Todesangst.
  2. Er musste sich im Auto vor einer aufgebrachten Horde in Sicherheit bringen, bis Verstärkung eintraf.
  3. Eine Umfrage unserer Redaktion in NRW zeigt: Beschimpfungen und Gewalt gegenüber Polizisten haben zugenommen.
  4. Offen über seine Erfahrungen sprechen will fast niemand.

Düsseldorf – Eigentlich ist Payk Freches jemand, den so schnell nichts umhaut. Und den auch niemand so schnell umhauen kann. Aber das, was er im Dezember vor drei Jahren erlebt hat, lässt den Polizisten nicht mehr los.

Während eines harmlosen Routineeinsatzes im beschaulichen Lindlar erlebt er Todesängste. „Ich hatte wirklich Angst um mein Leben“, sagt der 46-Jährige. Mit einem Kollegen sei er damals zu einer Schulabschlussfeier in eine Gaststätte gerufen worden. Vor der Tür spuckt ihn ein junger Mann unvermittelt vor die Füße und dann mehrfach an den Körper.

Nur einer spricht öffentlich

Als die beiden Polizisten ihn festhalten wollen, verletzt sich der junge Mann selbst, weil er erhebliche Gegenwehr leistet. Dann werden die Polizisten von einer aufgebrachten Horde junger Männer eingekesselt. Freches verschanzt sich mit dem Festgehaltenen in einem Rettungswagen, sie warten auf Verstärkung. „Die Menge wollte uns da raus holen und rief: Lass ihn los, sonst töten wir dich“, erinnert sich Freches. Das habe er in seinen fast 25 Dienstjahren noch nicht erlebt, sagt er.

Payk Freches ist der einzige Polizist in Nordrhein-Westfalen, der im Rahmen einer landesweiten Umfrage unserer Redaktion unter allen 47 Polizeibehörden in NRW in der Öffentlichkeit offen und ehrlich über seine Gewalterfahrungen im Dienst spricht. Niemand anderes hat sich dazu bereit erklärt, mit richtigem Namen und Foto über das zu reden, was im widerfahren ist. Dabei hätten die Polizisten viel zu erzählen. So ist die Zahl der Angriffe auf Polizisten in NRW im vergangenen Jahr erneut gestiegen. Laut einem Lagebild des Landeskriminalamts (LKA) wurden 2018 insgesamt 18.873 Polizeibeamte Opfer von Gewalt – 834 mehr als 2017.

Hunderte Polizisten 2018 dienstunfähig

Zu den Verletzungen zählen unter anderem: Knochenbrüche, Schnitt-, Stichverletzungen, Platzwunden, Zerrungen, Verstauchungen Bänderrisse, innere Verletzungen, Kehlkopfödeme, Bisswunden, Quetschungen und Hämatome. Hunderte Polizisten waren 2018 dienstunfähig infolge der Attacken, in Recklinghausen waren es allein 28.

Freches berichtet auch davon, dass der Respekt gegenüber der Polizei massiv nachgelassen habe. Eine Einschätzung, die sich mit einem weiteren Ergebnis unserer Umfrage unter den Kreispolizeibehörden in NRW deckt: Landesweit berichtet die Polizei von einer erheblichen Verrohung der Sprache.

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Folgende Beleidigungen gehören demnach mittlerweile zum Alltag vieler Polizisten: „Ich knall Euch ab, ihr scheiß Bullen“, „Verpisst euch, sonst klatscht es!“, „Halt dein Maul! Du hast mir gar nichts zu sagen“, „Hurensöhne! Fickt Euch! Fickt Euch alle! Ich bringe Euch um!“, „Hey ihr Fotzen, ich reiße euch den Arsch auf“, „Du bist Müll, Schwuchtel“, „Scheiß Kanacke, Scheiß Ausländer“, „Ich knall euch alle ab“.

Und das sind nur wenige und noch nicht einmal die schlimmsten Beleidigungen, die den Polizisten an den Kopf geworfen werden. „Hurensohn gehört besonders bei jungen Männern fast schon zur Standardbezeichnung für Polizeibeamte“, sagt Andreas Wilming-Weber von der Kreispolizeibehörde Recklinghausen. Es werde tatsächlich von Tag zu Tag schlimmer, meint auch Essens Polizeisprecher Peter Elke. Die Beleidigungen würden häufig laut vorgetragen, damit möglichst viele sie mit bekämen. „Das führt häufig zu Nachahmern“, betont Elke. „Von einigen Leuten mit Migrationshintergrund werden wir manchmal als Hitlerpolizei, Nazis und AfD-Wähler bezeichnet“, so Elke. Und: „Weibliche Polizisten werden sexuell beleidigt, häufig von jungen Männern mit Migrationshintergrund“, sagt er.

Wüste verbale Entgleisungen

Was sich in den vergangenen Jahren auch geändert hat: Selbst banalste Anlässe reichen aus, damit Leute gegenüber der Polizei ausfallend werden und völlig die Kontrolle verlieren, wie ein Fall aus Recklinghausen bei einer Bombenentschärfung zeigt, bei der ein Mann ohne Anlass die Polizisten verbal anging: „Ihr Wichser, ihr Vollidioten, ihr Bullenschweine, euch sollte man die Köpfe einschlagen. Wenn ich euch Pisser das nächste Mal sehe, breche ich euch die Nasenbeine. Vor euch Scheiß-Bullen braucht man keinen Respekt zu haben, weil ihr alles Vollidioten seid“, soll der Mann gesagt haben. Grundsätzlich würden die Menschen sehr gereizt auf Polizisten reagieren, bestätigt Andreas Czogalla, Sprecher der Polizei Düsseldorf. „Und es kommt häufiger zum Einmischen von Unbeteiligten, die sich mit den Streithähnen solidarisieren“, sagt Czogalla.

Polizisten werden auch immer häufiger bedroht, wie Beispiele aus dem Polizeialltag zeigen: „Ich weiß, wo du wohnst“, „Ich bringe dich um“, „Man sieht sich immer zweimal“, „Das nächste Mal hast du keine Uniform mehr an“, „Ich kenne die Bandidos und arabische Clans, die machen euch fertig“.

NRW-Innenmister Herbert Reul (CDU) verurteilt die Beleidigungen. „Das ist verbale Gewalt gegenüber denjenigen, die helfen und jeden Tag den Kopf für uns hinhalten“, sagte Reul unserer Redaktion. Deshalb müsse auch jede Beleidigung konsequent verfolgt und geahndet werden. „Jeder Angriff, körperlich oder verbal, auf Polizeibeamte ist einer zu viel. Dafür gibt es keine Entschuldigung, auch nicht Alkohol“, so Reul.

Damit spricht Reul das an, was viele Polizisten ärgert: Selbst übelste Beleidigungen blieben demnach sehr häufig ohne Folgen. „Immer wieder kommen sie davon, weil sie betrunken waren oder unter Drogen standen. Vor Gericht kommen sie damit dur ch. Das frustriert uns. Und das Schlimme ist: Die Täter wissen das genau“, sagt ein Polizist, der anonym bleiben möchte.

Freches kennt das: „Oftmals sind die Leute alkoholisiert oder stehen unter Drogen. Deswegen kommt es auch zu Widerstandshandlungen. Die Leute haben überhaupt kein Schmerzempfinden mehr, wehren sich gegen jede polizeiliche Maßnahme. Dann werden wir getreten, bespuckt und beleidigt“, sagt Freches.

Neben dem 46-Jährigen wollte nur noch eine weitere Polizistin im Zuge der Umfrage über ihre Gewalterfahrungen sprechen. Aber als sie erfahren hat, dass sie nach Freches die einzige weitere Polizisten im Land ist, die sich äußern will, hat sie kurzfristig das Interview abgesagt. Ihren Fall dürfen wir trotzdem schildern – anonym. Demnach erhielt sie bei einem Einsatz vor einer Diskothek aus der Menge heraus völlig unvermittelt mehrere gezielte Faustschläge ins Gesicht. Sie erlitt eine Gehirnerschütterung und zahlreiche blaue Flecken. Sie benötigte psychologische Hilfe. Sie hat nach eigenen Angaben eine lange Zeit daran zu knabbern gehabt.

Ein betroffener Polizist, der anonym bleiben möchte, sagt, dass es bei ihm die Scham sei, die ihn daran hindere, in der Öffentlichkeit darüber zu sprechen. „Wir sind fast täglich auf der Straße. Da kann ich es mir nicht erlauben, Schwäche zu zeigen. Wenn das die Falschen mitbekommen, werde ich nicht mehr ernst genommen“, sagt er. Was ihm widerfahren ist, möchte er nicht sagen.

Mönchengladbachs Polizeipräsident Mathis Wiesselmann sagt stellvertretend für die mehr als 40.000 Polizisten im Land: „Festzuhalten bleibt, dass die Polizei auch bei Widerstand die notwendigen Maßnahmen durchführt. Beleidigungen, Widerstände und Körperverletzungen sind unerträgliche Begleiterscheinungen von Einsätzen, trotzdem setzen wir als Polizei die erforderlichen Maßnahmen durch.“

Payk Freches hat lange gebraucht, um den Einsatz, in dem er Todesangst verspürt hat, zu verarbeiten. Viele Gespräche mit seinen Kollegen haben ihm dabei geholfen. Einen Psychologen hat er nicht gebraucht. Besonders sind ihm die Minuten in Erinnerung geblieben, in denen er mit seinem Kollegen auf die Unterstützungskräfte gewartet hat. „In so einer Situation kommt einem das wie eine Ewigkeit vor“, sagt Freches. Der 46-Jährige verklagt den Täter zivilrechtlich, weil es ihm um sein Recht geht. Er erhält Schmerzensgeld. Bis heute ärgert ihn das Verhalten des Anwalts der Gegenseite. „Er hat zu mir gesagt, dass er es leid sei, immer zum Gericht zu fahren. Er bezahle jetzt einfach und die Sache sei geregelt“, sagt er. „Von einem Schuldeingeständnis war da keine Spur.“