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Oleksandr SyrskyjDer neue ukrainische Generalstabschef hat viele Gegner

Lesezeit 4 Minuten
Wolodymyr Selenskyj (M), Präsident der Ukraine, Olexander Syrskyj (r), Kommandeur der ukrainischen Bodentruppen, und Roman Maschowez, stellvertretender Leiter des Präsidialamtes, betrachten eine Landkarte während ihres Besuchs in der Frontstadt in der Region Charkiw. 

Präsident Wolodymyr Selenskyj (M), der damalige Heereschef Oleksandr Syrskyj und Roman Maschowez, stellvertretender Leiter des Präsidialamtes, Ende 2023 in der Region Charkiw.

Neuer Mann an der Spitze des ukrainischen Militärs: Was ist von Oleksandr Syrskyj zu erwarten? Was kann der neue Generalstabschef überhaupt anders machen als Vorgänger Walerij Saluschnyj?

Der russische Präsident Wladimir Putin betrachtet die Ukrainer bekanntlich als abtrünnigen Teil der eigenen, russischen Nation, den es mit militärischer Gewalt, Folter und Deportationen zu unterwerfen und umzuerziehen gilt. Nun mag er sich in seiner Auffassung bestätigt sehen, denn an der Spitze des ukrainischen Militärs bekommt er es fortan mit einem gebürtigen Russen zu tun. General Oleksandr Syrskyj wurde am 26. Juli 1965 im russischen Bezirk Wladimir geboren, spricht Russisch als Muttersprache und hat 1986 die Moskauer Militärakademie abgeschlossen. Seinen privaten Wohnsitz allerdings hat er schon seit den 1980er Jahren auf dem Gebiet der Ukraine, damals noch Sowjetrepublik, heute ein unabhängiger Staat.

Die russischen Militärs haben ihren einstigen Landsmann Syrsksyj schon früher kennen und fürchten gelernt. Syrsksyj, von einer Ausbildung Artillerieoffizier, hatte seit 2014 entscheidenden Anteil am Kampf gegen von Russland gesteuerte sogenannte Rebellen im Donbass. Seit 2019 ist er Chef des ukrainischen Heeres, seit 2020 als Drei-Sterne-General mit dem damals noch vergebenen Titel eines Generaloberst. Nun, als Generalstabschef, steht ihm der vierte Stern zu.

Streit um Erfolge bei Kiew und Charkiw

Kaum war die Ernennung von Syrskyj bekannt, da hob in sozialen Medien das übliche Geraunze seiner Gegner an, deren Sprachrohr der anonyme und aus Militärkreisen stets trefflich mit Informationen versorgte Blogger Tatarigami ist. Syrskyjs vermeintliche Erfolge, erfahren wir da, seien in Wirklichkeit keine. Die ukrainische Armee mag die russischen Angreifer 2022 bei Kiew zurückgeschlagen, dann im Handstreich bei geringen eigenen Verlusten große Teile des Bezirks Charkiw befreit haben – das alles ist für diese Leute irrelevant. Vielmehr schmücke sich Heereschef Syrskyj in der Charkiw-Offensive mit fremden Federn, nämlich mit den Leistungen seiner untergebenen Offiziere.

Man könnte das allerdings auch genau anders lesen: Syrskyj, das hat der Ukraine-Korrespondent Denis Trubetskoy schon vor einem knappen Jahr betont, vertritt das Prinzip hoher Entscheidungsfreiheit der Kommandeure vor Ort. Bei der Bundeswehr würde man das Führung durch Auftrag nennen. Dieser prononciert westliche Führungsstil passt ganz und gar nicht zu der Behauptung seiner Gegner, in Syrskyj habe man einen Sowjet-Offizier alter Prägung vor sich. Wer Syrskyj mit Sowjet-Anspielungen kritisiert, macht ihm letztlich sein Alter zum Vorwurf. Vorgänger Walerij Saluschnyj dagegen war beim Zusammenbruch der Sowjetunion erst 18 und durchlief seine Militärkarriere von Anfang an in den Streitkräften der unahbängigen Ukraine.

Ein Geniestreich Syrskyjs war im Frühjahr 2022 die Sprengung eines Staudamms nahe Kiew. Die russischen Angreifer standen im Weichbild der ukrainischen Hauptstadt und wären wohl dort eingerückt, wenn die ukrainische Armee ihren Vormarsch nicht durch die Überflutung gestoppt hätte. Entsprechend groß sind die Hoffnungen, die sich heute auf ihn richten. Aber wird er den von Präsident Wolodymyr Selenskyj ausgerufenen Neustart hinbekommen? Vor Kiew und später bei Charkiw traf Syrskyj auf stümperhaft agierende Gegner. Die Russen waren in Erwartung eines schnellen Sieges auf Kiew zumarschiert, ohne ihre Flanken zu decken und den Nachschub zu sichern. Im Bezirk Charkiw hatten sie die Frontlinie nur unzureichend gesichert.

Angreifer werden ihre Fehler nicht wiederholen

Solche Fehler werden die Angreifer nicht wiederholen. Daher sind vergleichbare Blitzerfolge auch mit dem tüchtigsten ukrainischen Kommandeur an der Spitze nicht zu erwarten. Vielmehr haben die Besatzer ein monströses System aus Gräben und Minenfeldern angelegt. Der Versuch, durch diese Felder vorzudringen, ist im Süden der Ukraine auf mehreren Achsen steckengeblieben. Zudem ist Syrskyj für die Entscheidung verantwortlich, das strategisch wenig bedeutende Bachmut zäh zu verteidigen und dann, nach dessen Einnahme durch die Gruppe Wagner, nördlich und südlich der zerstörten Stadt Gegenangriffe zu führen. Die damalige Vize-Verteidigungsministerin Hana Maljar tönte gar von einer bevorstehenden strategischen Einkesselung der Russen. Sie ist bis heute nicht vollendet. Am Ende werden Historiker bewerten müssen, ob die hohen Verluste, die die ukrainischen Verteidiger den russischen Angreifern bei Bachmut zugefügt haben, die eigenen Opfer wert waren, die Syrskyj seinen Leuten zumutete.

Was zeigt: Wunderdinge sind auch von Syrskyj nicht zu erwarten. Ohnehin ist die Vorstellung überholt, moderne Kriege würden in einzelnen großen Schlachten entschieden. Eher geht es um die Schädigung der gegnerischen Logistik, der militärischen Infrastruktur, der Treibstoff- und Waffenproduktion. Hier hat die Ukraine 2023 maßgebliche Erfolge erzielt: das Brechen der russischen Seeblockade, die Schwächung der russischen Luftabwehr, die Zerstörung eines großen Teils der Schwarzmeerflotte und zahlreicher Militäreinrichtungen auf der Krim, Schläge gegen Tanklager, Raffinerien und das russische Transportsystem. Auch die Bodenoffensive, die Syrsykyjs Soldaten im Süden der Ukraine führten und bei der sie nicht recht vorankamen, hatte ja das primäre Ziel, russische Logistikrouten zu unterbrechen.

Der neue Mann an der Spitze des ukrainischen Militärs ist also mit den alten Problemen konfrontiert, die er als Heereschef bereits kannte. Und es ist sehr die Frage, ob die von ihm erwarteten neuen Lösungen so ganz ausfallen als das, was sein Vorgänger Saluschnyj im Sinn hatte: kleinteilige, indirekte Kriegsführung mit ferngelenkten Waffen statt martialischer Panzerangriffe. Nur erschien Saluschnyj, Typ charmantes Raubein, in der ukrainischen Öffentlichkeit schier unangreifbar. An Syrskyj dagegen haben sich die Meinungen schon immer geteilt.