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Nach Erdogans WahlsiegPolitische Gefangene in der Türkei kämpfen um ihre Freiheit

Lesezeit 4 Minuten
Recep Tayyip Erdogan (M), Staatspräsident der Türkei, winkt Anhängern vor seiner Residenz in Istanbul.

Der amtierende türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat die Stichwahlen in seinem Land gewonnen und seine Herrschaft auf ein drittes Jahrzehnt ausgedehnt.

Eine Vielzahl ehemaliger Weggefährten des Präsidenten Erdogan sind in der Türkei inhaftiert. Der Tag ihrer Freiheit rückt in weite Ferne.

Der kleinen Vera musste ihre Mutter am Wahlabend erklären, dass ihr Papa wohl noch länger nicht nach Hause kommen wird. Nein, sie werde nicht vaterlos aufwachsen, habe sie die Dreijährige beruhigt, erzählt Meric Demir Kahraman: „Papa wird nach Hause kommen, es wird nur noch etwas dauern.“

Tayfun Kahraman sitzt seit 13 Monaten im türkischen Hochsicherheitsgefängnis Silivri – wegen Beihilfe zum versuchten Umsturz der staatlichen Ordnung zu 18 Jahren Haft verurteilt, weil er sich vor zehn Jahren in einer Bürgerinitiative zum Schutz eines Stadtparks engagiert hatte.

Die Wiederwahl von Präsident Recep Tayyip Erdogan bedeutet für seine Aussichten auf Gerechtigkeit und Freiheit einen bitteren Rückschlag; doch Meric Demir Kahraman will die Hoffnung und den Kampfgeist nicht aufgeben. Der Kampf um Recht und Freiheit gehe weiter, sagte sie unserer Redaktion. Vielleicht werde der Berufungsgerichtshof nun, da die Wahl vorbei sei, die Unabhängigkeit der Justiz demonstrieren wollen und das Urteil gegen ihren Mann kassieren.

Tausende politische Gegner Erdogans sitzen hinter Gittern

Wie Tayfun Kahraman sitzen in der Türkei tausende Menschen hinter Gittern, weil ihre Ansichten der Regierung nicht gefallen; und ebenso wie die Kahramans wollen sich viele politische Gefangene und ihre Familien nicht von Erdogans erneutem Wahlsieg entmutigen lassen.

Das kann die Istanbuler Rechtsanwältin Eren Keskin bezeugen, die viele Mandanten hinter Gittern hat und seit Jahrzehnten selbst stets mit einem Bein im Gefängnis steht. Zwar bedeute der Wahlsieg von Erdogan, dass es nun erstmal so weitergehen werde, sagte Keskin unserer Redaktion.

Aber die türkische Gesellschaft sei historisch abgehärtet, erinnert sie an Verfolgungen und Unterdrückungen vergangener Zeiten – auch vor Erdogan war die Türkei kein freiheitlicher Rechtsstaat. „Nein, wir geben die Hoffnung nicht auf“, sagt die Anwältin. „Denn wenn die Hoffnung endet, dann endet der Kampf.“

Viele politische Gefangenen waren zeitweise Weggefährten Erdogans

Hinter Gittern die Hoffnung zu bewahren, kann nach der Wahl nicht leicht sein. „Solange wir an der Macht sind, kommt er nicht mehr raus“, verkündete Erdogan noch in seiner nächtlichen Siegesrede über seinen inhaftierten Rivalen Selahattin Demirtas. Die jubelnde Menge vor dem Präsidentenpalast antwortete mit einem Sprechchor: „Hängt ihn auf, hängt ihn auf!“ Demirtas reagierte mit einer Botschaft aus der Zelle: „Wir werden uns niemals beugen“, schwor er. „Der Kampf geht weiter, weiter, weiter ...“

Einst selbst Präsidentschaftskandidat, sitzt Demirtas seit fast sieben Jahren hinter Gittern, weil er nicht mit Erdogan paktieren wollte, als der die Kurden für sein Präsidialsystem einspannen wollte. Von Kurden über einstige Anhänger des Predigers Fethullah Gülen bis hin zu liberalen Bürgerrechtlern waren viele der politischen Gefangenen zeitweise Weggefährten von Erdogan auf dessen Weg zur absoluten Macht.

Wir sind der Beweis für ihre Ungerechtigkeit und Grausamkeit

Recht und Gerechtigkeit seien das Fundament seiner Regierung, betonte Erdogan nach der Stichwahl. „Wir sind der lebende Beweis, dass das nicht stimmt“, so Meric Demir Kahraman. „Wir sind der Beweis für ihre Ungerechtigkeit und Grausamkeit.“ Wegen angeblicher Fluchtgefahr wird ihr Mann im Hochsicherheitsgefängnis Silivri gehalten, obwohl seine Berufung anhängig ist und er während seiner Prozesse nie einen Termin versäumt hatte.

Jede Woche fährt sie mit ihrem Kleinkind die knapp hundert Kilomater hinaus zur Haftanstalt, wo sich die Familie beim Besuchstermin durch eine Trennscheibe sehen und über einen Telefonhörer sprechen kann. Nur einmal im Monat dürfen sie sich anfassen, umarmen und eine Stunde zusammen verbringen. „Und wir sind nur ein einziges Beispiel von so vielen“, sagt Kahraman.

Anwältin Eren Keskin sieht weiter Anlass zur Hoffnung

Landesweit sind nach Schätzung von Eren Keskin tausende Menschen aus politischen Gründen im Gefängnis. Sie selbst ist allein in diesem Monat mehrfach vorübergehend festgenommen worden, weil sie mit den sogenannten Samstagsmüttern für Aufklärung von staatlichen Morden aus den 90er Jahren demonstrierte.

Dennoch sieht die Anwältin noch immer Anlass zur Hoffnung, auch nach dem Ausgang der Präsidentenwahl. „Erdogan ist ein höchst pragmatischer Politiker“, sagte Keskin unserer Redaktion: Wenn er aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen einen Vorteil darin sehe, könne er jederzeit den Kurs wechseln. Verzweiflung komme jedenfalls nicht in Frage, sagt sie: Der Kampf gehe weiter.