„Mich entsetzt die Kaltherzigkeit“Grünen-Chef Habeck über das Klimapaket
- Auch Grünen-Chef Robert Habeck entsetzt das Klimapaket der Regierung.
- Außerdem spricht er über eine notwendige Investitionsoffensive und seine Pläne für die Schuldenbremse.
Wie bewerten Sie im Großen und Ganzen das Klimaschutzpaket der Bundesregierung? Ist das der erhoffte große Wurf?
Habeck: Nein. Mich entsetzt die Kaltherzigkeit, mit der die Bundesregierung eine klimapolitische Wende verweigert. Ich war gestern auf der Demo, als die ersten Ergebnisse durchsickerten. Die Leute um mich herum waren schlicht fassungslos. Sie hatten Tränen in den Augen, vor Enttäuschung und Wut. Die große Koalition wendet sich damit von den Pariser Klimazielen ab. Und sie zerstört die Hoffnung all der Menschen, die hier monatelang gekämpft haben. Aber vor lauter Selbstbeschäftigung hat die Regierung offenkundig nicht daran gedacht, wie ihr Agieren nach außen wirkt und wem sie verpflichtet ist.
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien soll beschleunigt werden. Ist das nicht eine gute Nachricht für die Grünen?
Beschleunigt? Nicht im Ernst. Der Windkraftausbau an Land wird faktisch unmöglich. Damit würgt die Bundesregierung eine Zukunftsbranche ab. Bei der Sonnenenergie bleibt sie jeden praktischen Schritt schuldig. Dabei gibt es doch eine zwingende Logik: Ohne Erneuerbare Energien gibt’s keinen Klimaschutz, keinen Kohleausstieg, keinen Strom für Elektroautos. Das ist das kleine Einmaleins der Energieversorgung.
Um den CO2-Preis hat die Koalition am meisten gerungen. Was halten Sie vom hier erzielten Ergebnis? 2021 sollen Benzin und Diesel um 3 Cent teurer werden, bis 2026 dann 10 Cent.
Dieser CO2-Preis ist kein Preissignal, sondern wieder nur pillepalle. Er kommt zu spät und ist mit 3 Cent pro Liter Benzin als Einstieg viel zu schwach. Es ist etwa der Unterschied zwischen acht und zehn Uhr an der Tanke nebenan.
Der Koalition ging es darum, Wirtschaft und Verbraucher nicht zu sehr mit Kosten zu belasten, um den gesellschaftlichen Frieden nicht zu gefährden wie in Frankreich, wo die Gelbwesten Macron das Leben schwer machen. Ist das nicht der richtige Ansatz?
Nein, aus Angst nichts zu tun, ist der falsche Ansatz. Ja, Klimaschutz, Wirtschaft und Soziales gehören zusammen. Deshalb haben wir immer gesagt, es braucht erstens einen Preis, der ein klares Signal zur Umkehr gibt; klimaschädliches Wirtschaften wird bestraft, klimafreundliches lohnt sich. Und zweitens sollten die Einnahmen aus der Besteuerung vollständig an die Menschen zurückgegeben werden. Hat übrigens auch die SPD versprochen. Aber jetzt nicht mal den vollständigen sozialen Ausgleich, sondern nur 70 Cent Strompreissenkung pro Monat für eine Durchschnittsfamilie – und mehr Geld für gut verdienende Pendler.
Die SPD hat ein sektorspezifisches Monitoring durchgesetzt, das heißt jeder Bereich soll jährlich nachweisen, ob er seine Ziele zur CO2-Reduktion erreicht. Das ist doch in Ihrem Sinne!
Auch das ist doch nicht zu Ende gedacht. Wo ist die Verbindlichkeit? Was passiert denn, wenn Ziele nicht eingehalten werden? Dann überlegt das Kabinett, was es denn mal so machen könnte. Na besten Dank.
Knackpunkt ist die Finanzierung des Klimaschutzes. Wie mutig finden Sie die Lösungen der Regierung?
Auf einer Skala von null bis zehn? Null mutig. Mir ist völlig schleierhaft, wie Finanzminister Olaf Scholz die notwendigen Aufgaben im Klimaschutz aus dem laufenden Haushalt finanzieren will. Die einzige zusätzliche Finanzierungsquelle, die die Koalition anführt, ist der Zertifikatehandel. Und mit Verlaub, dieses Geld gehört den Menschen. Ich glaube außerdem, die gesamte Koalition hat nicht verstanden, welch enormen Investitionsbedarf es in diesem Land gibt, schon ohne Klimaschutz – und mit Klimaschutz erst recht. Und sie verkennt genauso die Chancen, die sich aus einer Investitionsoffensive ergeben, gerade in Zeiten wie diesen.
Wie stellen Sie sich das genau vor?
Wir können zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wir müssen für Klimaschutz die Wirtschaft modernisieren, die öffentliche Infrastruktur stärken - Schienenverkehr, Öffentlicher Nahverkehr, Ladesäuleninfrastruktur. Das kostet viel Geld. Gleichzeitig laufen wir in eine konjunkturelle Krise rein, die Europa in einem erbärmlich schlechten Zustand trifft. Die Möglichkeiten der Geldpolitik, mit niedrigen Zinsen gegenzusteuern, sind aufgezehrt. Wir müssen investieren.
Nicht Kurzarbeit ist das Mittel der Wahl gegen eine Konjunkturkrise, sondern mehr Investitionen?
Ein Mittel, ja. Deutschland als das Land mit dem ausgeglichenen Haushalt hat da in Europa eine große Verantwortung. Es ist geopolitisch fahrlässig, wenn die CDU so tut, als sei das Festhalten an der schwarzen Null eine europäische Pflicht. Diese falsche Politik gefährdet die Stabilität in Europa. Obendrein ist es Unsinn. Pflicht für die Euro-Staaten sind die Europäischen Stabilitätskriterien, die sehen eine schwarze Null ja gar nicht vor. Sie lassen sogar einen größeren Spielraum für die staatliche Kreditaufnahme als die deutsche Schuldenbremse.
Wie wollen Sie die Schuldenbremse in der Verfassung umgehen?
Wir wollen die Schuldenbremse reformieren. Es ist richtig, dass sich der Staat bei der Kreditaufnahme Grenzen setzt. Wir haben aber heute eine völlig andere Situation als vor zehn Jahren, als die Schuldenbremse eingeführt wurde: Die Zinsen sind niedrig oder sogar negativ, Deutschland fährt wegen fehlender Investitionen schon jetzt auf Verschleiß.
Können Sie das etwas konkreter machen?
Aus ökonomischer Vernunft sollten wir die Schuldenbremse an die europäischen Vorgaben anpassen. Damit sinkt die Verschuldung weiter, aber wir schaffen einen Spielraum von bis zu 35 Milliarden Euro. Diese Mittel sollen in einen überjährigen Investitionsfonds fließen, aus dem zum Beispiel die Klimaschutz-Maßnahmen wie etwa die Rettung der Wälder bezahlt werden, die keine eigenen Einnahmen bringen. Um diesen Fonds abzusichern, bräuchte es eine Änderung des Grundgesetzes. Eine ehrliche Reform der Schuldenbreme verbunden mit einer Investitionspflicht ist mir allemal lieber als das Klammern am falschen Versprechen der Schwarzen Null.
Aber die Grünen wollen die Schuldenbremse doch auch umgehen, indem sie etwa Investitionsgesellschaften ertüchtigen, sich anstelle des Bundes zu verschulden.
Nein. Solche Investitionsgesellschaften soll es nur da geben, wo sich die Investitionen durch spätere eigene Einnahmen refinanzieren. Etwa eine Ladesäulen-Infrastrukturgesellschaft, die den Ausbau der Ladesäulen finanziert, und hinterher die Einnahmen aus dem Stromverkauf erhält.
Brauchen wir ein Klimaschutz-Ministerium?
Wir bräuchten eine Klimaschutz-Regierung. Bisher kann das Finanzministerium überall aus Haushaltsgründen ein Veto einlegen. Das müsste künftig auch das Umweltministerium aus Klimaschutzgründen machen dürfen.
Warum wollen die Grünen in Brandenburg und Sachsen unbedingt mitregieren?
Weil der Sinn von Politik ist, zu verändern. Das geht am besten, wenn man regiert. Brandenburg und Sachsen die beiden Länder, wo jetzt der Ausstieg aus der Braunkohle organisiert werden muss – und der Einstieg in neue Perspektiven. Es ist Aufgabe der Grünen, da voranzugehen. Gerade, weil wir den Ausstieg aus der Kohle wollen, sind wir auch dafür verantwortlich, uns um neue wirtschaftliche Entwicklung in den Regionen zu kümmern. .
Für die Fraktionsführung gibt es die Kampfkandidatur von Cem Özdemir. Ist das ein Zeichen dafür, dass es unter der Oberfläche gärt bei den Grünen?
Nein, das sehe ich nicht so. Wettbewerb ist in Demokratien das Normalste von der Welt.
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Würden die Grünen nicht profitieren, wenn Özdemir wieder in der vorderen Reihe stünde?
Ich bitte um Verständnis, dass ich nicht einzelne Kandidaten beurteile. Die Wahl ist eine Angelegenheit der Fraktion. Mir geht es darum, dass die Zusammenarbeit zwischen Partei und Fraktion weiter so vertrauensvoll und harmonisch funktioniert - wie immer die Fraktionsführung nach der Wahl aussieht.