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Kremlkritiker prophezeit Putins Ende„Wir werden etwas über Donald Trump und Marine Le Pen herausfinden“

Lesezeit 4 Minuten
Der Kremlgegner Wladimir Kara-Mursa hat dem Regime von Wladimir Putin einen schnellen Zusammenbruch vorhergesagt. (Archivbild)

Der Kremlgegner Wladimir Kara-Mursa hat dem Regime von Wladimir Putin einen schnellen Zusammenbruch vorhergesagt. (Archivbild)

Wladimir Kara-Mursa ist der prominenteste Kremlkritiker – und nun in Freiheit. In London hat er über Russlands Zukunft gesprochen.

Der im Sommer aus russischer Haft frei gekommene Kremlkritiker Wladimir Kara-Mursa hat dem Regime von Wladimir Putin einen „schnellen Zusammenbruch“ ohne Vorwarnung vorausgesagt. „So ist das in Russland“, erklärte Kara-Mursa dem britischen „Guardian“ und fügte an: „Sowohl das Romanow-Reich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als auch das Sowjetregime am Ende des 20. Jahrhunderts brachen innerhalb von drei Tagen zusammen.“ Das sei „keine Metapher“, versicherte der gelernte Journalist, „in beiden Fällen waren es buchstäblich drei Tage“.

Der Schlüssel für ein freies und demokratisches Russland und Frieden in Europa sei Russlands Niederlage in der Ukraine, führte Kara-Mursa aus. „Ein verlorener Angriffskrieg“ sei stets die größte Triebfeder für Wandel in Russland gewesen, so der Kremlkritiker. Das russische Volk müsse kollektiv Verantwortung übernehmen, forderte Kara-Mursa, der aber auch westliche Staats- und Regierungschefs in die Pflicht nahm.

Wladimir Kara-Mursa prophezeit Putin-Regime schnellen Fall

Auch diejenigen, die „all die Jahre lang Gas von Putin gekauft, ihn zu internationalen Gipfeltreffen eingeladen und rote Teppiche ausgerollt haben“, müssten Verantwortung übernehmen, forderte der russische Oppositionelle.

Nach Putins Sturz werde „die Wahrheit“ ans Licht kommen, prophezeite Kara-Mursa. „Diese Leute führen akribisch Buch. Wenn das Ende kommt – und das wird es – werden die Archive geöffnet, wir werden etwas über Donald Trump und Marine Le Pen herausfinden und auch über ihre britischen Leute“, so Kara-Mursa.

Kremlkritiker schildert „ideologischen Hass“ beim russischen Geheimdienst

Der Kremlkritiker schilderte dem „Guardian“ auch seine Eindrücke von Gefängnismitarbeitern in Russland. „Die Polizisten, die Gefängnisbeamten, die Richter, die Staatsanwälte, sie glauben an nichts“, erklärte Kara-Mursa. Die wenigsten seien „pathologische Sadisten“, überwiegend würden sie einfach nur ihren Job erledigen.

„Aber bei der Alpha-Gruppe, der FSB-Sondereinheit, die uns eskortierte, sah ich ideologischen Hass“, erinnerte sich der Kremlkritiker an seine Freilassung aus russischer Haft im Sommer, bei der im Gegenzug auch der sogenannte Tiergarten-Mörder frei gekommen und nach Russland überstellt worden war.

Kara-Mursa über Freilassung: „Ich habe ihm ins Gesicht gelacht“

Die Agenten des russischen Inlandsgeheimdienst FSB glaubten jedoch tatsächlich an die Ideologie von Kremlchef Putin und dem Machtapparat in Moskau, erklärte Kara-Mursa. „Sie glauben an diese Dinge und das ist noch viel beängstigender.“ So habe einer der Agenten auf dem Flugfeld in Russland zu ihm gesagt, er solle noch einmal aus dem Fenster schauen, erinnerte sich der Kremlkritiker. Es sei das letzte Mal, dass er sein Heimatland sehen werde.

Bundeskanzler Olaf Scholz (r, SPD) unterhält sich Anfang September mit Wladimir Kara-Mursa, russisch-britischer Politiker und Journalist, im Bundeskanzleramt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (r, SPD) unterhält sich Anfang September mit Wladimir Kara-Mursa, russisch-britischer Politiker und Journalist, im Bundeskanzleramt.

Kara-Mursa ist jedoch vom Gegenteil überzeugt, erklärte er dem „Guardian“ – und schilderte seine Antwort an den Geheimdienstler. „Ich habe ihm ins Gesicht gelacht“, so der Kremlkritiker. „Hören Sie, ich bin Historiker. Ich denke nicht nur, ich glaube nicht nur, ich weiß, dass ich wieder zu Hause sein werde, und zwar viel schneller, als Sie sich das vorstellen können“, habe er dem Agenten schließlich versichert.

„Ich war überzeugt, dass ich im Gefängnis sterben werde“

Dass er nun in Freiheit ist, sei immer noch ein „surreales“ Gefühl, erklärte Kara-Mursa zudem. „Ich war überzeugt, dass ich im Gefängnis sterben werde.“ Die Freilassung habe er immer noch nicht komplett verarbeitet. „Es ist ein wunderbarer Film, aber er fühlt sich trotzdem nicht real an“, sagte der Kremlkritiker der britischen Zeitung bei einem Gespräch in London.

Der führende russische Oppositionspolitiker hat den Westen nach seiner Freilassung bereits mehrfach davor gewarnt, Putin einen „gesichtswahrenden Ausweg“ aus dem Ukraine-Krieg zu gewähren. „Es ist sehr wichtig, dass Wladimir Putin den Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnen darf“, sagte er Anfang September.

Kremlkritiker: Wladimir Putin muss seinen Krieg verlieren

Zwar sei die „Ermüdung“, die im Westen wegen des Krieges herrsche, durchaus nachvollziehbar. Putin müsse aber „besiegt werden“, erklärte Kara-Mursa und fügte an: „Wenn, Gott bewahre, das Putin-Regime den Ausgang dieses Krieges als Sieg für sich darstellen und an der Macht bleiben darf, werden wir in einem Jahr oder in 18 Monaten über einen weiteren Konflikt oder eine andere Katastrophe sprechen.“

Kara-Mursa war Anfang August im Rahmen des größten Gefangenenaustauschs seit dem Kalten Krieg zwischen Russland und dem Westen freigelassen worden, danach hatte er sich zunächst in Deutschland aufgehalten. Der russische Politiker ist einer der prominentesten Putin-Kritiker.

Die russischen Behörden hatten den heute 43-Jährigen im April 2022 inhaftiert, nachdem er Russland „Kriegsverbrechen“ gegen die Ukraine vorgeworfen hatte. Im April 2023 wurde er zu 25 Jahren Haft verurteilt, schließlich kam er in dem Gefangenenaustausch frei. Kara-Mursa hat zweimal rätselhafte Vergiftungen nur knapp überlebt. Dass der russische Geheimdienst dahintergesteckt hat, gilt als überaus wahrscheinlich.