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Korsos in deutschen StädtenWer hinter den Demonstrationen für Putin steckt

Lesezeit 7 Minuten
Demo in Kaufbeuren

Mit russischen Fahnen dekoriert sind Autos bei einer prorussischen Demonstration in Bayern. 

Köln – Während die ersten Bilder aus Butscha auf den Smartphones aufleuchten, setzen sich die Autos in Bewegung. Auf den Handybildschirmen: Leichen und Zerstörung in dem Vorort von Kiew. In den Straßen Berlins: Hunderte Autos mit russischen Fahnen. Die Teilnehmenden schwenken sie aus den Fenstern. Es läuft russische Musik. Was sich dort abspielt, bezeichnet der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk später auf Twitter als „Autokorso der Schande“. Es sollte weder der erste noch der letzte Protest dieser Art gewesen sein. Am vergangenen Sonntag fuhren hunderte Autos durch Hamburg,Hannover und Osnabrück. Zwei Wochen zuvor hatte ein prorussischer Autokorso, der von Köln nach Bonn fuhr, angesichts der Kriegsbilder aus der Ukraine für Aufregung gesorgt.

Wer macht mit bei den Autokorsos?

Professor Andreas Heinemann-Grüder forscht am Internationalen Konfliktforschungszentrum Bonn, einer unabhängigen gemeinnützigen Organisation, zu Russland und der Ukraine. Er sagt: „Solche Proteste sind global organisiert. Wir haben sie schon in Israel, Serbien, Zypern, Montenegro oder Italien gesehen“ Diejenigen, die sich in die Korsos einreihen seien nicht die Initiatoren. „Dahinter stecken Netzwerke“, sagt Heinemann-Grüder.

So werde etwa auf der russischen Social Media-Plattform „Odnoklassiki“ zu den Protesten aufgerufen. Doch auch über Internetseiten prorussischer Unterstützergruppen wie etwa Russkij Mir, übersetzt „Russische Welt“ lassen sich solche Aufforderungen finden. „Ganz versteckt sieht man sie auch auf den Internetseiten oder Chatgruppen der Russisch-Orthodoxen Kirche“, sagt Heinemann-Grüder. „Dort wird nach außen nicht aktiv dafür geworben, aber es wird etwa Geld für „die Opfer des Krieges der Ukraine“ gesammelt.“

Neu ist das Phänomen laut Heinemann-Grüder allerdings nicht. 2017, drei Jahre nach der Annexion der Krim habe es erstmals solche Proteste gegeben. „Meistens geht es dann darum, an sowjetischen Ehrenmalen Blumen niederzulegen. In Bonn war es etwa ein Stein zur Erinnerung an den "Großen Vaterländischen Krieg". Dass in Pandemiezeiten viele Proteste gegen die Corona-Maßnahmen als Autokorsos stattfanden, sei Zufall sagt er. „Obwohl Menschen aus dem Spektrum der Corona-Skeptiker auch russische Medien konsumieren und eventuelle eine prorussische Haltung haben, sehe ich da keinen direkten Zusammenhang.“

Russland nutzt gezielte Desinformation als Taktik

Was bewegt also die Menschen an solchen Protesten teilzunehmen, obwohl Netz und Medien voll sind mit Berichten von Kriegsgräuel und dem Leid in der Ukraine? Heinemann-Grüder sagt: „Viele Menschen in der russischen Gemeinschaft nehmen deutsche Medien eher eingeschränkt wahr. Es besteht ein grundsätzlicher Zweifel daran, dass hier wahrheitsgemäß berichtet wird. Von der Russischen Regierung heißt es dann dazu: Das ist alles inszeniert, das sind alles Fake News.“ Gerade die älteren Deutsch-Russen sind sowjetisch sozialisiert, und sie leben auch hier nur in ihrer russischen Welt.

Und noch eine Taktik der Russischen Propaganda spiele hierbei eine Rolle: Jeden Tag werde eine andere Geschichte oder Erklärung verbreitet. Heinemann-Grüder sagt: „Durch solch ein dichtes Netz an falschen Erzählungen ist es leicht, den Überblick zu verlieren. Dadurch befasst man sich nicht mit den Lügen von gestern, weil jeden Tag eine neue dazukommt.“

Die russische Propaganda wird begünstigt, weil Teile der russischen Bevölkerung seit Kriegsbeginn von kritisch beäugt werden. „Das spielt Russland natürlich in die Karten. Wenn etwa Kinder auf dem Schulhof wegen ihrer russischen Herkunft angepöbelt werden, da kann man dann sagen: Russen sind die Juden von heute im vermeintlich guten Deutschland.“ Die Desinformation spiele eine maßgebliche Rolle. In Russland wisse ein Großteil nichts vom Krieg. „Wenn man dort mit den Menschen spricht heißt es: Bei uns ist doch alles okay.“

Demo in Hannover Putin

Eine Flagge der selbsternannten Volksrepublik Donezk (l) bei einer Demo in Hannover 

Umso mehr werde eine Ausgrenzung der Russen hierzulande dann als Skandal empfunden, wenn von ihnen erwartet wird, sich für Putins Krieg zu schämen, weil sie Russen sind. „Und dann kommen Putin und der Staat und bieten Schutz vor Anfeindungen.“

Und tatsächlich: In Berlin standen die Proteste in der letzen Woche nach Auskunft der Polizei unter dem Motto: „Keine Propaganda in der Schule - Schutz für russischsprechende Leute, keine Diskriminierung.“

Die Proteste in Bonn soll eine Frau namens Elena Kolbasnikova organisiert haben. Unserer Zeitung sagte auch sie, man wolle mit den Protesten ein Zeichen gegen die Anfeindungen setzen, denen in Deutschland lebende Menschen mit russischen Wurzeln ausgesetzt seien. Die Schuld am Konflikt in der Ukraine sieht die Frau nach eigener Aussage auf Seiten der Ukraine.

Heinemann-Grüder glaubt nicht, dass von den Teilnehmenden der prorussischen Autokorsos in Deutschland eine unmittelbare Gefahr ausgehe. „Zumindest sehe ich noch keine Gewaltbereitschaft innerhalb der Netzwerke.“

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Zu Straftaten komme es aber trotzdem immer wieder. So seien er und seine Stiftung zuletzt etwa selbst von Cyberattacken betroffen gewesen. In die Räume von Vereine und Instituten, die mit der Ukraine zusammenarbeiten, werde immer wieder eingebrochen. „Geklaut wird da meistens nichts. Die Täter wollten vermutlich Einblick in die Finanzdaten haben. Diese Infos werden dann etwa an den russischen Auslandsgeheimdienst weitergegeben.“

Diese Menschen werden dann gezielt gesucht.“ Fälle wie der Tiergartenmord, ein mutmaßlicher russischer Auftragsmord, der im Sommer 2019 in Berlin passierte, seien in Deutschland noch Einzelfälle. "Wir müssen aber davon ausgehen, dass es Netzwerke russischer Einflussagenten in Deutschland gibt, die bedarfsweise mobilisiert werden können.“

Wie ordnet der Verfassungsschutz die prorussischen Demonstrationen ein? In Nordrhein-Westfalen gebe es bislang keine Hinweise, dass diese durch russische Nachrichtendienste oder staatliche Stellen gesteuert werden, heißt es. „Vielmehr entsteht aktuell der Eindruck, dass die Aktionen von privaten Akteuren zum Beispiel bei Telegram initiiert werden und untereinander nur bedingt abgestimmt sind“, schreibt dazu das Innenministerium.

Von einer Gefahr durch die Proteste geht man auch dort nicht aus. Bei der Demonstration in Bonn seien zwar einige Motorradfahrer beobachtet worden, die die Kutten eines russisch assoziierten Unterstützer-Clubs trugen, das lasse aber noch keinen Rückschluss auf ein Netzwerk zu. Zumal es sich dabei nicht, wie vielfach berichtet, um Mitglieder der sogenannten „Nachtwölfe“ handele. (Der nationalistische Motorradclub ist eng mit Russlands Präsident Wladimir Putin verbunden.) „Grundsätzlich wird von einem friedlichen Verlauf solcher Veranstaltungen ausgegangen“, so das Innenministerium.

Strafrechtliche Verfolgung der Teilnehmenden schwierig

Was bleibt, sind die Symbole. Genauer gesagt einzelne Buchstaben. Vereinzelt trugen Demonstrierende etwa das „Z“ an ihren Fahrzeugen. Das wird seit Kriegsbeginn oft als Symbol der Unterstützung für die russischen Truppen verwendet– ebenso wie das „V“. Die Daily Mail bezeichnete zuletzt das „Z“ als eine Art neue Swastika, das Hakenkreuz Putins sozusagen. Ein weitreichendes Verbot dieses Symbols sei aber vorerst nicht möglich, heißt es vom Innenministerium, der Einzelfall sei entscheidend. Eine strafrechtliche Verfolgung für die Teilnahme oder Organisation der Proteste ist nach jetzigem Stand schwierig. (Siehe nächste Seite.) Und so fuhren am Sonntag wieder hunderte Autos zur Unterstützung Russlands durch die Straßen in Deutschland, während in den Vororten von Kiew weitere Massengräber mit toten Zivilisten entdeckt wurden.

Hintergrund: Die Rechtslage in Deutschland

Ist das Tragen des „Z“-Symbols strafbar?

Bei dem Symbol „Z“ handele es sich nicht um ein verbotenes Kennzeichen nach § 86a Strafgesetzbuches (StGB) , so das Innenministerium. Ob die Verwendung trotzdem strafbar sein kein, hänge vom Einzelfall ab. „Insbesondere müssten ein unmittelbarer inhaltlicher Zusammenhang mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und eine affirmative Haltung der Teilnehmer hierzu nachgewiesen werden können.“

Können Demonstrationen verboten werden?

Das Innenministerium verweist bei dieser Frage auf Artikel 8 des deutschen Grundgesetzes. Demnach sind die Proteste durch Versammlungsfreiheit geschützt. „Eine prorussische Agitation ist dabei kein Ausschlusskriterium für die Feststellung der Schutzwürdigkeit.“ Wegen der hohen Stellenwerts der Versammlungsfreiheit, sei ein Verbot oder eine Auflösung stets nur als letztes Mittel zulässig. Zuvor müsse versucht werden, eine mögliche Gefahr durch die Proteste durch „beschränkende Auflagen“ einzudämmen. Nach § 13 Abs. 2 Versammlungsgesetzes NRW können Behörden Versammlungen dann verbieten, wenn sie die öffentliche Sicherheit gefährden. „Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Versammlung einen unfriedlichen Verlauf erwarten lässt bzw. nimmt, wenn im Rahmen der Versammlungen Straftaten begangen werden (sollen) oder wenn etwa aufgrund der Zahl der teilnehmenden Fahrzeuge die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs in einem angemessenen Umfang nicht mehr gewähreistet werden kann“, so das Innenministerium.

Ist es „erlaubt“, für einen Krieg zu demonstrieren?

Hier gibt es keine generelle Antwort, schreibt das Justizministerium für Nordrhein-Westfalen auf Anfrage. „ Soweit strafrechtliche Konsequenzen zur Erörterung stehen, kommt bei den angesprochenen Unterstützungshandlungen insbesondere eine Strafbarkeit wegen Billigung von Straftaten gemäß § 140 Nummer 2 Strafgesetzbuch (StGB) in Betracht. Nach dieser Vorschrift wird derjenige, der bestimmte Straftaten - darunter Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen - in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Abbildungen oder anderen Inhalten im Sinne von § 11 Absatz 3 StGB billigt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Ob dieser Tatbestand bei einem Vorfall vorliege, ließe sich nicht allgemeingültig festhalten. „Vielmehr sind stets sämtliche Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu würdigen.“ (ebu)