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Interview

KI-Forscher zum Hyperscaler in Rhein-Erft
„Wir haben in Deutschland viel zu wenig digitale Infrastruktur“

Lesezeit 6 Minuten
Blick in ein Rechenzentrum, zwei Personen sind umgeben von Servern.

Ein Rechenzentrum von gigantischer Größe kann auch die Energiewende voranbringen, sagt KI-Experte Wolfgang Ketter.

KI-Forscher Wolfgang Ketter sieht im neuen Hyperscaler-Rechenzentrum von Microsoft Potenzial auch für die Mobilitätswende.

Im Rhein-Erft-Kreis plant Microsoft den Bau zweier Hyperscaler, riesiger Rechenzentren, die unter anderem für Anwendungen Künstlicher Intelligenz (KI) genutzt werden sollen. KI-Forscher Professor Wolfgang Ketter erklärt, warum das jetzt so wichtig ist.

Herr Professor Ketter, kam die Nachricht vom geplanten Bau der Hyperscaler für Sie überraschend?

Nicht wirklich, denn gerade mit der Weiterentwicklung der KI brauchen wir unbedingt Data Center, also Rechenzentren mit entsprechender Leistung. Ein Rechenzentrum ist ein physischer Raum, ein Gebäude oder eine Einrichtung für die IT-Infrastruktur zur Erstellung, Ausführung und Bereitstellung von Anwendungen und Services sowie zur Speicherung und Verwaltung der mit diesen Anwendungen und Services zugehörigen Daten. Ein „Hyperscaler“ ist ein Riesen-Rechenzentrum, das sehr große Daten verarbeiten und speichern kann, typischerweise in einer „Cloud-Plattform.“ Große Unternehmen, wie etwa Bayer und RWE in unserer Region, nutzen diese Hyperscaler, um sehr große Daten-Applikationen, Berechnungen und Services laufen zu lassen. Wir haben in Deutschland viel zu wenig digitale Infrastruktur.

Das Internet ermöglicht den Zugriff auf Strukturen weltweit. Warum ist es wichtig, Speicherkapazitäten vor Ort zu haben?

Vernetzung ist nur mit einer absolut hervorragenden digitalen Infrastruktur möglich, nur durch sie schaffen wir die Energie- und Mobilitätswende. Aktuell gehen wir von einer vertikalen Top-Down-Infrastruktur mit einzelnen sehr, sehr großen Kohlekraftwerken in eine sehr dezentrale Struktur von wetterabhängigen, nachhaltigen Energie- oder Elektrizitätsproduzenten. Die müssen koordiniert werden. Dafür muss man Anreize setzen. Dies ist dringend notwendig, denn die Erzeugung von erneuerbarem Strom ist nicht so gut vorhersehbar wie die Erzeugung von Kohlestrom. Daher muss in der erneuerbaren Energielandschaft die Nachfrage, auch lokal, besser kurzfristig koordiniert werden. Dieses Problem wird gelöst, wenn man Marktanreize so setzt, dass Nachfrageflexibilität entsteht. Man benötigt einen hohen Automatisierungsgrad, um diese nachfragebasierenden Entscheidungen alle zu koordinieren, also Künstliche Intelligenz, Telekommunikationsnetzwerke (Breitband und mobiles Internet) und Rechenzentren.

Welche Chancen bietet ein Hyperscaler mit Blick auf die Energiewende?

In der zukünftigen Energiewelt gehen wir von der fossilen Landschaft, in der Strom nach Bedarf erzeugt wurde, in eine Situation, die wetterabhängig ist. Um mit der jeweiligen Energie sinnvoll zu haushalten, müssen Signale gesetzt werden, digitale Impulse, die sagen: „Jetzt ist Strom verfügbar!“ Je nachhaltiger unsere Energie- und Verkehrslandschaft werden soll, desto mehr müssen wir automatisieren und brauchen für die erforderlichen Berechnungen Datenzentren.

Mit Solar- und Windstrom wird manchmal zu viel, manchmal zu wenig Strom produziert. Diese Zeitpunkte lassen sich aber vorhersagen. Data Center können intelligent steuern, wann welche Berechnungen durchgeführt werden sollen – idealerweise dann, wenn Strom günstiger ist, weil gerade große Mengen von Energie vorhanden sind. Wenn der Kunde flexibel ist, könnte er auf diese Weise einen günstigeren Preis bekommen. Flexibilität wird in der Zukunft der Energie- und Mobilitätswirtschaft ein großes Gut sein. Die Rechenzentren können sehr viel für diese Flexibilität tun.

Professor Wolfgang Ketter ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik (KI und Nachhaltigkeit) an der Universität zu Köln und Koordinator der Forschungsinitiative "Sustainable Smart Energy and Mobility". Er forscht zu KI, nachhaltiger Energie und Mobilität sowie zur Zukunft der Arbeit. Außerdem ist er energiepolitischer Berater der Bundesregierung und Mitglied des Global Future Council des Weltwirtschaftsforums in Davos.

Professor Wolfgang Ketter ist energiepolitischer Berater der Bundesregierung.

Welche Prozesse sind es zum Beispiel, die auf diese Weise zeitlich gesteuert werden können? Nutzer werden sich mit der Frage, wann sie Filme streamen, vermutlich nicht nach solchen Vorgaben richten.

Das Streaming ist ein besonderer Fall – und im Prinzip das Wenigste, was an Rechenleistung anfällt. Berechnungen von Großkonzernen nehmen enorm viel Speicherplatz und Energie weg, und die kann man einigermaßen planen. Sagt eine Firma: „Wir brauchen bestimmte Daten unbedingt genau jetzt“, könnte sie dafür einen Premiumtarif zahlen. Günstigere Preise könnte ein Unternehmen zahlen, das sagt: „Wir brauchen die Berechnung, aber es kommt nicht darauf an, ob heute oder nächste Woche.“

Angesichts des vorgezogenen Kohleausstiegs sorgt sich die Wirtschaft um Engpässe in der Stromversorgung. Steigt dieses Risiko durch den Energieverbrauch der Datenzentren?

Ich sehe da kein Problem. Diese Zentren sind in der Regel große, flache Gebäude. Microsoft sollte meiner Ansicht nach das ganze Dach mit Solarzellen ausstatten und Speicher bereithalten. Der größte Konkurrent von Microsoft, Google, ist mittlerweile nicht nur Technologiekonzern, sondern auch weltweit ein nachhaltiger Energiekonzern. Sie haben auf fast all ihren Gebäuden Solarzellen, neben den Gebäuden Windräder – und Speicher. Sie speichern und berechnen also nicht nur Daten, sondern tun auch etwas für erneuerbare Energien. Ich hoffe, dass die Politik in dieser Hinsicht positiv Druck auf Microsoft ausübt.

Im Fall von Unterversorgung im Stromnetz bei einem gleichzeitigem Energieüberschuss im Datencenter durch Solarzellen, Speicher, vielleicht auch, weil einmal nicht so viel berechnet werden muss, kann das Rechenzentrum auch als riesige Batterie fungieren und als virtuelles Kraftwerk das Netz ausgleichen. So kann das betreibende Unternehmen nochmal extra Gewinn für sich machen, aber auch etwas für die Gesellschaft tun. Damit, wie man das richtig plant und für alle nutzbar macht, beschäftigt sich meine Forschungsgruppe seit zwanzig Jahren. Insofern sehe ich weniger das Risiko von Versorgungslücken, sondern eher positive Chancen für die Energieversorgung.

Funktioniert der Ausgleich von Energieschwankungen nur unter der Prämisse, dass mit dem Hyperscaler zugleich eine Photovoltaikanlage entsteht?

Nein, das funktioniert auch, wenn die Rechenzentren nur am Netz hängen, dann aber etwas einseitiger. Dann kann der Data Center auf die vorhandene Menge an Strom reagieren, aber nicht selbst welchen abgeben. Aber Solarzellen und Speicher kosten ja heute nicht mehr viel, insofern ist es eine klare Sache, dass man da Solarzellen aufs Dach legen sollte. Wir wollen ja nicht nur die digitale Infrastruktur, sondern auch die Energiewende weiter vorankurbeln. Dafür könnte das hier ein Vorzeigeobjekt werden.

Kann NRW durch die Ansiedlung von Rechenzentren dieser Größe als mögliches Ziel von Anschlägen und/oder militärischen Angriffen verstärkt in den Fokus rücken?

Davon gehe ich nicht aus. Daten sind ja in erster Linie abstrakt, ob es nun Daten von einer Million oder einer Milliarde Menschen sind. Cybersecurity ist ein wichtiges Gut, aber etwa der Frankfurter Flughafen oder ein Atomkraftwerk wären viel gefährdetere Ziele. Viele Daten, zum Beispiel von Computerspielen, sind ja keine High Security Daten. Und wiederum: High Security Daten sind oft gar nicht sehr groß, und die kann man dann auch nochmal besonders schützen.

Sie sagen, Deutschland hat zu wenig digitale Infrastruktur. Wird mit den geplanten Anlagen erst einmal genug Kapazität vorhanden sein?

Das hängt davon ab, wie groß genau sie werden. Was wir aber vor allen Dingen brauchen, sind Datenautobahnen – die Glasfasernetze, Breitbandausbau, stabiles mobiles Internet, und da hapert es in Deutschland noch an allen Ecken und Enden. Das muss höchste Priorität haben, sonst schaffen wir niemals die Energie- und Mobilitätswende.

Inwiefern besteht ein direkter Zusammenhang zwischen digitaler Infrastruktur und der Mobilitätswende?

Digitale Infrastruktur ermöglicht zum Beispiel Vorhersagen über Verkehrsflüsse im Nahverkehr oder auch Smart Charging, das intelligente Laden von Elektroautos. So kann KI dabei helfen, Ressourcen besser und effizienter zu nutzen, Fahrten zu verbilligen, Stau zu reduzieren.

Wir erzeugen keine Verkehrswende dadurch, dass wir alle Verbrenner durch Elektroautos ersetzen; dann haben wir noch immer Staus. Wir brauchen ein anderes System. Dazu gehören auch autonome Fahrzeuge, deren Kapazität wir besser ausnutzen. Menschen machen Fehler, eine KI kann viel schneller und präzise große Datenmengen auswerten. Insofern ist sie wirklich etwas Gutes, mit dem wir die Welt der Arbeit neu erfinden und besser für uns alle machen.

Wir haben ja auch eine kognitive Überlastung und in der Regel anderes zu tun, als zum Beispiel Preise für wetterabhängigen Strom zu verfolgen. Also warum nicht die KI nutzen, die uns das sagt?