- Kamen Hochwasserwarnungen zu spät, gab es Fehler?
- NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) verspricht im Interview mit Raimund Neuß Aufklärung.
Frau Ministerin, in der Region gibt es Vorwürfe, die Kreise und damit die Bürger seien im Juli zu spät vor dem Hochwasser an Erft, Olef und anderen Flüssen gewarnt worden. Gab es da Fehler – und wenn ja, wo?
Das kann ich noch nicht abschließend sagen. Nach bisherigem Kenntnisstand hat die Meldekette funktioniert. Aber wir schauen uns für jeden Fluss und jede Kommune an, wie die Melde- und Warnketten verlaufen sind. Hier stehen wir in der Aufarbeitung noch am Anfang. Wir haben gerade 500 Seiten Dokumentation an den Landtag geschickt, damit genau nachvollzogen werden kann, wer, wann, wie gewarnt hat.
Zum Ablauf: Der Deutsche Wetterdienst gibt Unwetterwarnungen heraus. Die werden beim Landesumweltamt in hydrologische Lageberichte übersetzt, die an die Bezirksregierungen gehen. Die Bezirksregierungen wiederum informieren und warnen die Kommunen entsprechend der jeweiligen Meldeordnungen. Das geht unterschiedlich, per E-Mail, in manchen Fällen per Fax, wie ich jetzt entdeckt habe, oder per Telefon.
„Cell Broadcast“ bis Sommer 2022
Ein Mobilfunk-Warnsystem soll ab nächstem Jahr dafür sorgen, dass die Bevölkerung in Katastrophenfällen besser informiert ist. Die Einführung des Systems „Cell Broadcast“ sei bis zum Ende des Sommers 2022 machbar, teilte der Netzbetreiber Vodafone mit. Bei dem System werden Nachrichten wie Rundfunksignale an alle Handys geschickt, die in einer Zelle eingebucht sind – daher der Name „Cell Broadcast“. Im Gegensatz zu anderen Warnsystemen wie Nina oder Katwarn muss man keine App haben, um alarmiert zu werden. Die Bundesnetzagentur bereitet eine Richtlinie mit technischen Anforderungen vor.
40 Millionen Euro dürfte die Einführung liegen bei allen Mobilfunkbeteibern kosten, schätzt Vodafone-Konkurrent Telefónica. Der Betrieb kostet dann eine Euro je Netzbetreiber und Jahr. Die Kosten trägt der Bund. (dpa)
Das Umweltamt ist Ihnen unterstellt, die Bezirksregierungen sind der verlängerte Arm der Landesregierung. Also sind Sie doch die Zuständige!
Wir sind nicht Teil der Melde- und Warnkette, diese läuft nicht über die Leitung des Ministeriums. Das wäre auch fatal, denn hier müssen Fach-Experten ohne Zeitverzug sofort tätig werden. Ich wurde aber ebenfalls am 13. Juli über den ersten hydrologischen Lagebericht informiert und habe erfahren, dass der Hochwasserinformationsdienst, also der Dienst für solche Krisenlagen im Lanuv (Landesamt für Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz, d. Red.), in Gang gesetzt wurde.
Wie ging es dann in der Landesregierung weiter?
Es gibt zwei Ebenen. Die Warnungen also solche gehen wie beschrieben auf dem schnellstmöglichen Weg direkt vom Umweltamt über die Bezirksregierungen an die Kommunen. Hier müssen wir uns jetzt genau anschauen, was eventuell nicht funktioniert hat. Die andere Ebene ist der Informationsaustausch innerhalb der Landesregierung.
Ich habe schon in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli, mit den Ereignissen in Hagen, in einem engen Informationsaustausch mit dem Chef der Staatskanzlei gestanden.
War das, was der Deutsche Wetterdienst geliefert hat, ausreichend?
Ich mache dem Deutschen Wetterdienst keine Vorwürfe. Es war nicht genauer vorherzusagen. Der DWD hat am 12.7. zwar vor „heftigem ergiebigen Regen, örtlich begrenzt bis zu 200 Liter pro Quadratmeter innerhalb von 48-60 Stunden“ gewarnt, also eben über mehrere Tage. Fallen aber 200 Liter pro Quadratmeter innerhalb von 12 oder 18 Stunden, dann ist die Wucht erheblich stärker.
Zu diesem Zeitpunkt hat der DWD zudem darauf hingewiesen, dass der genaue Verlauf noch sehr unsicher sei und sich der Schwerpunkt dieser unwetterartigen Starkregenfälle nur kurzfristig vorhersagen ließe. Wir haben es hier mit einer in NRW bisher einzigartigen Unwetterlage zu tun gehabt.
Wenn die Voraussage so schwierig ist, kann man wenigstens die Warnungen beschleunigen?
Aktuell war es vor allem die Wucht des Ereignisses, die zu der Katastrophe geführt hat. Das, was geschah, war so nicht vorstellbar. Wir müssen alles dafür tun, um künftig vor die Hochwasserwelle zu kommen. Das zentrale Problem ist, dass wir kein Vorhersagesystem an den kleineren Flüssen haben. Unsere Experten im Landesumweltamt geben zwar hydrologische Prognosen ab.
Aber wir haben bisher kein Tool, das sagt: So stark sind die Niederschläge, so ist die Bodenfeuchte, also ist in dem Dorf oder der Stadt X am Pegel Y ein Stand Z zu erwarten. Das funktioniert am Rhein hervorragend, aber es fehlt für die kleineren Bäche und Flüsse. Wir werden an diesen Flüssen nicht auf Vorwarnzeiten von zwei, drei Tagen kommen wie am Rhein, aber für die Rettungsdienste sind ja schon wenige Stunden entscheidend. Das System muss den ganzen Flusslauf abdecken, und parallel müssen wir Schutzmaßnahmen planen. Da müssen wir Anlieger am Oberlauf der Flüsse um Solidarität bitten. Da geht es zum Beispiel um Retentionsflächen, Rückhaltebecken, Deiche.
Von welchem Zeitraum reden wir bei diesen Plänen?
Der DWD arbeitet unter anderem an einem derartigen Projekt zur Vorhersage von Sturzfluten. In diesem Projekt sollen Radarmessungen und Simulation der Modelle zusammengeführt werden, dadurch Verbesserungen in den Vorhersagen erreicht werden. Auch beim Lanuv gibt es schon einen kleinen Testbetrieb, und wir hoffen, im nächsten Jahr ein erstes Tool fertig zu haben. Ein Modellprojekt haben wir mit der Technischen Hochschule Aachen in Stolberg gestartet, eines kommt in Erftstadt, und wir sind auch mit dem Landrat von Euskirchen im Gespräch.
Also erstmal lokale Systeme?
Wir fangen an den Stellen an, die sich als besonders gefährdet erwiesen haben, aber wir müssen das in ganz NRW an jedem kleinen Fluss machen.
Sie sagen eben, die Meldekette funktioniert teilweise noch per Fax. Muss es da nicht auch neue Verfahren geben?
Ganz sicher. Aber wir müssen auch schauen, dass die Informationstechnik im Katastrophenfall überhaupt funktioniert. So waren Gemeinden nicht erreichbar, weil die Handy-Funkmasten ausgefallen waren. Deshalb prüfen wir auch, ob die Warnungen überhaupt alle Kommunen erreicht haben.
Hätte man nicht früher tätig werden müssen?
Wir sind ja tätig geworden, wir haben Starkregenkonzepte. Offen gestanden sind Starkregenkarten bisher auf freiwilliger Basis erstellt worden, unter anderem in Köln, wo es ja ein sehr ausgeprägtes Bewusstsein für diese Gefahren gibt. Zu überlegen ist, ob wir die Aufstellung solcher Karten verpflichtend machen. Aber in der Tat muss ich mich auch selbst fragen, ob ich im Bereich Starkregen genug Druck gemacht habe.
Dabei finde ich, dass wir eigentlich sehr gut aufgestellt sind in punkto Klimafolgen. Wir waren zum Beispiel die ersten, die per Klimaanpassungsgesetz etwa für die Entwicklung neuer Stadtviertel festgelegt haben, dass die Vorsorge vor Klimafolgen mit berücksichtigt werden muss– sowohl was Niederschlag als auch was Trockenheit angeht.
Die Grünen wollen einen Untersuchungsausschuss …
Ich habe ein hohes Interesse an Aufklärung, wo ist was falsch gelaufen und warum. Es ist wichtig, offen und transparent die Hochwasserkatastrophe aufzuarbeiten. Das tun wir zurzeit.