- Der Genesenenstatus wird auf drei Monate verkürzt, nachdem das RKI seine Empfehlung kurzfristig ändert. Wie ist das Regierungsvorgehen juristisch zu bewerten?
- Rechtswissenschaftler Markus Ogorek erklärt im Gespräch mit Carolin Raab die Lage.
Ist das Vorgehen der Regierung bei der Änderung des Genesenenstatus juristisch korrekt?
Hinter dieser Frage steht das Demokratieprinzip. Es verlangt, dass alle wesentlichen Entscheidungen von demokratisch legitimierten Entscheidungsträgern selbst getroffen werden. „Wesentlich“ ist vor allem alles, was grundrechtsrelevant ist. Die Verkürzung des Genesenenstatus ist für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von außerordentlicher Bedeutung, man denke nur an den Zugang zur Gastronomie oder Kultur- und Sporteinrichtungen. Letztendlich hat die Regierung diese wesentliche Frage dem RKI – einer Bundesoberbehörde – zur Beantwortung überlassen und dem Institut quasi einen Freibrief erteilt. Das geht zu weit.
Kann es grundsätzlich sein, dass die Fachmeinung eines Instituts über das Ausmaß von Grundrechtseingriffen entscheidet?
Zur Person: Professor Markus Ogorek
Markus Ogorek studierte Rechtswissenschaften in Bochum und Salzburg. Nach der Promotion folgte ein Studium an der University of California at Berkeley, bevor er in New York seine Anwaltsprüfung ablegte. 2012 wurde er an der Universität zu Köln habilitiert. Anschließend lehrte Ogorek an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main sowie der EBS Universität für Wirtschaft und Recht. 2020 kehrte er an die Universität zu Köln zurück. Dort leitet er heute das Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre. Ogorek forscht vor allem zum Verwaltungs- sowie Staats- und Verfassungsrecht.
Das Grundgesetz fordert, dass sich die politisch Verantwortlichen selbst darüber Gedanken machen, wer als geimpft und genesen gilt. Dabei darf sie natürlich die Expertise des RKI einholen und sich zu Eigen machen – die Definition über den Geimpften- und Genesenenstatus ist auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse festzulegen. Die finale Entscheidung kann aber nicht einfach „ausgelagert“ werden, denn sie hat nicht nur eine fachliche, sondern auch eine politische Dimension.
Wie müsste eine solche Entscheidung getroffen werden, um demokratisch legitimiert zu sein?
Einschränkende Maßnahmen erfolgen regelmäßig in Gesetzesform. Sie werden in einem förmlichen Verfahren durch den Bundestag beschlossen und durch den Bundespräsidenten verkündet. Bei besonders eilbedürftigen Entscheidungen oder wenn man es mit dynamischen Sachverhalten zu tun hat, bei denen davon auszugehen ist, dass das Parlament nicht schnell genug reagieren kann, ist das Mittel der Wahl die Rechtsverordnung der Bundesregierung. Wichtig ist: Verordnungen werden ebenfalls im Bundesgesetzblatt oder im Bundesanzeiger veröffentlicht.
Die Veröffentlichung auf der RKI-Website reicht also nicht?
Jeder Bürger muss die Möglichkeit zur Kenntnisnahme von jenen Staatsakten haben, die ihn betreffen. Daher ist wichtig, dass es formalisierte Verkündungsmedien gibt, auf die Verlass ist. Dass sicherlich kaum jemand regelmäßig das Bundesgesetzblatt und den Bundesanzeiger studiert, steht dem nicht entgegen. Praktisch richten sich diese Medien zuvorderst an Gerichte, Behörden und nicht zuletzt an die Medien.
Eine Website hingegen ist manipulations- und störungsanfällig, bei ihrer Änderung wird niemand benachrichtigt und es lässt sich nicht ohne Weiteres nachvollziehen, wann genau Anpassungen erfolgten. Kurzum: Die Bundesregierung macht es sich zu leicht.