Interview

Kölner Politologe zum US-Vorwahlkampf
Was würde passieren, wenn Biden nicht mehr antritt, Herr Jäger?

Lesezeit 8 Minuten
Schwacher Auftritt: Joe Biden bei der Debatte mit Donald Trump in Atlanta.

Schwacher Auftritt: Joe Biden bei der Debatte mit Donald Trump in Atlanta.

Gibt es einen Plan B, wenn Biden nicht mehr antritt? Wir haben den Kölner Politologen Thomas Jäger befragt.

Denkt Joe Biden wirklich daran, seine Bewerbung für eine zweite Amtszeit aufzugeben? Wie könne ein Plan B der US-Demokraten für diesen Fall aussehen - und welche Chancen hätten demokratische Kandidaten gegen Donald Trump? Fragen an den Kölner Politologen Thomas Jäger.

Kommt Joe Biden aus der Diskussion über seine Eignung zum Präsidentenamt nach seinem schwachen Auftritt beim TV-Duell mit Donald Trump überhaupt noch raus?

Geplant ist ja jetzt, dass er in den nächsten Tagen mehrere öffentliche Auftritte hat: ein großes Interview beim Sender ABC, dann zwei Wahlkampfauftritte, dann Pressekonferenz beim Nato-Gipfel. Wenn er das alles ganz gut macht, dann wird in der Partei ein bisschen Ruhe einkehren. Aber gleichzeitig wird man sich jetzt einen Plan B überlegen, den es ja bisher nicht gibt. Denn falls er zukünftig wieder so einen Auftritt wie beim TV-Duell hat, bricht die Welle von neuem los. Das heißt, Biden hat noch eine Chance, aber das darf ihm nicht mehr passieren.

Wenn es jetzt heißt, alle stünden zu Biden, ist das erst mal eine Mauer der Gesichtswahrung. Und die hält ja auch weitgehend.

Aber je länger es dauert, desto schwieriger wird das doch mit dem Plan B.

Das entscheidende Datum ist der Nominierungsparteitag der Demokraten im August. Bis dahin muss man eine Lösung haben. Wenn es jetzt heißt, alle stünden zu Biden, ist das erst mal eine Mauer der Gesichtswahrung. Und die hält ja auch weitgehend. Doch die Demokraten wissen, dass sie erstens, wer immer der Ersatzkandidat würde, die Wahl mit ihm wahrscheinlich verlieren, und dass sie zweitens mit einem Ticket – Präsidentschafts- und Vize-Kandidat – kommen müssen, das sofort überzeugt. Was sie sich überhaupt nicht leisten können, ist Konkurrenz um die Kandidatur.

Die „New York Times“ hat geschrieben, Biden denke über einen Kandidaturverzicht nach. Das Weiße Haus hat sofort dementiert. Saugen Journalisten so einer Zeitung sich das aus den Fingern?

Bestimmt nicht. Der Bericht ist sehr überzeugend. Da steht ja nicht, Biden überlege von sich aus, aufzuhören, sondern: Er wisse, wenn er – salopp gesagt – die nächsten Auftritte vergeigt, dann werde es sehr eng, dann müsse er übers Aufgeben nachdenken. In der Tat, dann würde der Druck aus seiner Partei zu hoch. Es ist gut denkbar, dass er das genauso gesagt hat.

Wie könnte ein Plan B für diesen Fall überhaupt aussehen?

Zunächst mal muss man von folgendem Szenario ausgehen: Wenn Biden wirklich sagt, er wolle nicht mehr antreten, dann werden die Republikaner fordern, dass er sofort zurücktritt. Wenn er das täte, müsste Vizepräsidentin Kamala Harris sein Amt übernehmen, und aus dieser Lage kämen die Demokraten nicht mehr raus: Sie ginge als Präsidentin in den Wahlkampf. Sie ist aber in der Demokratischen Partei nicht wirklich beliebt und hat keine guten Umfragewerte, sie hat sich nicht profilieren können. Alternativen, andere sogenannte Tickets, setzen aber voraus, dass Biden bis 2025 im Amt bleibt. Dann könnte man an Gouverneure denken, die eigentlich Ambitionen für 2028 haben, also für die Zeit nach Biden und Trump. Gavin Newsom etwa aus Kalifornien oder Gretchen Whitmer aus Michigan, jeweils im Verbund mit Senatoren als Vize-Kandidat. Aber wer immer da jetzt einspringt, gefährdet seine eigene Karriere.

Denn wenn er die Präsidentschaftswahl verlieren würde, hätte er wohl keine zweite Chance, oder?

Genau. Wer immer gegen Trump verliert, hätte eben bewiesen, dass er eine Wahl verlieren kann. Das ist immer ganz schlecht. Da liefen sich dann andere für 2028 warm.

Michelle Obama hat immer gesagt: Nein, sie will nicht antreten. Und das hielt ich auch von Anfang an für sehr glaubwürdig.

Manche Demokraten wünschen sich Michelle Obama als Kandidatin. Was halten Sie davon?

Die Diskussion um Michelle Obama gibt es wie die über Bidens Alter schon seit Monaten. Sie ist erstens beliebt im Land, und zweitens kennt man sie an jedem Küchentisch, was für die eben genannten Gouverneure keineswegs gilt. Die müssten sich erst mal vorstellen. Michelle Obama tritt ausgesprochen professionell auf und profitiert von der Präsidentschaft ihres Mannes, die auf sie abstrahlt. Die USA haben zudem manchmal so einen kleinen Hang zu Dynastien: die Kennedys, die Bushs. Bei den Clintons hat es halt nicht geklappt. Aber Michelle Obama hat immer gesagt: Nein, sie will nicht antreten. Und das hielt ich auch von Anfang an für sehr glaubwürdig.

Wir haben gerade über das Szenario gesprochen, dass der demokratische Kandidat die Wahl verliert. Ist das ausgemacht?

Wenn die Demokraten jetzt mit einem neuen Kandidaten kommen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sie die Wahl verlieren. Wenn sich Biden stabilisieren kann, hat er immer noch eine Chance, die Wahl zu gewinnen.

Die Republikaner sind Trumps Partei, und er organisiert sie wie seine ganze Anhängerschaft analog zu einer Sekte.

Wie kann es auf der anderen Seite sein, dass die Anhänger der großen alten Partei eines Abraham Lincoln sich so hinter Donald Trump versammeln?

Die Republikaner sind nicht mehr die Partei von Abraham Lincoln. Sie haben eine Transformation durchgemacht zu einer nationalpopulistischen, tendenziell autoritären Partei. Gemäßigte Hoffnungsträger sind ausgeschieden. Die Republikaner sind Trumps Partei, und er organisiert sie wie seine ganze Anhängerschaft analog zu einer Sekte. Er führt seine Leute – in Anführungszeichen – in ein anderes Land. Ich denke an die Entscheidungen des von Trumps Richtern dominierten Supreme Court in der letzten Woche, die ja dahin gehen, den USA eine imperiale Präsidentschaft zu bescheren. Das will Trump: Die Exekutive soll so viel Kompetenzen erhalten, dass sie weitgehend unkontrolliert agieren kann. Beispiel: Das Haushaltsrecht liegt beim Kongress, der Präsident und seine Regierung müssen es umsetzen, zum Beispiel wenn der Kongress Ausgaben für den Umweltschutz beschlossen hat. Trump will das ändern, der Kongress soll nur noch einen Vorschlag machen, mit dem der Präsident dann verfahren kann, wie er will. Da kommt ihm ein Urteil des Supreme Court zu Gute, nach dem die Fachbehörden gar nicht mehr selbst bestimmen bedürfen, wie sie Gesetze auslegen. Das können nur noch Gerichte machen, im Zweifelsfall der Supreme Court selbst.

Aber wieso hat so jemand Chancen auf die Mehrheit? Hat nicht gerade das letzte Supreme-Court-Urteil den Leuten für Augen geführt, was mit Trump droht?

Das ist im Moment noch nicht zu beobachten. So wie nicht zu beobachten war, dass die Verurteilung wegen des Schweigegelds für Pornostar Stormy Daniels einen Effekt gehabt hätte. Seine Umfragewerte sind relativ stabil. Ungefähr ein Drittel der Wählerschaft hält unverbrüchlich zu ihm. Da kann passieren, was will. Er hat ja selbst gesagt, er könne auf der Fifth Avenue jemanden erschießen und würde trotzdem gewählt.

Biden hat wirklich geliefert, bekommt das aber nicht kommuniziert, während Trump es schafft, die Leute in einer ständigen Aufwallung von Zorn und Wut über den angeblich drohenden Untergang der USA zu halten.

Und der Supreme Court hat ihm bescheinigt, dass er das als Präsident sogar straflos tun dürfte …

Richtig, wenn es als Amtshandlung deklariert wird. Und zumindest ein Großteil der Wähler trägt das noch mit. Aber wir wissen auch, dass viele in den USA ihre Aufmerksamkeit erst kurz vor Wahl auf die Entscheidung richten, da kann sich noch etwas ändern. Bisher jedenfalls kommt Trump mit seiner Erzählung durch, dass er das Land retten müsse – obwohl die Regierung Biden große Erfolge hat, obwohl die Inflation runtergegangen ist, die Arbeitslosigkeit niedrig ist, die Themen Reindustrialisierung und Wohnungsversorgung tatkräftig angegangen worden sind. Biden hat wirklich geliefert, bekommt das aber nicht kommuniziert, während Trump es schafft, die Leute in einer ständigen Aufwallung von Zorn und Wut über den angeblich drohenden Untergang der USA zu halten. Aber machen wir uns nichts vor, in Sachsen und Thüringen gibt es Umfragemehrheiten für Parteien, die es genauso machen.

Wie groß ist denn die Chance, dass die Wechselwähler es sich noch anders überlegen und Biden gewinnt?

In Umfragen liegen beide ein bis eineinhalb Prozent auseinander, in den sogenannten Swing States hat Trump Vorsprünge bis zu fünf Prozent. Das ist aber alles nicht sehr aussagekräftig, weil sich viele Wähler noch nicht wirklich mit dem Thema befasst haben. Es kann auch methodische Fehler bei den Umfragen geben, etwa, wenn Republikaner auskunftsfreudiger sind als Demokraten. Nach den Parteitagen beider Parteien, im September wird es wirklich aussagekräftige Umfragen geben.

Sind wir Deutschen, wir Europäer eigentlich hinreichend auf das Szenario Trump 2.0 vorbereitet?

Wir sind überhaupt nicht vorbereitet, dabei hätten wir fast acht Jahre lang Zeit gehabt. Vom ersten Tag seiner ersten Präsidentschaft an hat Trump die Äußerungen gebracht, über die sich heute alle aufregen. Daraus hätten wir in der Sicherheitspolitik, in der Wirtschafts- und Handelspolitik Konsequenzen ziehen müssen. Nichts ist gemacht worden. Wir sind nicht vorbereitet.

Manche Leute hoffen immer noch, werde alles nicht so heiß gegessen wie gekocht. Also zum Beispiel: Auch Trump werde die Nato nicht einfach aufgeben.

Wenn man auf die erste Amtszeit von Trump blickt, gibt es Gründe für solche Hoffnungen und Gründe dagegen. Zum Beispiel hat er schon damals Handelsabkommen gekündigt und damit gezeigt, dass er auch gegen US-Interessen agieren wird, wenn das in seinem Weltbild irgendeinen Sinn ergibt. Der Unterschied zu einer zweiten Präsidentschaft ist: 2016 hatte Trump selbst gar nicht damit gerechnet, gewählt zu werden, und hat dann eilig Leute für die Ministerien gesucht, zum Teil unerfahrene Leute, die gar nicht regieren konnten. Das wäre diesmal ganz anders. Die von Trump erhoffte nächste Amtszeit wird richtig gut vorbereitet. Und Trump hat gesagt, wer keine zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investiert, erhält in der Nato von den USA keinen Schutz. Das kann Regierungsprogramm werden, damit wäre das Beistandsversprechen der Nato ausgehöhlt. Es gibt wenig Hoffnung, dass Trump das nicht so umsetzen würde.

Prof. Thomas Jäger, Politologe, Köln

Prof. Thomas Jäger lehrt Internationale Politik an der Universität zu Köln.

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