AboAbonnieren

Interview mit Karl-Josef Laumann„So schnell es geht zurück zum normalen Leben“

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Karl-Josef Laumann, Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen.

Herr Laumann, Pfingsten wäre in ihrem Heimatdorf Schützenfest gewesen – es fiel wieder aus. Aber nächstes Jahr?

Karl-Josef Laumann: Da gehe ich schwer von aus. Mit dem Impfen besiegen wir die Pandemie. Mit der Herdenimmunität wird es wieder Schützenfeste und auch alles andere geben, auf das wir wegen Corona verzichten mussten.

Die Zahlen sind im freien Fall. Modellierer hatten in ihren Szenarien das Gegenteil erwartet. Was halten Sie von diesen Berechnungen im Rückblick?Die Zukunft vorherzusagen ist immer schwierig, was augenscheinlich auch für Wissenschaftler gilt. Für mich persönlich war das nichts Neues. Aber lassen Sie uns doch froh sein, dass wir mit den Maßnahmen, die wir getroffen haben, die dritte Welle gebrochen haben. Die Zahlen fallen bundesweit auf breiter Front.

Deutschland hat eine Pandemie in dieser Art erstmals erlebt – für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es wieder geschieht?

Darüber spekuliere ich nicht. Aber wir müssen Konsequenzen aus dieser Pandemie ziehen. Wir sollten eine größere Unabhängigkeit bei Schutzmaterialien erreichen. Ich werde nicht vergessen, was ich da für einen Mangel erlebt habe. Wir brauchen auch Gesetze, damit wir gewisse medizinische Vorräte haben und nicht so schnell so gut wie blank sind wie vor einem Jahr. Auch die Einsicht, dass Gesundheitsämter eine wichtige Einrichtung sind, halte ich für eine heilsame Lehre.

Rechnen Sie auch mit gesellschaftlichen Folgen? Etwa einer geringeren Achtung vor Grundrechten?

Keiner will Grundrechte dauerhaft beschränken. Wir haben sie eingeschränkt, um das Gesundheitssystem nicht zu überfordern und um Leben zu retten. Dabei haben wir vielen Menschen sehr viel zugemutet, auch wirtschaftlich. Das wissen wir. So schnell es geht, werden wir wieder zu einem normalen Leben zurückkehren.

Muss man Kinder impfen?

Am Ende werden die Eltern die Entscheidung treffen. Dass sie dafür gut informiert sind, dafür haben auch Politik und Medien Sorge zu tragen. Noch haben wir aber keine Zulassungen. Es gibt auch keine abschließende Bewertung der Ständigen Impfkommission. Sehr wohl aber bereiten wir uns organisatorisch darauf vor, Kinder impfen zu können.

Sie sind als volksnahes Original bekannt, mancher Auftritt genießt Kultstatus in den sozialen Netzen. Was denkt das Volk denn über die Corona-Politik von Bund und Ländern?

Durch Corona sind meine Kontakte nicht mehr so breit, wie sie mal waren. Ich bewege mich seit über einem Jahr fast nur noch zwischen Ministerium und Familie hin und her. Schützenfest ist ja nicht, Sie sagten es schon. Das macht es für mich als Politiker natürlich sehr schwer, ein Gefühl für die Bedürfnisse und Gefühle der Menschen zu entwickeln.

Wenn es schon Ihnen so geht, trotz Ihrer Vita, Ihrer Kontakte, Ihrer Telefonnummer, die im Dorf jeder kennt – ist das nicht ein Beleg für ein Kommunikationsproblem zwischen Politik und Bürger?

Schwierig ist die Kommunikation jedenfalls. Abendveranstaltungen gibt es keine. Das ganze Parteileben begrenzt sich seit Monaten auf Videokonferenzen, vom Präsidium bis zum Ortsverband. Selbst beim Einkaufen machen die Leute einen Bogen um einen. Daher ist es schwierig, ein Gefühl dafür zu entwickeln, das für mich in meinem politischen Leben immer wichtig war, was die „ganz normalen“ Leute denken.

Was man an Mails bekommt, an Anrufen, oder was in den sozialen Netzen steht, das gibt ja nie ein rundes Bild ab. Mir fehlt der direkte Kontakt. Die Tuchfühlung ist durch nichts zu ersetzen, durch keine Talkshow, kein Twitter, durch nichts.

Die Menschen haben Sie nicht wissen lassen, wenn Ihnen die Corona-Politik nicht gefällt?

Aus Sicht des Gesundheitsministers kann es in einer Pandemie am Ende nicht darum gehen, ob das, was Du tust, den Leuten gefällt oder nicht. Es geht darum, das Ziel zu erreichen, und das besteht darin, dass das Virus beherrschbar bleibt. Ich glaube aber, dass Politik in Deutschland nach wie vor grundsätzlich eine hohe Akzeptanz genießt - bei all dem jedenfalls, was man Politikern immer nachsagt und auch schon immer nachgesagt hat.

Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass es mal anders war, und ich bin ja schon sehr lange dabei. Es gibt Menschen, die haben ein relativ großes Vertrauen, und es gibt andere, die immer gerne ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen. Als Politiker darf man auch nicht davon ausgehen, in der öffentlichen Wahrnehmung immer gut behandelt zu werden. Wer damit nicht umgehen kann, muss etwas anderes machen.

Wie nehmen Sie soziale Netze wahr?

Es gibt ja diesen Ausspruch von der „schweigenden Mehrheit“. Diese Mehrheit schweigt oft und ist nicht unbedingt mitteilsam in den sozialen Netzen unterwegs, während sich im Unterschied dazu andere Leute dort sehr bewusst bewegen. Sie wollen dort etwas für ihre Ziele erreichen, und andere wieder – naja, gucken Sie mal bei manchen Einträgen, zu welcher Uhrzeit die gemacht werden. Eine ganze Reihe entsteht zwischen ein und fünf Uhr nachts.

Am Stammtisch ist es anders?

An manchem Stammtisch, an dem ich saß, wurden Dinge gesagt, die zu weit gehen. Das stimmt schon. „Weißt du eigentlich, was du da gerade sagst“, heißt es dann aber. Im Internet fehlt das. Das unmittelbare Feedback von Angesicht zu Angesicht. Da geschieht eher das Gegenteil.

Was halten Sie eigentlich vom Gendern?

Mein Umfeld beschäftigt sich mit diesem Thema kaum. Für einige Menschen ist das ganz weit weg.Politik und Medien befassen sich damit allerdings ausgiebig.Das Thema mag viele brennend interessieren, andere dagegen nicht so sehr. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das spielt bei mir und den Leuten in meiner Heimatgemeinde – jedenfalls soweit ich das richtig einschätzen kann – keine übergeordnete Rolle.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wäre das anders, falls man gezwungen würde, seine Sprechweise zu verändern? Frankreich hat in Behörden und Schulen die bisherige Schreibweise als verbindlich festgeschrieben - in Deutschland geht der Trend in die gegenteilige Richtung?

Das Anliegen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, ist doch völlig klar. Nur weil man nicht unbedingt einen Bezug dazu hat, sagt das nichts darüber aus, wie man über die beiden Geschlechter und ihren Stellenwert denkt. Wenn einer nicht gendert, heißt das ja nicht, dass er gegen Gleichberechtigung ist. Da würde ich mich sehr gegen verwehren und andere auch, mit denen ich Umgang pflege, und das mit Recht.