Grünen-Chefin Mona Neubaur im Interview„Wir leben jetzt in einer neuen Realität“
- Grünen-Chefin Mona Neubaur will mit ihrer Partei nach der NRW-Wahl im Land mitregieren.
- Vor allem in Sachen erneuerbare Energie sieht sie im Moment noch viel Nachholbedarf.
Als Spitzenkandidatin führt Mona Neubaur (44) die NRW-Grünen in die Landtagswahl. Im Interview mit Andreas Tyrock spricht die Düsseldorferin mit bayerischen Wurzeln über Krieg und Frieden und grüne Projekte.
Verabschieden sich die Grünen von ihren Idealen?
Wir leben in einer neuen Realität. Seit Putin den Vernichtungskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, haben sich Gewissheiten dramatisch verändert. Die Grünen müssen in der Verantwortung für Deutschland und Europa Entscheidungen treffen, die nicht leichtfallen. Wir müssen die Erpressbarkeit durch die einseitige Abhängigkeit von russischem Gas, Öl und Kohle schnell beenden. Natürlich steht in keinem grünen Programm, dass wir Gas aus Katar als Lösung für den Übergang zu Erneuerbaren Energien haben wollen und auch nicht, dass wir Waffenlieferungen befürworten. Aber es gibt Dinge, die größer sind als ein Parteitagsbeschluss. Das Ziel Klimaneutralität ist dabei nicht aus der Sicht geraten.
Pläne zur Mobilität
Auch eine Verkehrswende gehört zum Programm der Grünen. Unter anderem mit einem flächendeckenden Schnellbusliniennetz bis 2025. Städten und Gemeinden solle ab einer bestimmten Einwohnerzahl garantiert werden, dass dort mindestens einmal pro Stunde öffentliche Verkehrsmittel zirkulieren, erläuterte Landesvorsitzende Mona Neubaur. Die Grünen wollen zudem kostenfreien Zugang zu Bus und Bahn für alle unter 18 Jahren. (dpa)
Haben Sie Angst vor Krieg?
Ja, ich habe Angst vor Krieg. Und ja, die Realität, in der wir leben, schließt nicht aus, dass Wladimir Putin keinen Halt macht in der Ukraine. Dass er mit verbündeten Autokraten zeigen will: Autokratie und Diktatur ist das Erfolgsmodell, nicht eure Demokratien. Im Moment geht es darum, so schnell wie möglich wieder in einen Zustand zu kommen, dass nicht das Recht des Stärkeren gilt.
Verstehen Sie die Kritik der Grünen Jugend am 100 Milliarden Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr?
Wir nehmen es ernst, wenn junge Menschen sagen: „100 Milliarden Euro Sondervermögen sind viel Geld. Geben wir das nur für Panzer und Waffen aus?“ Unsere Antwort ist ein erweiterter Sicherheitsbegriff. Dass neben der Notwendigkeit, auch militärisch aufzurüsten, besser gesagt: auszurüsten, auch die humanitäre Hilfe und die Krisenintervention gestärkt wird.
Braucht es mehr Entlastungen angesichts der steigenden Energiepreise?
Die ersten beiden Entlastungspakete des Bundes sind ein gutes Signal. Es wird gesehen, dass dieser Krieg Auswirkungen auf den Alltag von Menschen hat. Ja, wir werden weitere Entlastungen brauchen. Wir müssen aber die entlasten, die Hilfe brauchen und nicht mit der Gießkanne verteilen. Was hilft die erhöhte Pendlerpauschale der Rentnerin? NRW kann kurzfristig die Energie-Einsparung unterstützen. Die Verbraucherzentralen brauchen mehr Ressourcen, um beraten zu können, zum Beispiel bei Energiearmut oder wenn sich jemand eine neue Heizung oder eine Photovoltaikanlage anschaffen möchte. Und das Land muss den Kommunen beim Energiesparen helfen, denn die sind große Energieverbraucher, zum Beispiel in Rathäusern, Schulen, Schwimmbädern. Dafür brauchen wir schnell ein Sonderförderprogramm, denn wir müssen schon im Winter deutlich weniger Energie verbrauchen.
Wie soll NRW unabhängiger von fossiler Energie werden? Wie wollen Sie zum Beispiel Solaranlagen fördern?
Solar muss Standard sein. Die Dächer in NRW sind weitestgehend ungenutzt, dabei könnten wir mit ihnen mehr Unabhängigkeit von fossilen Energien erreichen. Viele Menschen wollen dabei sein, ärgern sich aber über die Bürokratie. Viele sehen eine Photovoltaikanlage als gutes Investment, schrecken aber vor dem Anschaffungspreis zurück. Es müsste daher leichter sein, dass sich Interessierte diese Investition und den Strom teilen. Es gibt zwar schon Bürger-Energiegenossenschaften, aber das macht kaum einer, weil man dafür eine Verwaltungsfachkraft braucht.
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Sollten die Revierstädte auch mit Landesgeld entschuldet werden?
Der Bund kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Aber wir haben jetzt lange genug gewartet. Wenn Kommunen nicht handlungsfähig sind, weil sie Kassenkredite bedienen müssen, geht es in Stadträten ums Schließen und Einschränken von Angeboten. Wenn man die Schuldenlast nimmt, verteidigt man die Demokratie. Länder wie Hessen haben es einfach allein gemacht. Ich bin nicht bereit, zu warten, bis sich etwas in Berlin bewegt.
Welche Projekte gehen Sie zuerst an, wenn Sie in NRW mitregieren?
Erstens die Abstandsregel für Windkraftanlagen abschaffen und dafür die Bürgerbeteiligung an Windkraft erleichtern. Zweitens ein Sofortprogramm zur Energieeinsparung. Drittens so schnell wie möglich dafür sorgen, dass es an den Schulen mehr Verwaltungsassistenzen gibt, damit die Lehrkräfte Zeit haben für Kinder und Jugendliche.
Sie wollen keine Ministerpräsidentinnen-Kandidatin sein. Warum?
Bei dieser Wahl geht es um mehr als die Frage, welcher Mann in der Staatskanzlei sein Büro einrichtet. Wir werden mit Inhalten überzeugen. Und ich bin als Spitzenkandidatin bereit, Verantwortung für NRW zu übernehmen. Winfried Kretschmann hat richtigerweise gesagt, das Amt müsse zum Manne kommen, bei mir also: Das Amt muss zur Frau kommen.