Müssen Jungs künftig wieder zur Musterung antreten? Und was ist mit Frauen? Wie Verteidigungsminister Boris Pistorius den Wehrdienst gestalten will – und was Verteidigungsexpertin Serap Güler dazu sagt.
Gesprächsrunde mit Pistorius und GülerWie halten wir es mit dem Wehrdienst?
„Der Entwurf der CDU ist gar nicht so unterschiedlich“, sagt Dr. Ulrike Hospes über die Pläne, die Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zum Wehrdienst hat. Hospes ist Landesbeauftragte für Nordrhein-Westfalen bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, die den obersten Chef der Streitkräfte als Gast der Gesprächsreihe „Köln und Köpfe“ in die Domstadt eingeladen hatte.
Ob die Pläne von CDU und SPD wirklich so nah beieinanderliegen, soll sich später im Gespräch mit der CDU-Bundestagsabgeordneten Serap Güler herausstellen. Aber bevor der Minister noch einmal dezidiert darlegt, auf welche Weise er personelle Verstärkung für die Truppe gewinnen will, holt er weit aus, um sein Publikum auf eine gemeinsame Linie einzuschwören: „Wir müssen uns als Gesellschaft mit einer Bedrohungslage auseinandersetzen, von der wir jahrzehntelang glaubten, uns nie wieder mit ihr beschäftigen zu müssen. Und es reicht nicht, diese Debatte nur politisch zu führen, wir müssen sie auch gesellschaftlich intensiv führen.“
Pistorius setzt auf Motivation statt auf Pflicht
„Wir brauchen wieder eine Wehrpflicht“, murmeln zustimmend zwei ältere Zuschauer. Nicht alle scheinen ihrer Meinung. Ein paar Heranwachsende verfolgen den Vortrag mit ernstem Blick. Eine Besucherin sagt, das Thema gehe ihr nahe, weil sie Mutter mehrerer Söhne sei. „Wer zur Musterung geladen wird, muss auch kommen. Es ist ja eine Wehrpflicht“, fürchtet sie.
Aber statt sich direkt mit Details zu befassen, spannt Pistorius erst einmal einen Bogen, der Bedenkenträger ebenso integriert wie Befürworter: „Anderthalb Generationen sind aufgewachsen ohne jedes Bewusstsein, dass man bedroht sein könnte als Staatsgebiet. Notwendiger-, richtiger- und glücklicherweise. Ich kann von heute 20-, 30- oder 35-Jährigen nicht verlangen, dass sie von jetzt auf gleich umschalten und anerkennen, dass es diese Bedrohung gibt.“ Dann wird er jedoch klar: „Wir müssen sie damit konfrontieren und wir müssen auch Wege aufzeigen.“
Fragebogen ausfüllen als einzige Pflicht
Der Weg, das soll ein Wehrdienst sein, der nicht auf Pflicht gründet, sondern auf Motivation. Der Plan des Minister sieht vor, allen 18-Jährigen einen digitalen Fragebogen zu schicken. Mädchen steht es frei, ob sie antworten – anders wäre es, Stand heute, nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Jungen hingegen sind zur Antwort verpflichtet: „Und das ist auch schon die einzige Pflicht, die es dabei gibt“, verspricht Pistorius. Entscheidendes Detail im Fragebogen: Die Heranwachsenden können sich dazu äußern, ob sie Interesse an der Bundeswehr haben. Nur, wer das bejaht, kommt überhaupt in die engere Auswahl, die auf 30.000 bis 40.000 geschätzt wird.
Aus ihrem Kreis sollen die besten und motiviertesten herausgefiltert werden, die dann den Grundwehrdienst durchlaufen – im ersten Jahr 5.000 an der Zahl. Für diese Limitierung nennt der Minister einen handfesten Grund: Da zahlreiche Kasernen im Laufe der letzten Jahrzehnte Gewerbe- und Wohngebieten gewichen seien, gebe es keine Kapazitäten, um mehr Wehrpflichtige unterzubringen. An dieser Stelle beantwortet sich auch die Frage der besorgten Mutter, ob eine Einladung verpflichtend sei: „Das muss ja nicht sein, denn wir laden nur die ein, die gesagt haben, dass sie sich den Dienst bei der Bundeswehr vorstellen können.“
Serap Güler, Mitglied des Verteidigungsausschusses, wiederholt in der Talkrunde, die den Abend abschließt, mehrfach ihren zentralen Kritikpunkt: „Ich hätte mir gewünscht, dass man sich ein bisschen weiter traut und sagt: Es geht um Männer und Frauen. Sogar noch einen Schritt weiter: dass man Ausländer reinnimmt.“ Pistorius‘ Einwände, dass die dafür erforderliche Grundgesetzänderung nicht mit der Schnelligkeit realisierbar sei, mit der man die personelle Aufstockung erreichen müsse, und dass junge Frauen die Option hätten, sich freiwillig zu melden, lässt sie nicht gelten. Zudem dürfe man, fordert Güler, den Fokus nicht nur auf die Bundeswehr legen. Für eine resiliente Gesellschaft müsse der Fokus für ein Pflichtjahr auch beispielsweise Katastrophenschutz und Krankenhäuser berücksichtigen.