Die Bundeswehr hat zu wenig Personal. Verteidigungsminister Pistorius will künftig nicht nur auf Freiwilligkeit setzen. Junge Männer sollen sich zumindest zum Dienst im Militär erklären müssen.
Rundschau-Debatte des TagesMuss bald wieder jeder zur Musterung?
Jahrzehntelang gehörte die Zeit „beim Bund“ zu den prägenden Erfahrungen junger Männer in der Bundesrepublik. Seit 13 Jahren ist die verpflichtende Ableistung des Grundwehrdiensts bei der Bundeswehr allerdings ausgesetzt. Am Mittwoch stellte nun Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sein mit Spannung erwartetes Konzept für einen „neuen Wehrdienst“ vor, mit dem er angesichts wachsender Bedrohungen von außen die Landes- und Bündnisverteidigung stärken will.
Muss bald jeder wieder zur Truppe?
Nein – das Modell von Pistorius setzt auf Freiwilligkeit. Verpflichtend wird aber die Erfassung der jungen Leute. Konkret heißt das, dass Frauen und Männer bei Erreichen des wehrfähigen Alters – in der Regel zum 18. Geburtstag – angeschrieben werden. Männer werden aufgefordert, einen Fragebogen auszufüllen, und sie sind verpflichtet, ihn zu beantworten und zurückzusenden. Bei Frauen ist die Rücksendung freiwillig. Das Wort „Wehrpflicht“ vermeidet Pistorius ausdrücklich – er spricht von einem „neuen Wehrdienst“, der „verpflichtende Elemente“ enthalte. Gegen die Wiedereinführung eines verpflichtenden Wehrdienstes gab es zuletzt vor allem in Teilen der SPD deutlichen Widerspruch. So hatte sich SPD-Chef Lars Klingbeil dafür ausgesprochen, bei der Rekrutierung weiterhin auf Freiwilligkeit zu setzen.
Wie geht es nach der Erfassung weiter?
Nächster Schritt nach der Erfassung ist die Musterung. Bereits vor der Musterung trifft die Bundeswehr eine Auswahl: Sie prüft die zurückgesandten Fragebögen und lädt nur jene Absenderinnen und Absender, die besonders geeignet und motiviert für einen Wehrdienst erscheinen, zur verpflichtenden Musterung ein. Die Auswahl soll laut Verteidigungsministerium nach Qualitätskriterien erfolgen. Die Ausgewählten sollen dann, wenn sie wollen, sechs Monate Grundwehrdienst leisten. Dieser kann freiwillig um bis zu 17 Monate verlängert werden. Gezwungen wird niemand.
Soll das neue Modell für Männer und Frauen gleichermaßen gelten?
Hier wird es rechtlich etwas kompliziert: Das Grundgesetz beschränkt eine Verpflichtung zum Dienst in den Streitkräften in Artikel 12a ausdrücklich auf Männer. Eine solche Ungleichbehandlung erscheint vielen heute nicht mehr zeitgemäß. Für eine Angleichung müsste aber das Grundgesetz geändert werden – ein aufwändiger Prozess. Pistorius will dieses heiße Eisen in dieser Legislaturperiode nicht mehr anpacken. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul forderte am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“ eine Wehrpflicht auch für Frauen. „Ich glaube, dass wir zwischen den Geschlechtern keine Unterscheidung mehr machen können in der heutigen Zeit“, sagte er. Das werde in anderen Bereichen auch nicht gemacht. Möglicherweise müssten Änderungen im Grundgesetz geprüft werden.
Warum unternimmt Pistorius diesen Vorstoß?
Zwei Entwicklungen machen nach Pistorius' Einschätzung die Reform erforderlich: die anhaltende Personalschwäche der Bundeswehr – und die wachsende militärische Bedrohung durch Russland. Sein Ministerium geht davon aus, dass Russland trotz des schwierigen Kriegs in der Ukraine bis 2029 in der Lage ist, Nato-Territorium anzugreifen. Das Fazit: „Wir müssen unsere Fähigkeiten zur Abschreckung und Verteidigung so verbessern, dass Aggressoren davon ablassen, Nato-Territorium anzugreifen.“
Um welche Zahlen geht es?
Mit der Reform will Pistorius vor allem die Zahl der Reservisten erhöhen, die über eine Grundausbildung bei der Truppe verfügen und im Bedarfsfall eingezogen werden könnten. Rund 200.000 neue Reservisten will der Minister durch die Reform „generieren“. Die Zahl der aktiven Soldaten soll auf rund 200.000 steigen, im Moment sind es etwa 181.000. Langfristig soll die Bundeswehr dann etwa 460.000 Soldatinnen und Soldaten umfassen – in dieser Zahl werden Reserve und Aktive zusammengezählt.
Wann werden Pistorius' Pläne umgesetzt?
Ab 2025 will Pistorius zusätzlich zu den aktuell rund 10.000 freiwillig Wehrdienstleistenden bis zu 5000 neue Wehrdienstleistende ausbilden. Diese Zahl soll nach und nach steigen. Als „limitierenden Faktor“ sieht Pistorius noch die Infrastruktur: Schließlich müssen die Neuzugänge alle untergebracht, ausgestattet und ausgebildet werden. Die Kosten für die ersten 5000 schätzt er auf rund 1,4 Milliarden Euro. (afp/dpa)