AboAbonnieren

Rundschau-Debatte des TagesBraucht die Bundeswehr mehr Reservisten?

Lesezeit 4 Minuten
Soldaten der Bundeswehr stehen bei einer Übung im Gelände in der Lüneburger Heide.

Soldaten der Bundeswehr stehen bei einer Übung im Gelände in der Lüneburger Heide.

Seit Jahrzehnten sinkt der Personalbestand der Truppe – lange Zeit gewollt, inzwischen aber unfreiwillig. Um im Ernstfall das Land zu verteidigen, reiche die Stärke nicht aus, sagen Militärexperten.

Im Verteidigungsministerium laufen Planungen für eine deutlich verstärkte Reserve der Bundeswehr. Diese soll auch – wie im Kalten Krieg – so ausgebildet und ausgerüstet sein, dass sie die aktive Truppe im Kampf verstärken oder ersetzen kann, sagte Generalleutnant Andreas Hoppe, Stellvertreter des Generalinspekteurs und Beauftragter für Reservistenangelegenheiten. Ziel der Militärplaner ist es, künftig bis zu 60000 Männer und Frauen als Reservisten in einer sogenannten Grundbeorderung zu haben, die in diesem Status für eine feste Aufgabe eingeplant und befähigt sind.

Wer eingezogen werden könnte

Hoppe sagte: „Ich bin der Überzeugung, dass wir die Reserve ganz den aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen anpassen müssen, damit sie die Bundeswehr bei der Wahrnehmung der Aufgabe Landes- und Bündnisverteidigung vernünftig unterstützen kann.“ Das Militär rechnet dabei mit gut 10000 ausscheidenden Zeit- oder Berufssoldaten pro Jahr, die für diese Grundbeorderung gewonnen werden könnten. Rund 44000 grundbeorderte Männer und Frauen gibt es bisher.

Im Ministerium wird auch geprüft, wie groß die Zahl derer ist, die grundsätzlich im Verteidigungsfall zum Dienst („unbeorderte Reservistentätigkeit“) herangezogen und geeignet sein könnten. Dabei geht es um die Bürger, die zwar Dienst in der Bundeswehr geleistet haben, aber nicht beordert sind. Noch ist diese Gruppe zwar groß, doch schrumpft sie, seit die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde.

„Es gibt dazu unterschiedliche Zahlen. Wir gehen davon aus, dass es etwa 800000 sind, die noch wehrrechtlich herangezogen werden können. Das sind im Prinzip alle, die irgendwann mal Dienst in der Bundeswehr geleistet haben und ausgeschieden sind und in den Altersgrenzen liegen, also auch die letzten Jahrgänge der Wehrpflichtigen“, sagte Hoppe dazu.

Warum die Reserve nicht ausreicht

Für die überarbeiteten Verteidigungspläne der Nato muss die Bundeswehr, die trotz einer sogenannten Personaloffensive im vergangenen Jahr auf 181500 Soldatinnen und Soldaten geschrumpft ist, allerdings sogar deutlich wachsen. Die Nato-Planungen bedeuteten absehbar eine Erhöhung des Personalziels von bisher 203000 Soldaten auf „tendenziell deutlich über 272000“ Männer und Frauen in den Streitkräften, berichtete der „Spiegel“ am Freitag. Die Reserve kann da nur ein Baustein sein.   Hoppe verwies in diesem Zusammenhang unter anderem auf die neuen Heimatschutzregimenter: „Die werden im Wesentlichen aus Ungedienten gebildet, die sich da melden und eine entsprechende Ausbildung bekommen.“

Was der Minister zur Wehrpflicht sagt

Seine mit Spannung erwarteten Pläne für eine neue Form des Wehrdienstes will Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am kommenden Mittwoch vorstellen und erläutern. Im Interview eines Bundeswehr-Livestreams bekräftigte Pistorius am Wochenende, die alte Wehrpflichtarmee werde nicht wiederkommen: „Wir werden nicht jedes Jahr 400000 junge Männer mustern und am Ende davon die Mehrheit einziehen.“ Dafür habe man weder die Kapazität noch sei das zeitgemäß, stellte der Verteidigungsminister fest. „Aber wir brauchen insbesondere für die Aufwuchsfähigkeit im Verteidigungsfall eine stärkere Reserve. Und die gewinnt man gewöhnlich dadurch, dass mehr junge Männer und idealerweise auch junge Frauen ihren Wehrdienst leisten, idealerweise freiwillig.“

Wozu die Reservisten gebraucht werden

„Ohne Reserve geht es nicht. Das sehen wir in der Ukraine“, sagte Hoppe. Das Ziel müsse es sein, Reserve-Kompanien oder -Bataillone so auszustatten und auszubilden, dass sie nahtlos in die Operationsführung einer Brigade eingebaut werden könnten – und notfalls in der Lage seien, reguläre Kräfte auch komplett zu ersetzen.„Das gab es alles im Kalten Krieg, aber es ist eben seit 30 Jahren vernachlässigt worden und einfach nicht mehr existent“, so Hoppe.

Gebraucht würden dafür Spezialisten, aber „schlicht auch Masse“, beispielsweise für Aufgaben im Heimatschutz, also für die Sicherung der Infrastruktur, Verkehrswege und Militäranlagen in Deutschland. Dafür werden seit einiger Zeit auch Freiwillige ausgebildet, die vorher nicht in der Bundeswehr waren.

„Natürlich brauchen wir auch den Reservisten als Panzerfahrer. Das sind dann aber natürlich am liebsten diejenigen, die das schon in ihrer aktiven Zeit gemacht haben“, sagte Hoppe. Im Jahr seien 14 Tage Übung nötig, um die Fähigkeiten zu erhalten. Der Generalleutnant will deshalb auch bei Unternehmen verstärkt darum werben, Reservisten regelmäßig für Übungen freizustellen. Ansonsten drohe sich der hohe Ausbildungsstand, den die Soldaten bei ihrem Ausscheiden aus der Truppe hätten, in der Zeit der Grundbeorderung zu verflüchtigen.

Was Pistorius mit „kriegstüchtig“ meint

Derweil verteidigte Pistorius am Wochenende erneut seine Formulierung, dass die Bundeswehr kriegstüchtig werden müsse. Er verstehe, dass dieses Wort einige erschreckt habe und immer noch störe. Dies sei auch ein bisschen die Absicht gewesen, räumte der SPD-Politiker am Samstag beim Tag der Bundeswehr im niedersächsischen Faßberg ein. „Es ist notwendig, auch durch die richtigen Begriffe deutlich zu machen, worum es geht“, fügte er hinzu.

Es gehe darum, einen Verteidigungskrieg führen zu können, wenn das eigene Land angriffen werde – „also vorbereitet zu sein auf das Schlimmste, um nicht damit konfrontiert zu werden“, führte der Verteidigungsminister aus. Man müsse ankommen in der „Zeitenwende“, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 ausgerufen hatte, und sich umstellen auf neue Herausforderungen und neue Bedrohungen. Zum Tag der Bundeswehr hatten am Samstag deutschlandweit acht Militärstandorte ihre Tore für das allgemeine Publikum geöffnet. (dpa)