- Der Entertainer Jan Böhmermann hat am Donnerstag seine Bewerbung um den SPD-Vorsitz verkündet.
- „Ich, Jan Böhmermann, bewerbe mich als SPD Vorsitzender“, schrieb er auf Twitter.
- Wie sollten Politiker damit umgehen? Und schadet der Komiker damit der SPD?
Kurt Tucholsky sagte einst: „Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: Er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.“ Wenn er Recht hat, ist die politische Welt derzeit sehr schlecht. Überall streben Satiriker und Komiker in die Politik.Das aktuellste Beispiel ist Jan Böhmermann. Der kündigte am Donnerstagabend in seiner Show „Neo Magazin Royale“ seine Bewerbung für den SPD-Vorsitz an. Unter dem Hashtag „#Neustart19“ wirbt er für Unterstützung. Bis Sonntag, 18 Uhr, muss Böhmermann von fünf SPD-Unterbezirken, einem Bezirk oder einem Landesverband vorgeschlagen werden. Und nebenbei erst einmal Mitglied der Partei werden. „Ich bin bereit, die SPD zu retten, wenn ihr mir dabei helft“, sagte Böhmermann. Er beteuerte, seine Aktion sei kein Witz.
Internationale Vorbilder
Böhmermanns internationale Satiriker-Kollegen sind da bereits einen Schritt weiter. Der Komiker Jon Gnarr ist so etwas wie der Vater aller erfolgreichen Satireparteien. Zehn Jahre ist es her, da gründete er in Island die „Best flokkurin“ (dt. „Die beste Partei“). Ohne Parteiprogramm und mit dem Versprechen, alle Wahlversprechen zu brechen. Island litt da gerade unter den Folgen einer schweren Bankenkrise. Das Vertrauen in die etablierten Parteien war so erschüttert, dass Gnarr 2010 neuer Oberbürgermeister von Reykjavik wurde. Seine Amtszeit gilt als Erfolg. Gnarr sanierte die maroden Finanzen der Stadt. Vier Jahre später trat er nicht erneut an.
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Andere folgten ihm nach und wurden noch erfolgreicher. Der italienische Kabarettist Beppe Grillo gründete die „Fünf-Sterne-Bewegung“. Sie wurde 2018 stärkste Kraft bei den italienischen Parlamentswahlen und regierte bis vor einigen Wochen mit der rechtspopulistischen Lega. In der Ukraine wurde im April mit Wolodymyr Selenskyj sogar ein Schauspieler zum Präsidenten gewählt, der zuvor in einer Comedy-Serie einen Geschichtslehrer spielte, der zum Präsidenten gewählt wird.
Seine Partei „Diener des Volkes“, die wie die Serie heißt, verfügt im ukrainischen Parlament über die absolute Mehrheit. In Serbien sorgte Luka Maksimovic 2017 für Aufsehen. Der Satiriker wurde zwar nicht Präsident. Seine Rolle als populistischer Politiker, in der er sich am liebsten ganz in weiß auf einem weißen Pferd ablichten ließ, brachte ihn in den Umfragen zur Präsidentschaftswahl allerdings zeitweise auf Platz zwei.
Die Gemeinsamkeiten
So sehr sich die Beispiele im Detail unterscheiden, es gibt eine Gemeinsamkeit. In allen Ländern, in denen Satiriker derart erfolgreich waren, befand sich das politische System in einer schweren Krise. In Island dominierte vorübergehend die Wut über die Bankenkrise. In Italien und der Ukraine haben jahrzehntelange Vetternwirtschaft und Korruption das Vertrauen in die „etablierten“ Parteien beschädigt. Die Satiriker profitieren dabei auch von einem Trend zu populistischen Politikern wie US-Präsident Donald Trump und Großbritanniens Premierminister Boris Johnson. Wenn diese wegen ihrem Unterhaltungstalent gewählt werden, ist der Weg für Unterhaltungs-Profis in die Politik nicht mehr weit.
Blick nach Deutschland
Ist der Satiriker-Erfolg ein Krisenzeichen, ist die Lage in Deutschland noch nicht ganz so schlimm. Und doch gibt es mit „Die Partei“ auch hierzulande eine Satire-Partei. Martin Sonneborn, ehemaliger Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“, sitzt für sie seit 2014 im Europa-Parlament. 2019 vervierfachte „Die Partei“ ihren Stimmanteil bei der Europawahl auf 2,4 Prozent. Neben Sonneborn ist nun auch der Kabarettist Nico Semsrott Abgeordneter in Straßburg.
Es ist kein Zufall, dass „Die Partei“ gerade bei Europawahlen so erfolgreich ist. Ihre Wählerschaft findet sich vor allem in studentisch geprägten Großstädten. Sie vereint die Kritik an einer undemokratischen Organisation der EU und ihrer derzeitigen Flüchtlingspolitik. Im Europa-Wahlkampf überließ „Die Partei“ der Seerettungsorganisation „Sea Watch“ ihren Fernseh-Werbesport. Das sorgte für viel Aufsehen. Trotz allem: Eine bedeutende bundespolitische Kraft ist „Die Partei“ bislang nicht.
Böhmermanns Chancen
Dass mit Jan Böhmermann der nächste Politiker ernsthaft in die Politik strebt, ist unwahrscheinlich. Selbst wenn ihm die Kandidatur für den SPD-Vorsitz wirklich ernst sein sollte, dürfte er die Zulassungskriterien nicht erfüllen. Kein Landesverband wird ihn ernsthaft aufstellen. Was bleibt, ist eine gelungene Marketing-Aktion. Dass Böhmermanns Bewerbung überhaupt auf so viel Resonanz stößt, liegt eben nicht an einer schweren Krise der deutschen Politik. Es liegt am Zustand der deutschen Sozialdemokratie.