Kann der Reichtum an Kultur und Religionen dem Irak zu neuer Blüte verhelfen? Fragen an Experte Matthias Kopp
Experte Matthias Kopp„Nahoststaaten wissen das Engagement der Christen zu schätzen“

Mossul: Blick auf das historische Al-Hadba-Minarett der Al-Nuri-Moschee aus dem 12. Jahrhundert, nachdem es von der Unesco im Rahmen der Kampagne „Revive the Spirit of Mosul“ rekonstruiert wurde, die darauf abzielte, die unter der Herrschaft des extremistischen Islamischen Staates (IS) schwer beschädigten Denkmäler in Mossul wiederherzustellen.
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Dr. Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, hat die erste Gesamtgeschichte der Christen im Irak als Buch vorgelegt: „Iraks christliches Erbe. Vom Überleben im Zweistromland“. Mit Johannes Spätling sprach er über das Werk, das auch Entwicklungen beschreibt, die aktuell erneut in Syrien zu beobachten sind, und trotzdem die Hoffnung vermittelt, dass es noch eine christliche Zukunft in der Region gibt.
Sie sind erst vor wenigen Tagen von einer Reise aus dem Irak zurückgekehrt. Welche Aspekte waren für Sie besonders eindrücklich, was stimmt Sie optimistisch oder nachdenklich?
Ich bereise den Irak seit 1999 und konnte in den vergangenen Tagen noch mal den Vergleich ziehen, was sich in den letzten Jahren getan hat. Es gab einerseits nach 2017, als der Islamische Staat besiegt war, eine unglaubliche Wiederaufbauwelle, die man vor allen Dingen in Mossul gut sehen kann, auch von Kirchen. Und genauso gut sieht man, dass auch ein paar Kirchen und Gemeinden nicht wieder aufgebaut werden. In diesem Spannungsfeld bewegt sich der Irak auch acht Jahre nach dem Sturz des Islamischen Staates, zwischen Abbruch und Aufbau. Ich bin gespannt und zugleich besorgt, wie sich dies in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird. Zudem schauen viele Iraker sehr besorgt nach Syrien, weil die aktuelle Situation dort für viele Iraker beunruhigend scheint. Sollten die IS-Gefängnisse in Syrien wirklich geöffnet werden, hat man die große Angst, dass ein Rückstrom von IS-Kämpfern in den Irak stattfinden könnte.
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Inwieweit kann man aktuell Entwicklungen im Irak und auch in Syrien prognostizieren? Was tut sich in beiden Ländern, auch hinsichtlich des Zusammenlebens verschiedener Gruppen und Glaubensrichtungen?
In den vergangenen 20 Jahren nach dem Sturz von Saddam Hussein wurde Demokratie im Irak durchaus erlernt, mit der Unterbrechung durch den Islamischen Staat. Da ist der Irak deutlich weiter als Syrien. Die Spannung zwischen der Bagdader Zentralregierung und der Autonomie der Kurden sowie zwischen vielen untereinander rivalisierenden Milizen stellen allerdings Zukunftsrisiken dar. In Syrien haben wir den Sturz eines autoritären Regimes – ich persönlich glaube den Ankündigungen von Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa jedoch noch nicht. Er muss den vielen hehren Worten dringend Taten folgen lassen. Ich denke, wir werden jetzt in Syrien das erleben, was der Irak die letzten sechs Jahre erlebt hat: den Sturz eines Systems sowie eine lange Phase des Wiederaufbaus. Und nun ist die spannende Frage: Kehren Flüchtlinge zurück nach Syrien, kehren auch Christen zurück? Wir haben in Syrien wahrscheinlich noch vier bis sechs Prozent Christen von ehemals elf Prozent innerhalb der Bevölkerung. Im Irak sind es allerhöchstens noch zwei Prozent Christen von ehemals fünf. Aber ich glaube, dass die zwei Prozent im Irak eine Zukunft haben, wenn der Staat erkennt, dass sie einen Beitrag in der Zivilgesellschaft leisten können und dürfen.
Inwieweit ist die Existenz der christlichen, der jesidischen, aber auch anderer Minderheiten überhaupt wichtig für den Irak und im Nahen Osten? Und wie sehen Sie die wirtschaftliche Zukunft im Irak?
In meinem Buch erläutere ich, dass der Irak natürlich durch den Islam geprägt ist, jedoch über zwei Jahrtausende auch durch weitere Religionen. Zu nennen sind die Zoroastrier, die Juden, die Jesiden oder die Christen – sie alle gehören zur kulturellen und ethnischen Identität dieses Landes dazu. Wenn die Christen morgen den Nahen Osten verlassen würden, würde ein wesentlicher Teil des karitativen Versorgungssystems zusammenbrechen. Sie betreiben Krankenhäuser, ambulante Pflegestationen, Altenheime, Kindergärten, Schulen. Das kann der Staat nicht auffangen. Und deshalb wissen die Nahoststaaten das Engagement der Christen grundsätzlich zu schätzen. Wirtschaftlich gesehen kann der Irak den Ölpreis weiterhin mitbestimmen und hat daher eine Zukunft. Aber es gibt nun mal die konkurrierenden Milizen, welche das Land lähmen.
Welche Aspekte machen Hoffnung, auch für die Christen im Land?
Letzte Woche stand ich morgens in den Trümmern von Mossul und habe abends in Karakosch mit 1000 Gläubigen an einer Lichterprozession teilgenommen. Solch einen Aufbruch habe ich selten gesehen. Es gibt ein reiches Gottesdienstleben, das wieder aufblüht. Das war in Bagdad ja nie verschollen, dort haben vor 20 Jahren noch Christen und Muslime nebeneinander gewohnt. Aber in Mossul war es zwischenzeitlich am Boden. Wichtig ist, dass weiter Bildungsangebote von Christen gemacht werden. Man hat in Bagdad beispielsweise eine kleine Akademie gegründet, in der man Fortbildungen für Erwachsene anbietet. Zudem können Iraker weiterhin die Caritaseinrichtungen nutzen, mit Behinderteneinrichtungen und vielem mehr. Das christliche Leben im Irak ist noch lange nicht tot, es lebt wieder auf. Allerdings ist man im Nahen Osten vor Terror nie sicher.
Haben Instanzen wie die EU oder der Vatikan Einfluss auf den Fortschritt im Irak und Syrien?
Davon bin ich überzeugt. Ich glaube, dass die EU jetzt mehr denn je im Nahen Osten gefragt ist, mit starker Präsenz. Und nicht nur um Hände zu schütteln, wie zuletzt, sondern um vor allem der syrischen Regierung auf den Zahn zu fühlen. Europa muss Verantwortung übernehmen, vor allen Dingen dann, wenn andere Hilfssysteme zusammenbrechen. Zuletzt wurde bekannt, dass US-Präsident Donald Trump die USAID-Hilfsleistungen streichen wird. Das ist dramatisch, weil die USA die zentralen Hilfsorganisationen im Irak stellen – auf diese Weise brechen Millionen weg. Daher hat Europa jetzt eine noch größere Aufgabe als vorher.
Was war die Motivation für Ihr Buch, und über welche Aspekte informiert es im Besonderen?
Meine Motivation begann im Frühjahr 2021, als Papst Franziskus aus dem Irak zurückkehrte. Diese Reise war so sensationell, mitten in der Pandemie in dieses Land zu fahren, um den Beitrag der Christen für die Zivilgesellschaft aufzuzeigen. So ist mein Antrieb geweckt worden, und deshalb ist das zwölfte Kapitel auch voll der Papstreise gewidmet. Mir geht es im Buch um drei Dinge: Erstens soll es eine Hommage an alle Christen darstellen, die noch im Land geblieben sind, um ihr Erbe zu sichern. Das zweite ist die Erinnerung an dieses reiche Erbe der Wiege der Zivilisation, an welchem Christen, Muslime, Juden und weitere Religionen beteiligt waren und sind. Und der dritte Aspekt wäre sicherlich zu betonen, dass auch in außerordentlichen Krisensituationen der Vatikan mit seiner stillen Diplomatie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss nehmen kann. Denn der Vatikan ist stets mit einer diplomatischen Vertretung im Land geblieben – egal in welcher Krisenzeit. Das zeigt: Wir dürfen und werden den Irak und das christliche Leben im Nahen Osten nicht aufgeben.