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Energie-SündenfallBeschafft Deutschland seine Kohle auf Kosten der indigenen Völker?

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Als „Monster“ bezeichnen Menschen vor Ort die Kohlemine „El Cerrejón“.

Kohle für Deutschland, Wassermangel in der Region: Als „Monster“ bezeichnen Menschen vor Ort die Kohlemine „El Cerrejón“.

Die Kohle aus der umstrittenen kolumbianischen Mine „El Cerrejón“ soll in Deutschland den Wegfall von Atom- und Gasstrom mit auffangen. Kritiker indes warnen.

Im Minutentakt rattern die riesigen Lkw über die staubtrockene Zufahrtsstraße der Kohlemine „El Cerrejón“. Eine Zeit lang noch bleibt ihre graue Staubfontäne in der brütend heißen Luft stehen. Die Menschen hier nennen den Tagebau hier wegen seiner schieren Größe das „Monster“.

Die größte Kohlemine Lateinamerikas liegt in der bettelarmen, heißen, wasserarmen Provinz La Guajira im Nordosten Kolumbiens. Von hier schaffen es kaum Nachrichten über Protestaktionen der lokalen indigenen Bevölkerung, der Wayuu, bis in die internationalen Medien. Dabei ist „El Cerrejón“ so etwas wie ein unverzichtbarer Bestandteil der deutschen Energiewende. Besser gesagt, der Lückenbüßer, der Problemlöser. Weil die Ampel-Koalition ihren versprochenen Atomausstieg umgesetzt hat, am versprochenen Kohleausstieg festhält und ein Embargo gegen Kohle aus Russland verhängt hat, muss die Kohle von irgendwo anders herkommen. Zumindest so lange, bis die erneuerbaren Energien den Part übernehmen, den bislang die AKW oder die Gaskraftwerke beisteuerten.

Kohle aus Kolumbien: Dank an Deutschland für „gesteigertes Interesse“

Und hier kommt „El Cerrejón“ ins Spiel. Juan Camilo Nariño, Präsident des kolumbianischen Bergbauverbandes, durfte Ende 2022 jubeln: „Dieses Jahr war ein historisches Jahr, was die Bergbauexporte angeht.“ Sein Dank ging vor allem nach Deutschland, Polen und die Niederlande für „ihr gesteigertes Interesse“ an kolumbianischer Kohle. Anfang Juni veröffentlichte der Verband die Prognose für 2023: 71,9 Millionen Tonnen, das entspricht nochmals einem Anstieg von 10,7 Prozent gegenüber den ohnehin schon herausragenden 64,9 Millionen Tonnen im Vorjahr.

Der große Gewinner dieser Entwicklung ist der Schweizer Konzern Glencore. Das Unternehmen hatte wenige Wochen vor dem russischen Überfall auf die Ukraine die Mine von Anteilseignern komplett übernommen, die mit dem Kohlebergbau aus Klimaschutzgründen nichts mehr zu tun haben wollten. Als aber die russischen Panzer über die ukrainische Grenze rollten, griff Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Telefon und bat seinen damaligen konservativen kolumbianischen Amtskollegen Ivan Duque um Hilfe.

Die Kohle kommt nun aus dem Ausland

Auch das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium von Robert Habeck nahm alle Hebel in die Hand, um einen befürchten Energieengpass, einen Blackout zu verhindern. Der Plan: Reaktivierung der Kohlekraftwerke, aber mit Kohle aus dem Ausland. Und was bis dahin schmutzig, hässlich und klimafeindlich war, war plötzlich wieder heiß begehrt. Seitdem kennen die Exportzahlen und die Umsätze von „El Cerrejón“ nur eine Richtung: nach oben. Während eine Glencore-Sprecherin erklärt: „Wir äußern uns nicht zu einzelnen Märkten“, sprechen andere Zahlen eine deutliche Sprache. Nach Angaben der deutschen Kohleimporteure kamen 2022 allein 7,3 Millionen Tonnen Steinkohle aus Kolumbien.

Für die deutsche Regierung hat die Mine noch einen zweiten großen Vorteil. Sie liegt im Nirgendwo. Die großen urbanen Zentren wie Bogotá, Cali oder Medellin sind weit weg, es gibt hier keine urbane Klimaschutzszene. Hierhin verirrt sich keine Greta Thunberg, keine „Letzte Generation“ und auch keine Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die ihre Lateinamerikareise Anfang des Monats abgeschlossen hat. Eine Erstürmung der Mine durch Klimaschützer wie in Garzweiler würde hier allein schon am nahezu geheimdienstlich organisierten Sicherheitsapparat, spätestens aber am doppelt gesicherten Stacheldraht scheitern. Bilder wie in Lützerath, als die Polizei Umweltaktivisten forttrug, sind von hier nicht zu erwarten. Problem outgesourct, einige sprechen bereits von einer Art „grünem Kolonialismus“ der Industrieländer, die ihre Energiewende auf dem Rücken des globalen Südens durchsetzen wollen.

Hinzu kommt: Die prominentesten einheimischen Kritiker der Mine sitzen nun selbst in der kolumbianischen Regierung. Die damalige Umweltaktivistin und heute Vizepräsidentin Francia Marquez twitterte im Wahlkampf 2022: „In La Guajira befindet sich die größte Kohlemine Kolumbiens, und in diesem Departement sterben Kinder an Hunger. Ist das Entwicklung?“ Mit Marquez gingen zahlreiche Vertreter der Zivilgesellschaft in die neue linke Regierung von Gustavo Petro, der gemeinsam mit Marquez noch im Wahlkampf versprochen hatte, das Ende des fossilen Zeitalters einzuläuten. Doch angesichts der klingelnden Kassen sollen nun doch entgegen allen Versprechen neue Tagebaue zugelassen werden. Kohle erlebt in Kolumbien in diesen Monaten ein fulminantes Comeback.

Enttäuschung über die Haltung aus Deutschland

Eine, die seit Jahren gegen den Kohlebergbau protestiert, ist Jakeline Romero Epiayu von einer Wayuu-Frauenrechtsorganisation. Sie selbst war 2017 im Rahmen einer Reise von Aktivistinnen und Aktivisten aus La Guajira in Deutschland und fasziniert vom Dekarbonisierungsversprechen aus Berlin. Die Deutsche Welle kommentierte damals: „Deutschland und Kolumbien vereinen sich im Kampf gegen die Kohle“. Nun sind beide Länder wieder vereint, allerdings im Bergbau. Romero macht aus ihrer Enttäuschung über die deutsche Kohlewende keinen Hehl und würde sich wünschen, dass mal Politiker aus Deutschland nach La Guajira kommen, um sich die Realität vor Ort anzusehen. „Es ist etwas ganz anderes nur darüber zu sprechen, als mit eigenen Augen die Realität zu sehen. Die Realität, die die Wayúu-Bevölkerung in Bezug auf die Bergbauaktivitäten, den Extraktivismus, diese Kohle, die für Deutschland mit Blut befleckt ist, erleidet.“

Konkret werfen die Wayuu-Indigenen dem Minenbetreiber vor, Flüsse und Bäche umzuleiten und das knappe Wasser, um das in der in Teilen knochentrockenen Region gekämpft wird, für den Kohlebergbau zu verwenden. Die Minenbetreiber weisen das zurück. Es werde zu 90 Prozent nur schlechtes Brauchwasser benutzt. Dem können lokale Bewohner wie Leobardo Sierra, einer der Sprecher der indigenen Wayúu-Gemeinde „El Rocío“, nur mit eigenen Erfahrungswerten entgegenhalten: „Wir spüren hier, dass das Wasser immer weniger wird.“

Tatsächlich verhungern und verdursten in der Provinz die indigenen Kinder, weil von den vielen Hundert Millionen Euro, die mit der Mine verdient werden, zu wenig hängen bleibt.

Es trifft eine der ärmsten Regionen

Ob das unbedingt den Minenbetreibern anzulasten ist, ist eine ganz andere Frage. Auch in La Guajira gibt es auf lokaler Ebene Korruption. In den letzten zehn Jahren gab es zwölf Gouverneure. Die meisten von ihnen wurden entlassen, weil sie in Korruptionsfälle verwickelt waren, von denen einige mit der Verwaltung der Mittel für Kinderernährung zusammenhingen, berichtet das Portal „Dejusticia“. Präsident Petro reiste eigens dreimal in die Region, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Stoppen konnte auch er bislang das Sterben nicht.

Die Minenbetreiber verweisen derweil auf ihre hohen Steuerzahlungen, ohne diese für Kolumbien exakt aufschlüsseln zu wollen. Eine Sprecherin teilte auf Anfrage mit: „Cerrejón steuert einen positiven Beitrag zur Entwicklung von La Guajira bei und erwirtschaftet derzeit etwa 46 Prozent des regionalen Brutto-Inlandsprodukts. Mit mehr als 61 Prozent der 12 000 Beschäftigten aus der Region leistet Cerrejón auch einen wichtigen Beitrag zur lokalen Beschäftigung.“