Donald Trump steht nach der Demütigung seines ukrainischen Gastes Wolodymyr Selenskyj als vermeintlich starker Mann da. Aber warum hatte er den Auftritt nötig? Und was müssen die Europäer jetzt tun? Eine Analyse.
Eklat bei Selenskyj-BesuchWie Trump sein Scheitern überspielte - und was das für Europa heißt

Demonstrative Unterstützung: Premierminister Sir Keir Starmer (r) begrüßt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit einer Umarmung in London.
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Sie versuchen zu retten, was zu retten ist: Nach dem Rauswurf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus dem Weißen Haus wurde der Ukraine-Gipfel beim britischen Premier Keir Starmer in London zum Krisentreffen. Vor der Runde griff Starmer zum Telefonhörer, um mit beiden Seiten zu sprechen. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron will vermitteln, und beide wollen einen Plan für eine Waffenruhe im russisch-ukrainischen Krieg vorlegen. Aber ist überhaupt noch etwas zu reparieren?
Wie kam es zum Eklat im Weißen Haus?
Üblicherweise zeigen sich US-Präsidenten mit ihren Regierungsgästen Medienvertretern beim „Kamingespräch“ im Oval Office, bevor es hinter verschlossenen Türen zur Sache geht. Früher war das ein eher zeremonieller Termin – Trump macht daraus gern ein Geplänkel mit den Journalisten.
Das Gespräch verlief anfangs einigermaßen freundlich. Selenskyj erlaubte sich aber an zwei Punkten, dem US-Präsidenten zu widersprechen. Punkt eins war Trumps irrige Behauptung, die Ukraine-Hilfen der USA überträfen die der Europäer, Punkt zwei die Frage von Sicherheitsgarantien. Trump wollte sie mit dem Hinweis vom Tisch wischen, durch das geplanten Rohstoffabkommen kämen ja US-Arbeiter ins Land, und der russische Präsident Wladimir Putin habe ihm gegenüber nie sein Wort gebrochen. Selenskyj insistierte – und während Starmer am Tag zuvor Trump ungestraft widersprechen durfte, geriet der ukrainische Gast mit US-Vizepräsident JD Vance aneinander. Der hatte sich schon bei der Münchner Sicherheitskonferenz als Provokateur bewährt und warf Selenskyj nun Respektlosigkeit und eine „Propagandatour“ vor.
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Selenskyj wehrte sich. Trump kam wieder ins Spiel und erklärte unter anderem, Selenskyj spiele mit dem Dritten Weltkrieg. Vance wirft Selenskyj Undankbarkeit vor. Trump resümierte: „Entweder Sie gehen einen Deal ein, oder wir sind raus“ und zum Schluss: „In Ordnung, ich denke, wir haben genug gesehen. Was meinen Sie? Großes Fernsehen. Das muss ich sagen.“ Zu weiteren Gesprächen kam es nicht, das geplante Rohstoffabkommen wurde nicht unterzeichnet, Selenskyj musste das Weiße Haus verlassen.
Warum haben sich Trump und Vance so verhalten?
Zwar stellte sich die große Mehrheit der westlichen Regierungen hinter Selenskyj, aber es gibt auch unterschwellige Kritik. „Lieber Wolodymyr, ich glaube, Du musst einen Weg finden, Deine Beziehung zu Donald Trump und der US-Regierung wiederherzustellen“, will Nato-Generalsekretär Mark Rutte dem Ukrainer am Telefon gesagt haben. Hätte sich der ukrainische Präsident besser nicht provozieren lassen? Aber auch wenn er die öffentliche Demütigung durch Vance und Trump eingesteckt hätte: Was hätte er damit gewonnen?
Wenn es eine rationale Erklärung für das Verhalten von Trump und Vance gab, dann ist es nämlich diese: Der angeblich so friedenswillige Putin hat die neue US-Administration konsequent auflaufen lassen. Er will den von Trump vorgeschlagenen europäischen Friedenseinsatz keineswegs akzeptieren und den Krieg auch nicht an der aktuellen Frontlinie einfrieren, sondern verlangt die Räumung weiterer Gebiete, deren Eroberung ihm nicht gelungen ist. Darunter das rechte Dnipro-Ufer bei Cherson – idealer Ausgangspunkt für eine mögliche spätere russische Offensive gegen den Hafen Odessa. Putins Haltung trübt übrigens auch die Erfolgsaussichten der von Starmer und Macron angekündigten Waffenruhe-Initiative.
Trump, der den Krieg bekanntlich in 24 Stunden beenden wollte, fordert jetzt, dass Selenskyj einen vermeintlichen „Deal“ mit Putin ohne jede Sicherheitsgarantie akzeptieren solle. Auf seiner Plattform „Truth Social“ zitierte er die Auffassung eines anderen Nutzers, allein schon die Anwesenheit von US-Arbeitern in der Ukraine sorge für genug Sicherheit, Russland werde dann nicht angreifen. Das Weiße Haus habe Selenskyj in eine Falle gelockt, sagte der Kölner Politologe Thomas Jäger bei ntv. Dafür spricht, dass Trump ausgerechnet die russische Staatsagentur Tass eingeladen hatte. Im Ergebnis schiebt er der ukrainischen Seite die Schuld an seinem Scheitern zu und markiert daheim, in den durch Elon Musks Behördenchaos und sinkendes Verbrauchervertrauen belasteten USA, den starken Mann.
In der EU nutzte der Putin-freundliche ungarische Ministerpräsident Viktor Orban den Eklat, um damit zu drohen, den nächsten EU-Gipfel zur Ukraine am kommenden Donnerstag platzen zu lassen. Und Deutschland? Bundeskanzler Olaf Scholz regiert nur noch auf Abruf. Er stimmt sich, wie zu hören ist, eng mit dem wahrscheinlichen Nachfolger Friedrich Merz ab. Aber die maßgeblichen Impulse kommen aus London und Paris.
Ist die Ukraine so sehr unterlegen, wie Trump behauptet?
„Ich habe Ihnen die Macht verliehen, ein starker Mann zu sein“, sagte Trump zu Selenskyj und: „Sie haben die Karten nicht in der Hand. Sie stecken dort fest. Ihre Leute sterben. Ihnen gehen die Soldaten aus.“ Ist die Ukraine wirklich so schwach, dass sie ein Abkommen zur kampflosen Abtretung von Großstädten wie Cherson und Saporischschja und ohne jede Sicherung vor künftigen Angriffen unterschreiben müsste?
Zweifellos erleiden beide Seiten im russisch-ukrainischen Krieg hohe Verluste. Dabei gibt es für die Zahl der Gefallenen und schwer Verwundeten nur Schätzungen – das Belfer Center an der Harvard-Universität nennt 700.000 auf russischer und 400.000 auf ukrainischer Seite. Russland hat seit dem 24. Februar 2022 laut Zählung des Portals Oryx 20.557 schwere Waffensysteme und Fahrzeuge eingebüßt, die Ukraine 7.965.
Auf den ersten Blick könnte Russland mit seiner mindestens dreimal größeren Bevölkerung seine höheren Verluste auch leichter kompensieren als die Ukraine – auf den zweiten Blick sind die russischen Probleme groß. Der Krieg fordert die russische Volkswirtschaft bis an ihre Grenzen, wegen der Inflationsgefahr liegt der Leitzins bei 21 Prozent. Putin will aus innenpolitischen Gründen auf eine Massenmobilisierung verzichten. Nicht nur die Ukraine, sondern auch Russland hat daher Probleme, genug Leute zum Kämpfen zu bekommen. Indizien sind der Einsatz nordkoreanischer Soldaten und eine vom Exilmedium „Werstka“ berichtete Praxis: Zeitsoldaten, deren Verträge eigentlich auslaufen werden demnach mit der Drohung zur Vertragsverlängerung gezwungen, sie würden sonst in Angriffe mit allenfalls 15 Prozent Chance zum Überleben geschickt.
Im zentralen Donbass, bei Pokrowsk und Torezk, hat die Ukraine die Front zuletzt stabilisieren können. Das Tempo der ukrainischen Netto-Gebietsverluste ist rückläufig. So angespannt die Lage also ist: Anlass, wie von Trump letztlich verlangt, vor Putin zu kapitulieren hat die Ukraine nicht.
Könnten die Europäer die US-Hilfe ersetzen?
Ob die USA die Ukraine weiterhin mit Waffen beliefern, ließ Trump offen. Auch eine nachträgliche Äußerung seiner Sprecherin Caroline Leavitt, es gebe keine Blankoschecks mehr, bedeutet nicht zwangsläufig das Ende jeder Hilfe. Aber was, wenn der Stopp erfolgt?
Geld spielt dann nicht die Hauptrolle. Die 350 Milliarden Dollar an bisheriger US-Hilfe, die Trump Selenskyj entgegenhielt, sind ein frei erfundener Betrag. Tatsächlich geht es um ein Drittel der Summe. Umgerechnet 114 Milliarden Euro aus den USA stehen 132 Milliarden aus der EU, Großbritannien und weiteren europäischen Ländern gegenüber. Und: Die von Deutschland in drei Jahren aufgebrachten Hilfen zum Beispiel entsprechen gerade einmal 0,4 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung eines einzigen Jahres. Da ist noch Luft nach oben.
Finanziell könnten die Europäer somit einen Ausfall der US-Hilfen kompensieren. Aber sie können US-Fähigkeiten etwa in der Aufklärung nicht ersetzen. Zudem können europäische Fabriken auch für alles Geld der Welt nicht in beliebigem Tempo beispielsweise neue Schützenpanzer bauen. Viel würde davon abhängen, ob Trump bei einem Stopp der eigenen Hilfen zumindest Waffeneinkäufe zugunsten der Ukraine zulässt.
Welche Folgen hat die US-Wende für die Europäer selbst?
Dass Trump die Ukraine im Zweifel preisgeben würde, hängt mit seiner Sicht auf Europa insgesamt zusammen. Die USA seien von den Problemen dort durch einen „großen, wunderbaren Ozean“ getrennt, hatte er am 19. Februar in seinem Hass-Post über den vermeintlichen „Diktator“ Selenskyj geschrieben. Da wird es zunehmend fraglich, ob Trump noch irgendwelche Bündnispflichten aus dem Nato-Vertrag einlösen würde. Im Fall einer Waffenruhe im russisch-ukrainischen Krieg müssen die Europäer darauf eingestellt sein, dass Putin umgehend mit dem Wiederaufbau seiner Truppen beginnen wird. Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer hat wiederholt davor gewarnt, Russland könne bis 2029 in der Lage sein, Nato-Territorium zu bedrohen.
Die EU-Staaten benötigen nach einer Berechnung des Brüsseler Forschungsinstituts Bruegel und des Kieler Instituts für Weltwirtschaft 300.000 weitere Soldaten, um sich im Kriegsfall ohne US-Unterstützung gegen Russland zu verteidigen. Jährlich wären in der EU zudem etwa 250 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln notwendig.
Deutschland steht für ein Fünftel der EU-Bevölkerung und ein Viertel der EU-Wirtschaftskraft. Der Wehretat müsste von 80 auf 140 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Und würde sich Deutschland proportional zur Bevölkerungszahl am Streitkräfteaufbau beteiligen, hieße das: 60.000 zusätzliche Bundeswehrsoldaten, ein Drittel mehr als die heutigen 181.000. Das ist ohne eine eingeschränkte Wiederbelebung der Wehrpflicht etwa nach schwedischem Muster und intensives Heranziehen von Reservisten kaum vorstellbar. Zum Vergleich: 2010, im letzten Jahr vor Aussetzung der Wehrpflicht, hatte die Bundeswehr 246.000 Soldatinnen und Soldaten, davon knapp ein Viertel Wehrdienstleistende (Grundwehrdienst und freiwilliger Wehrdienst). Das wäre auch der aktuelle Bedarf.