Kerstin Herrenbrück ist Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde in Köln-Höhenhaus. Sie hat sich Gedanken zu den guten Worten im Alltag gemacht.
Das Wort zum Sonntag„Klebt euch an die Liebe“
Ich war in einer kabarettistischen Lesung. Sarah Bosetti stellte selbstverfasste Liebeslyrik vor. Das besondere war, dass ihre Liebesbotschaften aus Hassbotschaften entstanden sind, die sie regelmäßig über Social-Media-Kanäle bekommt. Das hat mich nachhaltig erschreckt wie beeindruckt.
Als erschreckend empfinde ich es, zu wie viel offener Wut, sprachlicher Gewalt, beleidigenden Worten Menschen gegenüber einer Person fähig sind. Umso mehr beeindruckt es mich, wenn Betroffene sich davon weder still und klein machen lassen, noch mit gleicher Münze heimzahlen. Sarah Bosetti begegnet eigener Verletzlichkeit mit Kreativität. Für mich war das kabarettistisch unterhaltsam – und zugleich so viel mehr.
Nicht unterhaltsam, aber mindestens ebenso stark habe ich eine Reaktion wahrgenommen, die vor allem Kirchenmenschen auf die faschistischen, rassistischen, diskriminierenden Hasskommentare zu den Abschlusspredigten des Kirchentags in Nürnberg gezeigt haben: „Klebt euch an die Liebe“ – ein zutiefst christlicher Aufruf gegen den Hass, der da entgegenkommt.
Beide Formen zeigen weder Naivität noch Ignoranz gegenüber konstruktiver Kritik, sondern eine großartige Reaktion auf übergriffige, zutiefst verletzende und mitunter bedrohliche Äußerungen, die sich allein gegen eine Person richten.
Im Neuen Testament schreibt Paulus: „Kein böses Wort soll über eure Lippen kommen. Vielmehr sollt ihr stets ein gutes Wort haben, um jemanden zu stärken, wenn es nötig ist. Dann bringt dieses Wort denen Segen, die es hören.“ (Eph 4,29)
Das könnte ein guter Leitsatz sein für jede Form der Kommunikation, denke ich. Formulieren zu dürfen, wofür ICH stehe; hinzuhören, was mein Gegenüber sagt; aufrichtig und kritisch diskutieren zu können; Offenheit zu zeigen, die Veränderung auch bei mir möglich macht – in all dem können gute Worte stecken, die stärken und nicht diffamieren, ohne dass wir immer einer Meinung sein müssen. Da wäre so viel Segen drin, wenn Menschen einander immer so begegnen könnten.