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Das Wort zum SonntagDie Kirchen und die Mittelschicht

Lesezeit 2 Minuten
Ein Kreuz und eine Kirchturmspitze spiegelt sich in einer Wasserlache.

Ein Kreuz und eine Kirchturmspitze spiegelt sich in einer Wasserlache.

Hartmut Kriege von der katholischen Pfarrgemeinde St. Nikolaus in Bonn macht sich Gedanken um die steigenden Sorgen der Menschen und den Prozess der Wandlung in der Kirche.

Die Mittelschicht: Das sind fast Dreiviertel der Gesellschaft. Mehr noch als in früheren Zeiten gerät diese „Klasse“ heute unter Druck. Die ökonomische Globalisierung zunächst, dann die Pandemie der letzten Jahre und die Explosion der Energie- und Rohstoffpreise sowie schwer lastende, administrative Orientierungsvorgaben für die Arbeitswelt lassen die Mittelschicht langsam, aber sicher implodieren: Der Motor florierenden gesellschaftlichen Lebens und Wohlstands droht sich festzufressen.

Die Mittelschicht: Das sind auch die Kirchen in Deutschland – Mittelständler, Kleinbürger. Die Implosion dieser Schicht mit den sich daraus ergebenden Verunsicherungen und Ängsten zieht als Kollateralschaden unweigerlich vor allem die Katholische Kirche mit in ihren Strudel. Eine Kirche, deren Strukturen seit Mitte des 19. Jahrhunderts ganz auf die Lebenswelt einer überwiegend ländlich verwurzelten Gruppe hin ausgerichtet waren und die selbst das letzte Konzil im Großen und Ganzen überlebt haben.

Wer das Weiterleben der Kirche im Blick hat, kann diese Entwicklung nicht außer Acht lassen. Der Missbrauchsskandal wird sich im Rückblick der Jahre nämlich als jener „Katalysator“ erweisen, der eines der seit Ende der Antike bestehenden ungelösten Grundprobleme der Kirche, nämlich „die Niederlage des Körperlichen“ (LeGoff), offengelegt hat – unumkehrbar.

Der „Fromme“ der Zukunft, von dem Karl Rahner meinte, dieser könne nur ein „Mystiker“ sein, also einer, der etwas „erfahren“ habe, wird zudem die kodifizierte, dogmatisierte Lehre der Kirche (Katechismus) weitgehend beiseiteschieben, weil er, entgegen früheren Zeiten, die Kirche nicht mehr ohne Vorbehalt als „Hüterin und Lehrerin unseres heiligen Glaubens“ akzeptieren wird. Die derzeit schon massive Zurückweisung sexualethischer Vorgaben der Kirche zeigt, dass dieser Prozess bereits begonnen hat. Hartmut Kriege