„Abgehoben“Lindner nach „Gratismentalität“-Vorwurf an 9-Euro-Ticket in der Kritik
Köln – Finanzminister Christian Lindner muss sich nach Äußerungen zum 9-Euro-Ticket scharfe Kritik gefallen lassen. Der FDP-Politiker hatte am Sonntag erklärt, er sehe im Bundeshaushalt keinen Spielraum für weitere Rabattaktionen im Nahverkehr. „Es stehen in der Finanzplanung für eine Fortsetzung des 9-Euro-Tickets keinerlei Mittel zur Verfügung“, sagte der FDP-Politiker der „Augsburger Allgemeinen“. Lindner führte aus, „jeder Euro müsste durch Kürzung anderswo mobilisiert werden.“
Generell sei er von einer „Gratismentalität à la bedingungsloses Grundeinkommen“ auch im Öffentlichen Nahverkehr nicht überzeugt. „Jeder Steuerzuschuss für ein nicht die Kosten deckendes Ticket bedeutet Umverteilung. Die Menschen auf dem Land, die keinen Bahnhof in der Nähe haben und auf das Auto angewiesen sind, würden den günstigen Nahverkehr subventionieren. Das halte ich für nicht fair“, erklärte Lindner.
Kritik an Christian Lindner: „Er spricht von Gratismentalität, verschenkt selbst aber Steuermilliarden“
„Finanzminister Lindner ersetzt Politik immer mehr mit Comedy“, kritisierte Linken-Politiker Bernd Riexinger bei Twitter Lindners Äußerungen. „Er spricht von Gratismentalität beim 9-Euro-Ticket, verschenkt selbst aber Steuermilliarden mit dem Tankrabatt und schont die Gewinne vom Krieg“, führte der ehemalige Partievorsitzende der Linken aus. „Blöd nur, dass niemand über diese Form der Comedy lachen kann.“
Auch der Landessprecher der Linken in NRW, Jules El-Khatib, äußerte scharfe Kritik an Lindner. „Christian du hast einen Fahrer, einen Dienstwagen, du kannst mit der Bahn überall umsonst fahren und das erster Klasse, wie kannst du da echt so unglaublich dreist sein und Menschen Gratismentalität vorwerfen, weil sie ein günstiges Ticket nutzen um sich fortzubewegen?“
Reaktionen auf Christian Lindner: „Gratismentalität ist jetzt schon das Unwort des Jahres“
„Beim 9-Euro-Ticket von Gratismentalität sprechen und bei Porsche ganz vorne mit dabei sein, wenn es darum geht, klimaschädliche Technologien zu fördern“, kritisierte derweil SPD-Politikerin Christina Kampmann auf Twitter. „Christian Lindner opfert den Klimaschutz den eigenen Klientelinteressen und schadet damit letztlich uns allen!“ Grünen-Politikerin Kathrin Henneberger befand unterdessen: „Gratismentalität ist jetzt schon das Unwort des Jahres“.
Krsto Lazarevic, akkreditierter Assistent des Grünen-Politikers und EU-Abgeordneten Eric Marquardt, meldete sich ebenfalls zu Wort: „Ein Döner von der Bude kostet gerade mehr als im Hartz-4-Satz pro Tag und Person für Essen vorgesehen ist, aber Herr Lindner macht sich mit seinem fünfstelligen Monatsgehalt Sorgen, dass sich eine 'Gratismentalität' ausbreite“, schrieb Lazarevic bei Twitter. „Wie abgehoben und realitätsfern kann man sein?“
Unterstützung für Christian Lindner aus eigener Partei
Unterstützung bekam Lindner für seine Äußerungen derweil aus der eigenen Partei. „Auf der Welt gibt es nichts gratis“, erklärte Anna Neumann, stellvertretende Landesvorsitzende der Jungen Liberalen in NRW auf Twitter. Den Eindruck könne man aber bekommen, „so unverantwortlich wie der ein oder andere mit dem hart erarbeiteten Geld der Steuerzahler umgehen will“, führte die FDP-Politikerin aus. „Dass ein Bundesfinanzminister diese Gratismentalität anspricht, ist wichtig und richtig.“
Auch abseits des politischen Betriebs wurden kritische Stimmen gegen Lindner laut und bekamen in den sozialen Netzwerken am Sonntag viel Zustimmung. Besonders Beiträge, die daran erinnerten, dass Lindner kürzlich kirchlich geheiratet hat ohne Kirchensteuer zu zahlen, waren am Sonntag populär. „'Gratismentalität' ist, wenn ich noch nie Kirchensteuer bezahlt habe, mich aber in einer von Kirchenmitgliedern finanzierten Kirche publicity-wirksam trauen lasse“, schrieb eine Nutzerin bei Twitter und bekam dafür mehrere tausend „Gefällt mir“-Angaben.
Christian Lindner lehnt Grünen-Vorschlag zur Finanzierung von 9-Euro-Ticket-Nachfolger ab
Lindner hatte sich bereits vor seinen neusten Äußerungen gegen einen Vorschlag der Grünen gestemmt, die pauschale Versteuerung von Dienstwagen abzuschaffen, um einen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket zu finanzieren. „Es ist schon linke Polemik, die pauschale Versteuerung eines Geschäftswagens als Privileg zu bezeichnen, denn es ist vor allem eine Steuervereinfachung“, sagte der FDP-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Untersuchungen hätten ergeben, dass die Pauschalversteuerung keinen Steuervorteil bedeute, sagte Lindner.
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Eine Steuersubvention bei Dienstfahrzeugen gebe es dagegen zum Beispiel bei Elektroautos. „Die ist in meinen Augen aber sinnvoll, weil damit klimafreundliche Neufahrzeuge als Geschäftswagen in die Flotte kommen, die wenig später gute und günstige Gebrauchtwagen sind“, sagte Lindner.
Führende Politiker der Grünen hatten in einem Konzeptpapier zwei Tickets als Nachfolger für das 9-Euro-Ticket vorgeschlagen: ein Regionalticket für 29 Euro und ein bundesweit gültiges Ticket für 49 Euro im Monat. Beide sollen weiterhin nur für den Nah- und Regionalverkehr gelten. Zur Finanzierung wollen die Grünen das Dienstwagenprivileg beschneiden, mit dem Unternehmen Kosten für Firmenwagen steuerlich absetzen können. Vor allem der CO2-Ausstoß soll dabei stärker berücksichtigt werden. (mit dpa)