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Christian Lindner im Interview„Verhindern, dass Menschen ihre Existenz verlieren“

Lesezeit 6 Minuten
Christian Lindner

Christian Lindner (FDP)

In Zeiten von Inflation und Energiekrise fürchten viele Betriebe und Privatpersonen den Bankrott. Im Gespräch mit Burkhard Ewert erklärt der Finanzminister und FDP-Chef, wie er eine Insolvenzwelle verhindern will.

Herr Lindner, Sie haben die Arbeitgeber diese Woche ermutigt, 3000 Euro steuer- und abgabenfrei an ihre Beschäftigten zu zahlen, wie es das dritte Hilfspaket wegen der hohen Inflation ermöglicht. Der größte deutsche Arbeitgeber ist der Öffentliche Dienst. Wann können sich die Beamten über die Sonderzahlung freuen?

Wir schaffen eine Option im Steuerrecht, die während der Inflation hilfreich sein kann. Auch die öffentlichen Arbeitgeber und die Gewerkschaften werden sicherlich in den Tarifrunden über diese Möglichkeit sprechen, ebenso wie es im privaten Bereich der Fall ist. Den Gesprächen kann man aber nicht vorweggreifen.

Aber wenn Sie andere Arbeitgeber auffordern, wären Sie nicht dafür, dem auch selbst zu folgen?

Nein, ich fordere die Tarifpartner nicht auf. Der Staat sollte sich nicht in die Tarifautonomie einmischen. Die steuerfreie Inflationsprämie kann ein Bestandteil von Tarif-Vereinbarungen sein, wenn sich die Partner entsprechend verständigen. Gedacht ist dieses Instrument zur Entlastung der Beschäftigten und um die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale zu dämpfen.

Viele Unternehmen haben selbst kein Geld, stehen vor der Schließung – wie sollen sie ihren Leuten etwas zahlen? Rechnen Sie mit einer Insolvenzwelle?

Die wirtschaftliche Situation ist äußerst angespannt. Wir werden verhindern, dass gesunde Betriebe in die Zahlungsunfähigkeit rutschen und Menschen ihre Existenz verlieren. Wir können aber nicht nur über Milliarden Euro Steuergeld sprechen, sondern müssen auch ran an die Ursache der Preissteigerungen. Es ist unabdingbar, die Kapazitäten am Strommarkt zu erhöhen und so die galoppierenden Preise zu senken. Die drei sicheren Kernkraftwerke müssen weiterlaufen und die Kohlekraftwerke unbedingt ans Netz gebracht werden. Dazu kommen Wirtschaftshilfen, die Strompreisbremse und Maßnahmen beim Gas-Einkauf. Da steht die FDP bereit. Die Situation ist aber anders als in der Corona-Pandemie. Wir haben kein Nachfrageproblem, sondern ein Angebotsproblem.

Wäre das ein Paradigmenwechsel? Bisher setzen Hilfen am Ende an, aber weniger am Anfang – im Gegenteil, staatliches Handeln hat die Preise noch steigen lassen.

Wir müssen das Problem an der Wurzel packen. Mit der Erlösobergrenze beim Strom werden Verbraucher und Wirtschaft entlastet und Mittel generiert, um beispielsweise die Netzentgelte reduzieren zu können. Eine große Mehrheit der Deutschen spricht sich, ebenso wie wir als FDP, für den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke aus, um die Kapazitäten auszubauen. Das sollten wir schnellstmöglich angehen. Drittens müssen wir gezielt dort ansetzen, wo energieintensive Branchen wirtschaftlich unter Druck geraten. Beispielsweise habe ich kürzlich die Verlängerung des Spitzenausgleichs um ein Jahr auf den Weg gebracht, was die besonders energieintensiven Betriebe um 1,7 Milliarden Euro entlastet.

Ihr grüner Kabinettskollege Robert Habeck hat Probleme, die beschlossene Gasumlage rechtzeitig und rechtssicher umzusetzen. Was war das eigentlich für eine Nummer mit der erst nachträglich hinzugefügten und dann wieder teilentlasteten Mehrwertsteuer?

Die fachliche Federführung liegt hier in der Tat im Bundeswirtschaftsministerium. Dort werden die Probleme bei der Ausgestaltung der Gasumlage gelöst werden, Robert Habeck kann sich hierbei unserer vollen Unterstützung sicher sein. Wir haben aber keine Zeit zu verlieren.

Man hört, Sie beginnen übereinander zu frotzeln abseits offizieller Äußerungen? Er gehe gerne früh zu Bett und erscheine zuweilen unvorbereitet?

Diese Berichte sind fantasievoll, um nicht zu sagen ausgedacht. Wir arbeiten im Kabinett kollegial zusammen. Dass es Unterschiede gibt, ist jedem klar. Sicher ist: Die Grünen sind eine linke Partei, die eher auf Staat und Umverteilung setzt. Die FDP ist eine liberale Partei, die eher auf Freiheit setzt. Man konnte das bei der kalten Progression sehen. Die Grünen hätten diese automatischen Steuererhöhungen für die arbeitende Mitte 2023 akzeptiert, wir wollten sie verhindern. Am Ende konnten wir die Grünen aber überzeugen, dass in einem Gesamtpaket auch die Menschen mit 30000, 40000 oder 50000 Euro Einkommen nicht vergessen werden dürfen.

Wäre eine breite Mehrwertsteuersenkung nicht generell geboten, mindestens bei der Energie? Sie kritisieren stets die kalte Progression und denken an eine Koppelung an die Inflation. Findet sich ein solcher Effekt nicht auch bei den Verbrauchsteuern statt – je teuer das Gut wird, umso höher liegt die Steuerlast?

Ich rate davon ab, an die Verbrauchssteuern heranzugehen. Vielmehr müssen wir zielgerichtete Maßnahmen ergreifen, um soziale Härten abzufedern und wirtschaftliche Strukturbrüche zu verhindern. Was wir hingegen nicht mit öffentlichem Geld leisten können, ist, einen allgemeinen Wohlstandsverlust mit Schulden auszugleichen. Niemand kann uns davon entlasten, unsere Wirtschaft nach der Krise wieder wettbewerbsfähig zu machen. Es kann auf Dauer nur das verteilt werden, was vorher erwirtschaftet wurde.

Wie stellen sich die staatlichen Übernahmepläne von Rosneft da? Was wird es kosten?

Wir gehen derzeit davon aus, dass über Garantien und andere Anpassungsprogramme Gelder im dreistelligen Millionenbereich gebunden werden.

Rechnen Sie durch den Schritt auch mit steigenden Ölpreisen wie beim Gas, etwa durch Lieferausfälle?

Wir sorgen dafür, dass die Versorgung gewährleistet bleibt.

Sie machen gerade Wahlkampf in Niedersachsen. Ausgerechnet hier soll das Kernkraftwerk Emsland definitiv außer Betrieb gehen – im Gegensatz zu den beiden AKW in Bayern. Ist darüber das letzte Wort bereits gesprochen?

Nein, die Bundesregierung hat darüber noch nicht abschließend entschieden. Ich kann nur dringend darauf hinweisen, dass wir aus physikalischen, ökonomischen und politischen Gründen für einen gewissen Zeitraum weiter auf die Kernenergie setzen sollten. Das bedeutet, dass die Kernkraftwerke Neckarwestheim, Isar 2 und natürlich auch Emsland am Netz gehalten werden müssen. Physikalisch sichern wir die Netzstabilität. Ökonomisch hilft jede weitere Kilowattstunde am Markt das Preisniveau zu dämpfen. Politisch senden wir das Signal, dass in dieser schwierigen Situation die Politik alle Möglichkeiten ausschöpft, um die Lage zu verbessern.

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100 Milliarden für die Bundeswehr, nachlaufende Corona-Hilfen in Milliardenhöhe, steigende Kosten durch die Inflation auch für den Staat, beträchtlich steigende Zinsen und nun auch noch Hilfspakete wegen der Energiepreise – wo soll das eigentlich enden?

Eben. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir trotz der Krise zu einer soliden Finanz- und Haushaltspolitik zurückkehren, indem wir die Schuldenbremse wieder einhalten, ohne auf notwendige Investitionen in unsere Verteidigungsfähigkeit, die Infrastruktur und den Klimaschutz zu verzichten. Die expansive und auf Verteilung setzende Finanzpolitik muss aber ein Ende haben. Erstens, weil auf diese Weise die Inflation am effektivsten bekämpft wird. Zweitens, weil wir den nachkommenden Generationen keine Schuldenberge hinterlassen dürfen.