Steht China auf der Seite Russlands im Ukraine-Krieg? Staatschefs fordern Peking zur Klarstellung auf.
Aussagen sorgen für EntrüstungChinesischer Topdiplomat spricht Ex-Sowjetrepubliken die Souveränität ab
Seit Beginn der russischen Invasion wird über die Position Chinas im Krieg zwischen Russland und der Ukraine diskutiert. Die Rolle des kommunistischen Riesenreichs in Ostasien scheint undurchsichtig, auf der einen Seite präsentiert sich Peking als potenzieller Vermittler von Friedensgesprächen, auf der anderen diskutieren Experten darüber, ob China Russland gar mit Waffenlieferungen unterstützen könnte.
Äußerungen eines chinesischen Botschafters erwecken nun den Eindruck, dass China alles andere als unparteiisch ist und sorgen international für Empörung. Botschafter Lu Shaye hatte am Freitag dem Nachrichtensender LCI gesagt, die nach dem Kalten Krieg aus der Sowjetunion hervorgegangenen Länder hätten „keinen wirksamen Status nach internationalem Recht, weil es kein internationales Abkommen gibt, das ihren Status als souveräne Nationen bestätigt“.
Chinesischer Botschafter Lu Shaye sorgt mit Aussagen über Sowjetunion für Ärger
Chinas Botschafter in Frankreich stellt damit die Souveränität ehemaliger Sowjetrepubliken wie der Ukraine infrage. Lu ist einer von Chinas sogenannten Wolfskrieger-Diplomaten, die Meinungsverschiedenheiten mit anderen Staaten sehr offen ansprechen. Er hat bereits wiederholt für Irritationen in seinen jeweiligen Gastländern gesorgt.
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Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Der ukrainische Präsidentenberater Michailo Podoljak widersprach Lu öffentlich. Der Status von Ex-Sowjetrepubliken wie der Ukraine oder auch heutigen EU-Ländern wie den baltischen Staaten sei sehr wohl „im internationalen Recht verankert“, sagte er dem Sender LCI.
Kritik von allen Seiten: Regierungsvertreter aus der Ukraine und dem Baltikum entsetzt
Podoljak wies außerdem Lus Interview-Äußerungen über die 2014 von Russland besetzte und annektierte ukrainische Halbinsel Krim zurück. Auf die Frage, ob die Krim ukrainisch sei, hatte Lu auf LCI geantwortet, dies hänge davon ab, „wie man das Problem betrachtet. Es gibt eine Geschichte. Die Krim war zu Beginn russisch.“
Podoljak urteilte, es sei „seltsam, eine absurde Version der ‚Geschichte der Krim‘ vom Repräsentanten eines Landes zu hören, das keine Skrupel hinsichtlich seiner tausendjährigen Geschichte hat“.
Staatsoberhäupter erwarten nach Aussagen von Lu Shaye Klarstellung aus Peking
Auch Staatsvertreter im Baltikum machten ihrem Ärger Luft. Estland, Lettland und Litauen gehörten ebenso wie die Ukraine zur ehemaligen Sowjetunion. Die Regierungen der drei Staaten sehen offenbar Klärungsbedarf und kündigten an, chinesische Diplomaten einzubestellen. Wegen der „völlig inakzeptablen“ Bemerkungen habe er für Montag den Geschäftsträger der chinesischen Botschaft in Riga einbestellt, teilte Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics am Samstagabend auf Twitter mit.
Dieser Schritt sei mit Litauen und Estland abgestimmt. „Wir erwarten von chinesischer Seite eine Erklärung und eine vollständige Rücknahme dieser Aussage“, schrieb der Chefdiplomat des baltischen EU- und Nato-Land weiter.
Josep Borrell rätselt über Rolle Chinas im Ukraine-Krieg
Estland, Lettland und Litauen waren im Zweiten Weltkrieg abwechselnd von der Sowjetunion und Deutschland besetzt. Nach Kriegsende wurden die drei kleinen Ostseestaaten im Nordosten Europas gegen ihren Willen jahrzehntelang zu Sowjetrepubliken. Erst 1991 erhielten sie ihre Unabhängigkeit zurück, seit 2004 gehören sie EU und Nato an.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bezeichnete Lus Einlassungen als „inakzeptabel“. „Die EU kann nur annehmen, dass diese Äußerungen nicht Chinas offizielle Politik darstellen“, schrieb er am Sonntag im Onlinedienst Twitter. Ähnlich äußerte sich das französische Außenministerium und forderte eine Klarstellung von Chinas Regierung.
Welche Rolle spielt China im Ukraine-Krieg?
Genau das – ob Lus Äußerungen wirklich stellvertretend für die Meinung Pekings stehen – ist die entscheidende Frage. Fakt ist: Bislang hat China weder den russischen Angriffskrieg in der Ukraine noch die Annexion besetzter ukrainischer Gebiete öffentlich verurteilt. CIA-Chef William Burns ist laut seinen Aussagen am Wochenende davon überzeugt, dass Chinas Präsident Xi Jinping Waffen- und Munitionslieferungen an Russland in Betracht ziehe.
Genau das hatte China bislang vehement bestritten. Erst vor zehn Tagen hatte Außenminister Qin Gang im Rahmen des Besuchs von Annalena Baerbock versichert, Peking werde Russland aktuell und auch künftig nicht mit Waffen zu unterstützen.
China hat sich bisher als potenzieller Friedensbringer inszeniert, veröffentlichte ein Papier mit zwölf chinesischen Positionen für eine politische Lösung der „Ukraine-Krise“. Die nächsten Wochen – es wird eine Offensive der Ukraine erwartet, die Russland angesichts seiner mutmaßlichen Nachschub-Probleme vor Probleme stellen könnte – könnten Aufschluss darüber geben, welche Agenda Xi Jinping und China tatsächlich vertreten. (mit dpa und afp)