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Chaos in KentSo ist die Lage in Großbritannien nach der Corona-Mutation

Lesezeit 4 Minuten
Lkw in Kent

Viel Chaos: Lkw nahe beim Hafen von Dover

London – Die LKW-Fahrer, die in der Sonntagnacht zum Fährhafen Dover in der südenglischen Grafschaft Kent fuhren, erwartete eine böse Überraschung. „Französische Grenzen geschlossen“, lautete die Leuchtbotschaft auf der Autobahn M20. Ab 23 Uhr kam kein Brummi mehr in den Hafen hinein.Wegen der hochansteckenden neuen Corona-Variante, die zur Zeit im Königreich grassiert, hatte die französische Regierung beschlosssen, keine aus Großbritannien kommenden Reisende mehr ins Land zu lassen. Das betrifft auch den Frachtverkehr. Die zu erwartende Folge: Chaos in Kent. Am Montag begann der große Stau der LKWs auf den Straßen der Grafschaft.

Die zog sich kilometerweit und entlang der Klippen von Dover durch die englische Landschaft bis weit ins Landesinnere hinein. Es ist das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass die wichtigste Verbindung der Insel mit dem europäischen Kontinent – sie macht 20 Prozent des Warenverkehrs aus – unterbrochen ist. Die Situation wird als „katastrophal“ beschrieben.„Der kranke Mann Europas“, titelte der „Daily Mirror“ am Montag und meinte damit Großbritannien. Der Rest des Planeten denkt ähnlich. Einreiseverbote für Briten gelten mittlerweile fast überall auf der Welt, nachdem Premierminister Boris Johnson am Wochenende bekanntgegeben hatte, dass die Corona-Mutation VUI2020/12/01 um bis 70 Prozent ansteckender sei. Damit besteht die Gefahr, dass eine Eindämmung der Pandemie fast unmöglich wird. Eine internationale Abschottung war da wohl die logische Folge.

Ein echtes Nadelöhr

Dass dies allerdings im Fall von Frankreich nicht nur den Personen- sondern auch den Warenverkehr betrifft, hat ernste Folgen. Rund 10 000 LKWs passieren täglich den Fährhafen von Dover. Rund 20 Prozent aller Waren, die im Königreich ver- oder gekauft werden, geht durch dieses Nadelöhr. Die Polizei der Grafschaft musste die für einen No-Deal-Brexit schon in der Schublade liegenden Pläne umsetzen und die „Operation Stack“ initiieren: Auf der nach Dover führenden Autobahn M20 wurden LKW-Fahren angewiesen, zwischen den Ausfahrten acht und elf an die Seite zu fahren und dort zu parken. Die französische Sperrung der Grenze war zunächst für 48 Stunden ausgerufen, sie gilt also noch bis Dienstag, 23 Uhr. Für die Brummi-Fahrer bedeutet das eine ungemütliche Wartezeit, wenige Tage vor Weihnachten.

Die Schwierigkeiten für den Exportverkehr ist die eine Sache. Das Verkehrschaos ist ja nur auf die Grafschaft Kent beschränkt. Ernster könnten allerdings Beeinträchtigungen für den Importverkehr werden, weil die das ganze Land betreffen würden. Eine internationale Isolierung, fürchteten britische Medien am Montag, könnte darauf hinauslaufen, dass die Nachschublinien mit dem Kontinent ernsthaft gestört werden. Zwar dürfen von der französischen Seite aus LKWs ins Land gelangen, aber welcher Fahrer will sich schon nach Großbritannien aufmachen, wenn die Aussichten unklar sind, ob man auch wieder zügig zurückkehren kann?

Premierminister Boris Johnson räumte deswegen eine Sitzung des Krisenkomitees „Cobra“ an, um über mögliche Versorgungsengpässe über Weihnachten zu beraten. Die Supermarktkette Sainsbury‘s warnte schon davor, dass es zu Ausfällen bei Frischwaren, die Großbritannien von Europa importiert, kommen könnte. Dazu sollen Salat, Brokkoli, Blumenkohl und Zitrusfrüchte gehören.

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Auch der Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer, der in Belgien produziert ist, muss ins Königreich importiert werden. Allerdings, so versicherten Regierungs vertreter, stünden im Notfall Transportflugzeuge der Luftwaffe RAF bereit, die das Vakzin einfliegen könnten. Der Transportminister Grant Shapps sagte gegenüber dem Nachrichtensender Sky News, dass es keine bedeutenden Probleme beim Nachschub von Medizin oder Nahrung geben würde. Jedermann solle seinen Weihnachtseinkauf wie gewohnt betreiben und nicht horten. Er sei mit seinem französischen Amtskollegen Jean-Baptiste Djebarri in Kontakt, um eine Aufhebung der französischen Maßnahmen zu erwirken.

Der Chef der Brexit-Partei Nigel Farage sieht hinter Entscheidung Frankreichs, die Grenzen auch für LKW-Fahrer zu schließen, allerdings einen perfiden Schachzug „von Schuften und Mobbern, die uns zwingen wollen, einen schlechten Brexit-Deal zu unterzeichnen. Zeit davonzugehen, zur Hölle mit der EU.“