Bonner Politologe zu Thüringen„Das ist ein absoluter Tabubruch, ein Dammbruch“

Menschen demonstrieren vor der Bundesgeschäftsstelle der FDP, u.a. mit Plakaten "FDP - Frei oder Faschistisch?" gegen das Verhalten der FDP bei der Wahl von Thomas L. Kemmerich
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- Der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker sieht in einer Neuwahl den einzigen Weg für CDU und FDP, den politischen Schaden der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen noch zu begrenzen.
- Mit ihm sprach Birgit Marschall
Bonn – Was bedeutet die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen für die Bundesparteien?
Decker CDU und FDP haben mit den Stimmen der AfD einen Ministerpräsidenten der FDP gewählt. Das ist ein absoluter Tabubruch, weil beide Parteien zuvor jegliche Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen haben – und das nur in Sachfragen. Jetzt haben sie sogar einen Regierungschef gemeinsam gewählt. Das ist ein Dammbruch, denn bisher hielt die Brandmauer von CDU und FDP gegen den Rechtsextremismus ja noch weitgehend.Wie muss die CDU-Führung in Berlin darauf reagieren?
Decker Der Schaden für die CDU ist kaum zu begrenzen. Die Union sollte jetzt Neuwahlen in Thüringen anstreben. Denn ist ja nicht zu erwarten, dass das gedemütigte rot-rot-grüne Bündnis jetzt den FDP-Ministerpräsidenten Kemmerich unterstützt. Gleichzeitig kann und darf die CDU nicht von ihrem Beschluss abrücken, der jede Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt.Wie kommt man denn zu Neuwahlen?
Decker Der neu gewählte Ministerpräsident hat die Möglichkeit zurückzutreten. Der Landtag könnte sich auch selbst auflösen, braucht dafür aber eine Zweidrittelmehrheit. Die käme auch ohne die AfD zustande.Wie sollte sich die FDP im Bund verhalten?
Decker Die FDP hat sich von der AfD in eine Falle manövrieren lassen, aus der sie jetzt schlecht wieder herauskommt. Sie hat wohl nicht damit gerechnet, dass die AfD zwar ihren Kandidaten im dritten Wahlgang stehen lässt, ihm aber keine einzige Stimme gibt. Die FDP könnte zunächst versuchen, Rot-Rot-Grün zur Zusammenarbeit zu bewegen, was ihr aber nicht gelingen dürfte. Dann steht der Ministerpräsident ohne regierungsfähige Mehrheit da.Was halten Sie vom Verhalten der AfD?
Decker Die AfD hat sich aus ihrer Sicht rational verhalten. Ihr Interesse ist, die Brandmauer zu CDU und FDP einzureißen. Das ist ihr jetzt gelungen: Der Wahlausgang ist ein Desaster für die politische Kultur in Deutschland.