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Koalitionspläne zur BezahlkarteEinführung scheitert an kommunalem Widerstand

Lesezeit 6 Minuten
Eine Musterkarte einer sogenannten Bezahlkarte für Geflüchtete.

Eine Musterkarte einer sogenannten Bezahlkarte für Geflüchtete. (Symbolbild)

Vor einem Jahr wurde eine Lösung auf den Weg gebracht, mit der Sozialleistungen an Geflüchtete vor Missbrauch geschützt werden sollten. Und zwölf Monate später? Lässt sich live mitverfolgen, wie das Projekt vielerorts scheitert.

Da ist sie wieder, die Bezahlkarte für Flüchtlinge! Zwei Zeilen haben Union und SPD dem Stück Plastik in ihrem Sondierungspapier gewidmet. Der Wortlaut: „Wir wollen, dass die Bezahlkarte deutschlandweit zum Einsatz kommt, und werden ihre Umgehung unterbinden.“

Moment mal: Hatten Bund und Länder nicht bereits vor ziemlich genau einem Jahr die Einführung der Karte auf den Weg gebracht? Ja. Wurden nicht nach langem Streit rechtliche Regelungen angepasst? Ja. Und lobten sich die daran beteiligten Politiker dafür nicht selbst? Ja.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hob beispielsweise im April 2024 im Bundestag die Leistung der Bundesregierung hervor und betonte: „Die Bezahlkarte ist ein klares Ja, Menschen zu helfen, die in Deutschland Schutz suchen und Unterstützung brauchen. Sie ist gleichzeitig aber auch ein klares Nein, Sozialleistungen an Schleuser und Schlepper im Ausland zu überweisen.“

Statt Bargeld in die Hand gedrückt zu bekommen, sollte Asylbewerbern künftig die ihnen zustehende Unterstützung auf die Karte überwiesen werden – in der Regel ein geringer dreistelliger Betrag im Monat. Und wie steht es nun ein Jahr später um das Vorhaben, das es erneut ins Sondierungspapier der möglichen künftigen Regierung geschafft hat?

Münsters Rat votierte dagegen – kein Einzelfall unter NRW-Städten

Wer die Lokalzeitungen dieser Republik liest, könnte zu der Erkenntnis gelangen: Eine flächendeckende Einführung scheitert derzeit. Der Streit um die Karte hat sich vom Bundestag in die Kommunalparlamente verlagert. Und die lehnen die Karte reihenweise ab. Vor allem in den Großstädten Nordrhein-Westfalens wird es voraussichtlich keine Bezahlkarte geben.

Die Landesregierung in Düsseldorf hatte es den Kommunen freigestellt, die Bargeld-Auszahlung entsprechend umzustellen. In den Landesunterkünften, von wo Flüchtlinge weiter auf Städte und Gemeinden verteilt werden, gibt es die Karte zwar. Reihenweise scheren aber Kommunen aus.

In Münster etwa votierte der Rat gegen die Einführung. Der Stadtverwaltung war das offenbar ganz recht. Sie erklärte, der bürokratische und finanzielle Aufwand für die Bezahlkarte sei zu hoch. Und Missbrauch beim Thema Bargeld habe es in der Vergangenheit kaum gegeben. Warum also ändern, was funktioniert, so das Fazit vieler Städte.

Das klang in der Rede von Ministerin Faeser noch anders, die den Behörden große Erleichterungen versprach. Stimmt aber offenbar aus Sicht mancher Kommunalvertreter nicht. Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) erklärte zuletzt, er wolle die Karte nicht; sie binde Personal und bedeute keine Erleichterung für seine Verwaltung. Die Stadt hatte zuvor eine eigene Kartenlösung erarbeitet. Auch aus dem Rathaus in Osnabrück heißt es: „Leider stellt sich mittlerweile der administrative Aufwand als sehr groß dar.“

In Niedersachsen gibt es allerdings keine Option für Kommunen, beim Ausrollen der Karte auszuscheren. Die Landesregierung will sich Nordrhein-Westfalen hier nicht zum Vorbild nehmen und hat bereits 8300 Bezahlkarten geordert, fast 2000 wurden an Asylbewerber ausgegeben. Die Umsetzung auf kommunaler Ebene laufe, heißt es von der Landesregierung.

Jedes Bundesland hat eigene Anforderungen an die Karte

Andere Bundesländer sind da noch nicht so weit. Schleswig-Holstein hat die Einführung auf kommunaler Ebene von April auf Ende des Jahres verschoben. Es gebe „technische Schwierigkeiten von Seiten des Anbieters, weshalb der vereinbarte Zeitplan im Einvernehmen mit den Kommunen angepasst werden musste“, heißt es von der Landesregierung auf Anfrage. Und weiter: „Die jetzt auftretenden technischen Probleme müssen vollständig und schnellstmöglich behoben werden. Wenn die Bezahlkarte flächendeckend ausgerollt werden soll, muss sicher sein, dass sie immer und überall funktioniert.“

Nachgebessert wird derzeit beispielsweise bei der Frage von Lastschriftmandaten. Die sollen derzeit dem Vernehmen nach nicht funktionieren. Das Deutschland-Ticket, der Telefonvertrag und weiteres können so nicht automatisch abgebucht werden. Aus Dienstleister-Sicht erschwerend hinzukommen dürfte, dass jedes Bundesland eigene Anforderungen an die Karte hat: Was erlaubt sein und was nicht ermöglicht werden soll, ist Sache der Landespolitik.

Zur Wahrheit gehört auch: Mit den Beschlüssen vor gut einem Jahr konnte nicht direkt mit der Verteilung der Karten begonnen werden. Ein unterlegener Dienstleister hatte die Vergabe der Karte an ein Konsortium beklagt. Erst Mitte Oktober räumte ein Gericht letzte Zweifel aus, und die Umsetzung des Projektes Bezahlkarte konnte beginnen.

Bezahlkarte soll flächendeckend verteilt werden

Bei der noch amtierenden Bundesregierung scheint man nicht mehr so genau zu verfolgen, was aus den Beschlüssen von vor einem Jahr geworden ist. Das Innenministerium von Nancy Faeser verwies unsere Redaktion mit ihren Fragen weiter ans Arbeitsministerium. Von da heißt es zu Fragen etwa danach, wo es die Karte denn nun überall gebe und ob ihre Einführung angesichts der vielen Weigerungen auf kommunaler Ebene nicht gescheitert sei: „Die Entscheidung über die Einführung einer Bezahlkarte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und deren Umsetzung obliegt allein den für die Ausführung dieses Gesetzes zuständigen Ländern und Kommunen. Vor diesem Hintergrund verfügt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales über keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellungen.“

Nun hat sich eine mögliche kommende Bundesregierung ja erneut vorgenommen, die Karte flächendeckend auszurollen. So steht es zumindest im Sondierungspapier von CDU, CSU und SPD. Ob es das Vorhaben auch in einen möglichen Koalitionsvertrag schafft? Und ob beispielsweise noch einmal nachjustiert werden soll am Gesetz, um eine flächendeckende Einführung zu erzwingen? Die Verhandler der drei Parteien in Berlin haben sich selbst ein Schweigegelübde für die Zeit der Verhandlungen auferlegt. Zumindest die oppositionelle Linke interpretiert es so.

Vielleicht weiß man aber in Bayern mehr, dessen Regierung in Form der CSU an den aktuellen Koalitionsverhandlungen in Berlin teilnimmt. Das Bundesland war ebenso wie Mecklenburg-Vorpommern bei der Einführung der bundesweit einheitlichen Bezahlkarte ausgeschert und hatte sein eigenes Ding gemacht, sprich: eine eigene Karte eingeführt.

Bayern sieht eigenes Modell als gutes Instrument gegen illegale Migration

70.000 Karten seien bereits im Umlauf, heißt es aus dem Innenministerium in München. Eine Sprecherin sieht sich im bayrischen Weg bestätigt: „Rückblickend war es die richtige Entscheidung, nicht auf den Bund und die anderen Länder zu warten.“ Die Karte bewähre sich als Instrument, um illegale Migration zu unterbinden. „Nun muss die Bezahlkarte auch bundesweit flächendeckend und konsequent so schnell wie möglich eingeführt werden, denn je höher die Verbreitung der Bezahlkarte, desto größer ist ihre Wirkung“, teilt das Innenministerium mit. Ob das per Gesetz von der Bundesebene durchgesetzt werden soll, lässt die Behörde offen.

Entsprechend skeptisch sieht man bei der Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“ auch die Formulierungen im Sondierungspapier. Die Kommunen hätten ja gute Gründe für die Ablehnung, betont Pro-Asyl-Vertreterin Andrea Kothen. An denen werde auch die neue Bundesregierung nichts ändern.

Was den zweiten Aspekt angeht, den die Sondierer festgehalten haben – die Umgehung der Karte unterbinden zu wollen –, erklärt Kothen: „Die Geldkarte ist vor allem eins: eine Gängelung von Menschen, die in Deutschland Schutz gesucht haben. Der Effekt der Einführung war eine enorme Mobilisierung der Zivilgesellschaft. Deutschlandweit schießen Umtausch-Initiativen wie Pilze aus dem Boden.“

Genau diese Umgehung, bei der Asylbewerber Gutscheine für Geschäfte erhalten und so die Bargeldobergrenzen auf ihren Karten de facto umgehen können, wollen Union und SPD offenbar verhindern. Wie? Das bleibt abzuwarten.