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Laschet zur Corona-Krise„Noch so ein Jahr schaffen Gesellschaft und Wirtschaft nicht“

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Mi­nis­ter­prä­si­dent Armin Laschet

Herr Ministerpräsident, nach der Ministerpräsidentenkonferenz ist oft vor der Ministerpräsidentenkonferenz. Wie lange haben die Maßnahmen Bestand?Armin Laschet: Wir haben jetzt eine Antwort für die Adventszeit, das Weihnachtsfest und Silvester gefunden. Ich halte den Weg der verschärften Kontaktbeschränkungen bis Weihnachten mit Sonderregelungen für engste Familienkreise über die Feiertage für sehr sinnvoll. Für Millionen Menschen ist Weihnachten schließlich das Fest der Familie. Außerdem haben wir länger geplant damit die Menschen Klarheit haben, wie wir in das neue Jahr starten.

Und dann?

Das müssen wir immer anhand des Infektionsgeschehens beurteilen. Wir setzen darauf, dass die Infizierten-Zahlen bis dahin weiter heruntergehen und der Impfstoff zügig kommt. Ab Januar müssen kluge Konzepte langfristige Perspektiven für ein Leben mit der Pandemie ermöglichen. Mit der Zulassung des Impfstoffs sind diese Konzepte auch realistisch. Die Pandemie und eine verantwortungsvolle Normalität sind dann auch kein zwingender Gegensatz mehr. Noch ein weiteres Jahr wie dieses halten Gesellschaft und Wirtschaft nicht durch.

Sie traten während der ersten Welle stets für Freiheit ein – im Herbst wurde nun auch in NRW deutlich verschärft. Haben Sie die Krise unterschätzt?

Nein. Wir waren unter den ersten Ländern, die im März Großveranstaltungen untersagt, Freizeitangebote runtergefahren und die Schulen sehr schnell geschlossen haben. Als die Zahlen sanken, habe ich das Grundprinzip formuliert: Wenn Infektionen sinken, müssen Grundrechtseingriffe zurückgenommen werden. Das ist damals als Lockerung kritisiert worden – dabei ging es zuerst um Kitas und Schulen. Heute fordern das alle. Zu diesem Ansatz gehört aber auch: Wenn die Zahlen steigen, müssen Schutzvorkehrungen ergriffen werden. In dieser Phase sind wir jetzt.

In NRW gibt es zahlreiche der sogenannten Hotspots mit einer Inzidenz von mehr als 200. Werden wir in diesen Regionen de facto echte Lockdowns erleben?

Kreise und kreisfreie Städte mit einer solch hohen Inzidenz brauchen zwingend weitere Schutzmaßnahmen, völlig klar. Dieser Mechanismus entspricht unserer bisherigen lokalen Corona-Bremse und wird genauso auch in der neuen Verordnung festgeschrieben. Da die Maßnahmen zwar drastisch sein, aber passgenau bleiben müssen, werden sie mit den Kommunen vor Ort abgestimmt. Glücklicherweise sind immer weniger Kreise und Städte in Nordrhein-Westfalen über dem kritischen Wert. Unter den 15 bundesweit am stärksten betroffenen Gebieten in der RKI-Statistik ist derzeit keiner aus unserem Land.

Müssen die betroffenen Menschen in diesen Kreisen also um ihr Weihnachtsfest fürchten?

Nein. Wir tun ja alles, dass die Zahlen weiter sinken.

Wie steht es um Hotelübernachtungen an Weihnachten – das war nach den Aussagen von Kanzleramtsminister Helge Braun etwas unklar…

Die Ministerpräsidenten haben diese Frage erörtert und es war allgemeiner Konsens, dass ein Familienbesuch keine touristische Reise ist. Tourismus ist ja auch schwer möglich, wenn Restaurants und alle kulturellen Einrichtungen geschlossen sind. Familienangehörige sollten die Möglichkeit haben, über die Feiertage räumlich ausweichen zu können. Es ist auch aus infektiologischen Gründen besser, in ein Hotel unter Hygiene-Bedingungen zu gehen, als bei Freunden oder Nachbarn zu übernachten. Trotzdem bleibt natürlich die Botschaft: Zu Hause bleiben, wo es möglich ist.

Bei den Verschärfungen der Maßnahmen haben Sie schon erklärt, man werde nicht kontrollieren. Was bringen die Maßnahmen überhaupt, wenn sie sich nicht durchsetzen lassen?

Alle Maßnahmen werden durchgesetzt, eine Party wird nicht geduldet. Aber die Polizei wird nicht unter dem Christbaum Familienmitglieder abzählen. Entscheidend ist aber vor allem, dass jeder Einzelne den Ernst der Lage versteht. Auch Familien müssen dieses Jahr Weihnachten mit besonderer Vorsicht feiern und die Abstands- und Hygieneregeln einhalten.

Der Zeitplan für den Aufbau der NRW-Impfzentren ist recht ambitioniert. Was sind die größten Risiken für den Starttermin am 15. Dezember?

Der Impfstoff muss zunächst einmal zur Verfügung stehen. Die Frage der Kühlung und des entsprechenden Transports wird gerade geklärt. Es ist eine der größten logistischen Herausforderungen, die in unserem Land in den vergangenen Jahrzehnten zu bewältigen war. 18 Millionen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in einer bestimmten vom Nationalen Ethikrat empfohlenen Reihenfolge impfen zu lassen. bedeutet eine gewaltige Anstrengung. Es gibt aber eine große Zahl von Freiwilligen, die sich gemeldet haben, derzeit etwa 5000. Klar ist: Das Impfen wird uns das ganze Jahr 2021 beschäftigen.

Zurück zu den Schulen, es gab es viel Streit um das sogenannte Solinger Modell, also den hälftigen Unterricht im Präsenz- und Distanzunterricht. Jetzt kommt ein ähnliches Modell. Warum war ein derart harsches Vorgehen dann überhaupt nötig?

Nein, dem sogenannten „Solinger Modell“ ist niemand gefolgt. Der Präsenzunterricht ist nach Auffassung aller Länder die beste Lernform. Es gibt Kinder, die durch Hybrid-Unterricht benachteiligt werden, was oft auch an den beengten Platzverhältnissen in Wohnungen liegt. Der Küchentisch zu Hause in einer Zwei- bis Dreizimmerwohnung ist nicht der bessere Lernort als die Schule. Außerdem können nicht alle Eltern ihren Kindern gleichermaßen helfen, sei es zeitlich oder in der Sache. Wir dürfen nicht riskieren, dass Bildung wieder von der Herkunft abhängt. Es kann aber Situationen geben, in denen man auf andere Modelle zurückgreifen muss. Dazu gehören Gebiete mit einer höheren Inzidenz als 200 und auch dort wird schulspezifisch und nur ab der 8. Klasse gehandelt und nicht wie in Solingen für alle Schulen.

Also gehen alle Kinder so lange zur Schule in NRW wie es möglich ist?

Das ist das Ziel aller 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten.

Sie haben schon angedeutet, dass die Beschränkungen bis in den Januar dauern. Werden die Hilfen auch so lange gezahlt und würde das Land notfalls einspringen, wenn der Bund nicht bereit sein sollte, sie weiterhin allein zu schultern.

Wir können nicht auf Dauer alles schließen und der Staat bezahlt Monat für Monat Milliarden-Ausfälle. Ab dem neuen Jahr wird ein neues Modell nötig sein. Dauerhafte Schließungen und anschließende Ausgleichszahlungen machen den Staat auf Dauer kaputt. Da hat die Bundeskanzlerin recht. Aber es stimmt nicht, dass die Länder keinen Anteil leisten. Nordrhein-Westfalen hat 25 Milliarden Euro als Sondervermögen aufgenommen, das ist fast ein Drittel des Landeshaushalts, die höchste Aufnahme seit den Nachkriegsjahren. Der Vorwurf, die Länder würden nichts zahlen, ist nicht berechtigt.

Haben Sie Verständnis für den Frust der Parlamentarier, die sich beschweren, sie müssten Entscheidungen der MPK immer nur abnicken?

Die Länder sind für den Infektionsschutz zuständig, sie stimmen sich mit dem Bund über bundesweite gemeinsame Regeln ab. Wir binden den Landtag vielfach ein, die Bundeskanzlerin hält die Länder beisammen und gemeinsam halten wir die Gesellschaft zusammen. Deshalb ist Deutschland im europäischen Vergleich besser durch die Krise gekommen.

Es ging ja um den Vorwurf, dass die Länder alles beschließen und der Bund muss es zahlen.

Die Bundesregierung sieht zurecht die nationale Gesamtherausforderung dieser Pandemie und stellt sich ihrer Verantwortung. Natürlich kann ich nachvollziehen, wenn Bundestagsabgeordnete einbezogen werden wollen. Das ist nicht nur ihr Recht, sondern sogar ihre Pflicht. Das Budgetrecht liegt beim Parlament, das bestreitet niemand. Das muss aber der Bundestag mit dem Bundesfinanzminister klären.

Es sterben in den vergangenen Wochen immer mehr Menschen an und mit Covid-19 - was macht das mit Ihnen persönlich, wenn Sie diese Zahlen sehen?

Es ist eine schreckliche Zeit und es sind bedrückende Zahlen. Jeder Einzelne dieser Todesfälle ist furchtbar und bringt Unglück über Familien. Wenn ich Menschen ohne Masken auf der Straße demonstrieren sehe, denke ich mir: ein paar Hundert Meter weiter liegt ein Mensch im Krankenhaus und kämpft um sein Leben. Jeder von uns kann etwas dafür tun, dass es weniger Patienten sind. Dieses Bewusstsein müssen wir aufrechterhalten.

Die Opposition in NRW fordert einen Gedenktag für die Corona-Opfer. Wie sollte man den Opfern angemessen gedenken?

Das muss man sehr gut überlegen. Es gibt viele Millionen Menschen, die an anderen Krankheiten sterben. Für die Familien ist es immer dramatisch. Ich habe selbst in der Familie einige frühe Krebstode erlebt. Für Opfer anderer schrecklicher Krankheiten gibt es keinen Gedenktag. Wenn der Staat gedenkt, muss er an alle Leidenden denken. Corona ist eine gefährliche Pandemie, die uns alle beschäftigt, unser Leben nachhaltig verändert. Aber wir dürfen den Schmerz aller anderen nicht vergessen, nicht relativieren und nicht gegeneinander aufrechnen. Wir werden sicher nach der Pandemie geeignet an die Opfer erinnern.

Was wird das erste sein, was Sie nach der Krise tun? Was vermissen Sie am meisten?

Die Begegnungen mit Menschen sind deutlich reduziert geworden. Das wünsche ich uns allen wieder bald stärker zurück. Sie sind unverzichtbar für unsere Gesellschaft. Videokonferenzen ersetzen keine menschliche Nähe.

Corona hat auch den Fahrplan der Politik, insbesondere der CDU durcheinandergebracht. Findet der Parteitag nun am 16. Januar mit einer digitalen Wahl statt, oder nicht?

Das wird am 14. Dezember im Bundesvorstand der CDU entschieden. Von mir aus können wir zu jeder Tages- und Nachtzeit abstimmen.

Ihnen wurde ja vorgeworfen, es sei Ihnen eben nicht egal…Laschet: Ich weiß, dass Friedrich Merz das öffentlich behauptet hat. Ich glaube aber, dass er inzwischen versteht, warum der Bundesvorstand einstimmig den Parteitag nach dem Teil-Lockdown verschoben hat. Das war keine Verschwörung des Establishments. Ende Oktober wollten und mussten wir die exponentielle Welle brechen und haben Millionen Menschen viel abverlangt trotz Einhaltung aller Abstandsregeln. Wenn wir dann mit 1000 Delegierten und hunderten Gästen für einen Parteitag zusammengekommen wären, hätte man uns mangelndes Fingerspitzengefühl vorgeworfen.

Gilt das nicht auch für den 16. Januar?

Natürlich muss die Lage immer neu verantwortungsvoll bewertet werden. Die CDU als Regierungspartei hat hier jedenfalls eine besondere Verantwortung. Ich stehe bereit.

Egal, welches Format?

Die Kandidaten haben sich gemeinsam verständigt: Präferenz bleibt ein Präsenzparteitag. Wenn das wegen der Lage nicht möglich sein sollte, folgt die dezentrale, kleine Lösung eines Präsenzparteitags an vielen Orten. Wenn das auch nicht geht, prüft die Bundesgeschäftsstelle digitale Abstimmungsformen auf ihre rechtlichen Möglichkeiten.

Es gibt große Unruhe in der Partei, viele sind unzufrieden mit dem Stand der Dinge. Wie bekommt die CDU die Kurve im Wahljahr?

Die CDU liegt in den Umfragen seit Monaten klar vorn. Von diesen Werten hätten viele noch vor einem Jahr geträumt. Die hohe Zustimmung ist dem Krisenmanagement der Bundeskanzlerin und der Regierungsarbeit in den Ländern zu danken. In dieser Zeit hatten wir mit der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen eine wichtige Wahl mit Entscheidungen für 18 Millionen Menschen. Die CDU war mit Abstand klarer Sieger. All das steht für sich.

Also erst eine Entscheidung zur Unions-Kanzlerkandidatur im Frühjahr…

Die CDU wird das nach der Wahl für den Vorsitz mit der CSU besprechen.

Es gab den Vorwurf des ruinösen Wettbewerbs der scheidenden CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, minutiöse Abläufe des Krisen-Treffens in der Partei landeten in den Medien. Vertrauen Sie Sich untereinander noch?

Es tut der politischen Kultur und dem gegenseitigen Vertrauen überhaupt nicht gut, wenn man nicht mehr miteinander reden kann, ohne dass jeder Halbsatz nach außen dringt. Wir müssen beim Stil interner Beratungen besser werden.

Sie haben in Ihrer Amtszeit keinen klaren Nachfolger aufgebaut. Wie sehr fürchten Sie nach einer möglichen Wahl einen Machtkampf in der CDU NRW?

Wie kommen Sie denn darauf? Wir ziehen hier alle an einem Strang. Wenn die NRW-CDU nach vielen Jahrzehnten wieder einen CDU-Bundesvorsitzenden stellt, ist das für den Landesverband sicher ein besonderer Moment. Gutes Regieren in Nordrhein-Westfalen ist eine Empfehlung für Berlin.

Sie treten gemeinsam mit Jens Spahn an, der vielen in der CDU und insbesondere der Jungen Union als geeigneter Kanzlerkandidat gilt. Wie stabil ist das Verhältnis bei Ihnen beiden? Gibt es Überlegungen für einen Tausch?

Jens Spahn und ich haben uns früh für die Teamlösung entschieden, um der Partei ein Angebot mit mir als Vorsitzendem und ihm als Stellvertreter zu unterbreiten. Daran hat sich nichts geändert. Es gibt eine große Rückendeckung für diese Aufstellung im Landesverband Nordrhein-Westfalen, der uns mit einem überzeugenden Votum nominiert hat. Der Charme des Teams liegt sicher auch darin, dass wir für den Charakter der Volkspartei CDU stehen. Wir sind beide der festen Überzeugung, dass unterschiedliche Positionen zur DNA der CDU gehören. Unsere Grundüberzeugung ist, dass diese zum Zusammenhalt der Partei beitragen. Wir vereinen viele Strömungen unserer Partei. Wir arbeiten gerade jetzt in der Krise noch enger zusammen. In dieser Woche kommt Jens Spahn zu uns ins Landeskabinett, um die Impfstrategie zu besprechen. Außerdem werden wir das geplante Impfzentrum in der Düsseldorfer „Merkur“-Arena besuchen.

Würden Sie im Falle einer Niederlage auch denjenigen unterstützen, der dann vorne steht?

Das gilt für mich und ich erwarte es von jedem Kandidaten. Ich bin Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und stellvertretender CDU-Vorsitzender. Ich habe den Parteivorsitz hier in Nordrhein-Westfalen übernommen nach der schweren Niederlage 2012. Ich habe mich stets mit vielen anderen für die CDU und eine gute Politik engagiert, in guten wie in schlechten Zeiten.

In der neuesten Biografie über Sie heißt es ganz am Ende: „Ja, er will ganz nach oben, er muss es wohl aber nicht. Reicht das?“ Herr Laschet, reicht das?

Lassen Sie sich überraschen. Die Zeit, in der es nur um den ich-bezogenenEhrgeiz von Einzelnen geht, ist vorbei. Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zu sein, ein so großes Land voller Gegensätze zu regieren und zusammenzuhalten, ist anspruchsvoll. Für diesen Kurs von Maß und Mitte kämpfe ich auch für die Bundes-CDU.