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Nukleare AufrüstungWeltweite Renaissance der Atomwaffen

Lesezeit 4 Minuten

Kann nukleare Sprengköpfe transportieren: Chinesische Interkontinentalrakete von Typ Dong Feng 41.

Berlin – Das Internationale Stockholmer Friedensforschungsinstitut geht davon aus, dass die nukleare Aufrüstung in den nächsten zehn Jahren an Fahrt gewinnen wird. Das geht aus dem Sipri-Jahrbuch 2022 hervor, das an diesem Montag veröffentlicht wird. Die Analyse fasst den aktuelle Stand von Rüstung, Abrüstung und internationaler Sicherheit zusammen.

Zwar sei die Zahl der Atomsprengköpfe im Jahr 2021 leicht gesunken. Gleichzeitig seien die neun nuklear bewaffneten Staaten USA, Russland, Großbritannien sowie Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea aber dabei ihre Atomwaffenarsenale zu modernisieren, stellen die Forscher fest.

Nuklearmächte verstärken ihre Arsenale

„Alle nuklear bewaffneten Staaten vergrößern oder modernisieren ihre Arsenale, und die meisten verschärfen ihre nukleare Rhetorik und die Rolle, die Atomwaffen in ihren militärischen Strategien spielen“, sagt Wilfred Wan, Direktor des Sipri-Programms für Massenvernichtungswaffen. Dies sei ein sehr beunruhigender Trend.

Es gebe klare Anzeichen dafür, so der Expertenbericht, dass die Reduzierung der weltweiten Atomwaffenarsenale seit dem Ende des Kalten Krieges beendet ist: „Wenn die nuklear bewaffneten Staaten keine sofortigen und konkreten Abrüstungsmaßnahmen ergreifen, könnte der weltweite Bestand an nuklearen Sprengköpfen bald zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg ansteigen“, sagte Wan.

Keine Verhandlungen über Rüstungskontrolle

Tatsächlich sind die bilateralen Gespräche zwischen Russland und den USA über strategische Stabilität wegen des Krieges in der Ukraine aber ins Stocken geraten. Und keiner der übrigen Atomwaffenstaaten führt derzeit Verhandlungen über Rüstungskontrolle.

Von dem Gesamtbestand der weltweit 12705 Sprengköpfe zu Beginn des laufenden Jahres befanden sich laut Sipri etwa 9440 Sprengköpfe in militärischen Lagerbeständen für einen möglichen Einsatz. Davon waren schätzungsweise 3732 Sprengköpfe mit Raketen und Flugzeugen im Einsatz, und etwa 2000 – fast alle von Russland oder den USA – wurden in hoher Alarmbereitschaft gehalten.

Russland und USA verfügen über 90 Prozent der Atomwaffen

Dass der Gesamtbestand an Sprengköpfen in Russland und den USA im Jahr 2021 weiter zurückgegangen ist, ist der Demontage von Sprengköpfen geschuldet, die bereits vor einigen Jahren aus dem militärischen Dienst genommen wurden. Die Anzahl der Sprengköpfe in den nutzbaren militärischen Beständen beider Länder blieb im vergangenen Jahr relativ stabil.

Russland und die USA verfügen zusammen über rund 90 Prozent aller Atomwaffen. Die anderen sieben atomar bewaffneten Staaten sind entweder dabei, neue Waffensysteme zu entwickeln oder in Dienst zu setzen, oder haben dies angekündigt. China erweitert sein Atomwaffenarsenal beträchtlich.

Nordkorea: Militärisches Nuklearprogramm hat Priorität

Satellitenbildern zufolge sind derzeit mehr als 300 neue Raketensilos in Bau. Beobachter gehen davon aus, dass nach der Lieferung neuer mobiler Trägerraketen und eines U-Boots im Jahr 2021 den Einsatzkräften mehrere zusätzliche Nuklearsprengköpfe zugewiesen werden.

Auch Nordkorea räumt seinem militärischen Nuklearprogramm weiterhin Priorität als zentrales Element der nationalen Sicherheitsstrategie ein. Obwohl Pjöngjang voriges Jahr keine nuklearen Testexplosionen oder Tests mit ballistischen Langstreckenraketen durchgeführt hat, schätzt Sipri, dass das Land inzwischen bis zu 20 Sprengköpfe zusammengebaut hat und über genügend spaltbares Material für insgesamt 45 bis 55 Sprengköpfe verfügt.

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Großbritannien gab bekannt, die Obergrenze für seinen gesamten Sprengkopfbestand zu erhöhen und damit eine jahrzehntelange Politik der schrittweisen Abrüstung rückgängig zu machen. London kritisierte China und Russland wegen mangelnder nuklearer Transparenz und kündigte gleichzeitig an, keine Zahlen mehr zu den einsatzfähigen Atomwaffenbeständen, den stationierten Sprengköpfen oder den stationierten Raketen des Landes zu veröffentlichen.

Bekenntnis ohne Wert?

Anfang des Jahres haben die mit Atomwaffen ausgestatteten ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen – China, Frankreich, Russland, das Vereinigte Königreich und die USA – in einer gemeinsamen Erklärung zwar bekräftigt, dass „ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf“. An den Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen von 1968 wolle man ebenso festhalten wie am Ziel einer Welt ohne Atomwaffen.

Trotzdem bauen alle ihre Atomwaffenarsenale weiter aus oder modernisieren sie und erhöhen den Stellenwert von Atomwaffen in ihren Militärstrategien. Russland hat im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sogar offen mit einem möglichen Einsatz von taktischer Atomwaffen gedroht. Sipri-Direktor Dan Smith zieht ein alarmierendes Fazit: „Das Risiko des Einsatzes von Atomwaffen scheint heute höher zu sein als jemals zuvor seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges.“ (tl)