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Anschlag auf Donald TrumpWas lief beim Secret Service falsch?

Lesezeit 6 Minuten
13.07.2024, USA, Butler: Der republikanische Präsidentschaftsbewerber und ehemalige Präsident Donald Trump wird bei einer Wahlkampfveranstaltung in Butler, Pennsylvania, von Agenten des US-Geheimdienstes Secret Service umringt. Foto: Evan Vucci/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Nach den Schüssen: Secret-Service-Leute umringen Trump.

Der Secret Service steht unter Druck: Wie war es möglich, dass man den späteren Schützen auf einem Dach übersehen konnte?

von Marah Bley

Nach dem Anschlag auf den früheren US-Präsidenten Donald Trump braut sich ein Sturm über den Sicherheitskräften des Secret Service zusammen, die den republikanischen Kandidaten an der Wahlveranstaltung in Pennsylvania hätten schützen sollen. Ein „grobes Versagen“ der Personenschützer  nennt Matt Shoemaker den Lapsus gegenüber „Business Insider“. Shoemaker ist früherer Geheimdienstoffizier und republikanischer Politiker. Es sei unglaublich, dass man einen mutmaßlichen Schützen auf einem Dach habe übersehen können, der eine klare Schusslinie zum Podium gehabt habe.

Tatsächlich wirft der Ablauf des versuchten Attentats auf Donald Trump Fragen zum Sicherheitsdispositiv auf, denn mit einem solchen Versuch musste jederzeit gerechnet werden. Trump gehört zu den umstrittensten Figuren, welche die amerikanische Politik je hervorgebracht hat; die einen verehren ihn, die anderen hassen ihn. Zudem ist das Land stark polarisiert: Viele Republikaner wie auch Demokraten haben die Präsidentschaftswahl zum manichäischen Kampf von „Gut“ gegen „Böse“ stilisiert. Die Verfügbarkeit von Schusswaffen ist in den USA zudem sehr hoch.

Ein Attentatsversuch wie aus einem Hollywood-Drehbuch

Der Ablauf des Anschlagsversuchs, wie er sich aus Aussagen von Zeugen und Behördenvertretern rekonstruieren lässt, war so prototypisch, er könnte aus einem Hollywood-Drehbuch stammen: Der Schütze klettert kurz nach Beginn von Trumps Rede mit einem halbautomatischen Sturmgewehr auf das Dach eines einstöckigen Gebäudes, das gut 120 Meter von der Rednerbühne entfernt ist.

Trump hat die Bühne mit einstündiger Verspätung betreten, etwas nach 18 Uhr Ortszeit. Rund zehn Minuten nach dem Start der Veranstaltung – Trump hat soeben begonnen, über illegale Zuwanderung zu sprechen – feuert der Attentäter eine Serie von Schüssen auf den Präsidentschaftskandidaten ab.

Anwesende berichten, sie hätten Knallgeräusche gehört, wie man sie von Feuerwerk kenne. Viele realisieren erst nach einigen Sekunden, dass auf Trump und das Publikum geschossen wird. Ein Schuss trifft Trump am rechten Ohr und verletzt ihn leicht. Der Republikaner duckt sich zu Boden und wird sofort von Personenschützern umringt, die ihn vor weiteren Schüssen abschirmen.

Eine Kugel des Attentäters tötet jedoch einen Zuschauer, der hinter Trump in der Schusslinie steht. Zwei weitere Personen im Publikum werden gemäß Behördenangaben ernsthaft verletzt. Die Scharfschützen des Secret Service erwidern das Feuer des Angreifers umgehend und töten ihn.

„Was machten unsere Scharfschützen vorher?“

Nach etwa einer Minute stehen Trump und seine Bodyguards auf. Der Präsidentschaftskandidat reckt mehrfach die Faust in die Höhe und wird unter „USA“-Rufen des Publikums zu seiner Limousine eskortiert. Bilder und Videos von Zuschauern zeigen den leblosen Körper des Attentäters auf dem Gebäudedach.

Dieses Gebäude, auf dem sich der Schütze einrichtete, gehört dem Unternehmen American Glass Research und befindet sich außerhalb des Sicherheitsperimeters der Wahlkampfveranstaltung. Das erklärt in Teilen, weshalb der 20-jährige Attentäter überhaupt ein Gewehr mit sich führen konnte. Besucher von Trumps Veranstaltungen müssen normalerweise, ähnlich wie am Flughafen, eine Sicherheitskontrolle und einen Metalldetektor passieren, bevor sie Einlass finden.

Die Sicherheitsmaßnahmen des Secret Service beschränken sich aber nicht bloß auf diesen engen Perimeter. In einem Interview des Fernsehsenders Fox News wies Matt Shoemaker darauf hin, dass das Gebäude, auf dem sich der Schütze befand, freistehend und von offenem Gelände umgeben war. „Das wirft natürlich die Frage auf: Was machten unsere Scharfschützen vorher?“

Schütze war beim Erklettern des Dachs klar zu sehen

Ein Besucher der Veranstaltung berichtete dem britischen Fernsehsender BBC bereits am Samstagabend, dass er und andere Personen den Schützen gesehen hätten, wie er auf das Dach geklettert sei – und zwar mehrere Minuten bevor die Schüsse fielen. Man habe klar gesehen, dass der Mann bewaffnet sei, und habe Polizisten darauf hingewiesen. Ebenso habe man mit Gesten versucht, die Personenschützer, die sich mit Ferngläsern auf einem Scheunendach eingerichtet und in Richtung des Zuschauers geblickt hätten, auf die Gefahr aufmerksam zu machen.

Der versuchte Anschlag auf Trump ist ein Albtraum für den Secret Service und wird Konsequenzen nach sich ziehen. Zwar arbeitet der Personenschutz an Anlässen stets mit anderen Sicherheitskräften zusammen, etwa mit den örtlichen Polizeikräften oder mit Sprengstoffexperten des Militärs. Der Secret Service koordiniert und verantwortet diese Einsätze jedoch.

Es sei „überraschend“, sagte ein Vertreter des FBI an einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz in der Nacht auf Sonntag, dass der Attentäter mehrere Schüsse habe abgeben können, bevor der Secret Service ihn ausgeschaltet habe. Das FBI teilte mit, dass es die Untersuchung leiten werde.

Die FBI-Untersuchung dürfte auf den Sicherheitsplan für den Anlass fokussieren. Der Sicherheitsexperte Donald Mihalek, ein früherer Agent des Secret Service, sagte dem „Wall Street Journal“, dass die Personenschützer Veranstaltungsorte jeweils bereits im Vorfeld des Anlasses inspizierten, um einen solchen Plan aufzusetzen. So könne man das nötige Personal festlegen und mit eigenen Scharfschützen nahestehende Gebäude überwachen.

Freiluft-Anlässe, sagte Mihalek, seien jedoch eine Herausforderung, weil man ja keine ganzen Städte abriegeln könne. Während der Wahlkampagne komme es zudem oft zu kurzfristigen Terminverschiebungen seitens der Kandidaten, was die Vorbereitungszeit verkürze.

Chefin des Secret Service im Zentrum der Kritik

Auch die Politik hat sich bereits eingeschaltet. Mike Johnson, der Mehrheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, kündigte am späten Samstagabend (Ortszeit) auf der Nachrichtenplattform X eine „umfassende Untersuchung der tragischen heutigen Ereignisse“ an. Man werde Vertreter der Sicherheitsdienste so bald wie möglich vor die parlamentarischen Ausschüsse beordern.

Kimberly Cheatle, seit 2022 Direktorin des Secret Service, steht im Zentrum der Kritik, die nun auf den Dienst einprasselt, insbesondere in den sozialen Netzwerken. Auch der Tesla-Chef Elon Musk – der auf seiner Nachrichtenplattform X am Samstagabend seine offizielle Unterstützung für Trumps Präsidentschaft bekanntgab und dort eine sehr große Reichweite hat – rückte Cheatle, die zuvor Sicherheitschefin des Nahrungsmittelkonzerns Pepsico war, nach dem Attentat in den Fokus.

„Bevor sie die Verantwortung für den Schutz des Präsidenten erhalten hat, hatte sie also Cheetos-Packungen bewacht“, schrieb Musk. Cheatle war jedoch nur für drei Jahre bei Pepsi tätig, sie ist eine langjährige Veteranin des Secret Service. Präsident Joe Biden berief sie 2022 als Direktorin zurück zum Sicherheitsdienst. Er hatte Cheatle während seiner Vizepräsidentschaft kennengelernt, als sie Teil seines Schutzdispositivs war.

Der Secret Service wurde 1865 nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg gegründet, um gegen Falschgeld vorzugehen, das damals massenhaft in Umlauf gebracht wurde. Erst 1901, nach der Ermordung von Präsident William McKinley in Buffalo, erhielt der Secret Service auch die Aufgabe, für den Schutz des Präsidenten zu sorgen.

Heute schützt der Dienst neben dem Präsidenten und Vizepräsidenten auch eine Reihe anderer Personen. Dazu gehören die nächste Familie dieser Amtsträger, wichtige Staatsgäste und ernstzunehmende Präsidentschaftskandidaten in den letzten 120 Tagen vor der Wahl. Wie alle ehemaligen Präsidenten unterstand Donald Trump jedoch ohnehin bereits dem Schutz des Secret Service.

Dieser Artikel erschien zuerst in der „Neue Züricher Zeitung“.