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Analyse zur Lage in der UkraineWie lange die ukrainische Armee standhalten kann

Lesezeit 3 Minuten
Ukrainische Soldaten

Ukrainische Soldaten sitzen auf gepanzerten Mannschaftstransportern. 

Berlin – Bereits wenige Stunden nach dem Beginn der Angriffe auf die Ukraine teilte die russische Armee am Donnerstag mit, man habe die Luftabwehr sowie die Luftwaffenstützpunkte des Nachbarlandes zerstört. „Die militärische Infrastruktur der Luftwaffenstützpunkte der ukrainischen Streitkräfte wurde außer Gefecht gesetzt“, zitierten russische Nachrichtenagenturen das Verteidigungsministerium. Sollte eine ukrainische Gegenwehr tatsächlich so schnell im Keim erstickt werden können?

Militärisch könne es die Ukraine mit Russland nicht aufnehmen, sagt Dan Smith, der Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri, im Gespräch mit unserer Redaktion. Auf diese Weise sei ein Krieg für Kiew nicht zu gewinnen. Erste Vorstöße der russischen Armee scheinen ihm recht zu geben: Sie geht mit Präzisionswaffen vor allem gegen die militärische Infrastruktur, Einrichtungen der Luftabwehr und Flugplätze vor. Parallel dazu laufen gezielte Hackerangriffe auf Computernetzwerke landesweit.

„Schockeffekt“

„Der gesamte Einmarsch lief nach einem Drehbuch. Man hat erst das Gefechtsfeld in der Nacht durch Cyberangriffe vorbereitet. Man hat versucht, die ukrainischen Kommandostrukturen mithilfe von weit reichenden Raketen und Artillerie zu zerstören. Und dann kam es zu einem kombinierten Ansatz an mehreren Stellen“, sagt Oberst Markus Reisner, Forscher an der Militärakademie Wiener Neustadt. Ziel sei es, einen Schockeffekt herzustellen, die ukrainischen Soldaten zu demoralisieren und die Handlungsfähigkeit der Armee einzuschränken. „Man sucht eine schnelle Entscheidung“, betonte der Militärexperte im Sender Puls 24.

Tatsächlich haben Waffenlieferungen aus dem Ausland die Schlagkraft der ukrainischen Armee in den vergangenen Jahren zwar deutlich erhöht – inzwischen verfügt sie unter anderem über TB2-Kampfdrohnen des türkischen Herstellers Bayraktar sowie britische und US-Panzerabwehrraketen. Ein Großteil der Waffen besteht aber immer noch zu großen Teilen aus zwar modernisierten, aber dennoch grundsätzlich veralteten Systemen aus sowjetischen Beständen. Militärexperten hatten schon im Vorfeld darauf hingewiesen, dass die Luftabwehr und die Marine die Schwachstellen der ukrainischen Armee seien.

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Sollte Russland seine Kräfte in voller Stärke einsetzen, habe die Ukraine dem wenig entgegenzusetzen, sagt Reisner. Die russischen Streitkräfte würden massiv Artillerie- und Raketensysteme einsetzen, die in einer Qualität verfügbar sind, die nicht einmal westliche Armeen hätten.

Wenn die Einsatzführung der russischen Seite durch die erfolgten „Enthauptungsschläge“ derart effektiv sei, dass es zu einer Demoralisierung der ukrainischen Streitkräfte komme, dann ließen sich mit relativ wenigen Truppen relativ rasch große Geländegewinnen erzielen. Wie lange die ukrainische Seite Widerstand leisten könne, sei derzeit nicht abzusehen.

Militärexperten weisen darauf hin, dass, sollte Russland versuchen, nach einer Invasion des Landes das Territorium anschließend zu halten, dies zu einem kostspieligen „Zermürbungskrieg“ führen könnte – vor allem, wenn westliche Waffen ins Land kämen.

Vier Mal mehr Soldaten

Vergleicht man die Militärmacht der Ukraine mit der von Russland, so zeigt sich eine klare Überlegenheit aufseiten Russlands. Derzeit beträgt die Truppenstärke Russlands laut Statista Research Department mit rund 850000 aktiven Kräften mehr als das Vierfache der Ukraine. Auch hinsichtlich der Ausstattung mit Militärfahrzeugen wie Panzern, Raketenwerfern oder Kampfflugzeugen gewinnt Russland den Vergleich mit seinem Nachbarn deutlich. Daran wird sich auf absehbare Zeit auch nichts ändern.

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Seit 2014, dem Jahr der Krim-Annektion, hat Kiew mehr als zwei Milliarden Dollar aus den USA für Rüstung erhalten. Die Militärausgaben haben sich laut Sipri-Zahlen fast verdoppelt: 2020 gab die Ukraine umgerechnet knapp sechs Milliarden Dollar aus, was aber immer noch nur einem Zehntel der Ausgaben Russlands entspricht.

Auch der Personalbestand wurde erhöht und soll gemäß eines neuen Dekrets von Präsident Wolodimir Selenski bis 2025 um 100000 Mann anwachsen. Ob es nach dem russischen Militärschlag dazu überhaupt noch wird kommen können? (mit dpa)