Alexander Graf Lambsdorff wird neuer Botschafter in der russischen Hauptstadt. Trotz des durch den Krieg stark abgekühlten Verhältnisses blickt der 56-Jährige mit Freude und Zuversicht auf seine neuen Aufgaben.
Bonner geht nach MoskauAlexander Graf Lambsdorff – Botschafter der Zeitenwende?
Als im Dezember bekannt wurde, dass Alexander Graf Lambsdorff neuer Botschafter in Moskau werden soll, waren manche überrascht. Der bekannte FDP-Außenpolitiker fehlte seit Beginn des russischen Angriffskrieges in kaum einer Talk-Show. Und er vertrat eine klare Position. Deutsche Waffenlieferungen hielt er für richtig, die anfängliche Zurückhaltung von Kanzler Olaf Scholz in der Frage für falsch, genauso wie die deutsche Russland-Politik der letzten Jahrzehnte.
Ausgerechnet er soll jetzt der wichtigste Diplomat Deutschlands in Moskau sein? Womöglich ist er es gerade wegen seiner eindeutigen Haltung geworden. Lambsdorff, könnte man sagen, ist die personifizierte neue Russland-Politik. Ein Botschafter der Zeitenwende?
Wenn man ihn dieser Tage in seinem Bundestagsbüro in Berlin trifft, erlebt man einen Mann, der sich auf die neue Aufgabe freut, als hätte er im Leben nie etwas anderes vorgehabt. Dabei haben sich in seinem langen Politikerleben schon öfter Türen geöffnet – und auch wieder geschlossen. Mehrfach schon wurde er als möglicher Außenminister gehandelt, dann als Botschafter in Washington, was dem überzeugten Transatlantiker wohl näher gelegen hätte als Moskau. Es kam bekanntlich nicht dazu.
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Der 56-Jährige aus Bonn hat Neuere Europäische Geschichte in Bonn und Washington studiert. Er absolvierte eine Attachéausbildung im Auswärtigen Amt. Von 2004 bis 2017 war er Parlamentarier im EU-Parlament, 2014 sogar Spitzenkandidat der Liberalen bei der Europa-Wahl. Seit 2017 sitzt er für die FDP im Bundestag. Bei seinem Fach, der Außenpolitik, ist er geblieben, obwohl es lange als wenig prestigeträchtig galt. Die Schlagzeilen deutscher Zeitungen werden von innenpolitischen Themen bestimmt. Vieles, was Lambsdorff schon vor Jahren zu Russland meinte und sagte, wurde deshalb kaum zur Kenntnis genommen.
Schon 2019 fand Lambsdorff, dass Deutschland „keine besonderen Beziehungen“ zu Russland pflegen sollte. Den Bau von Nordstream 2 bezeichnete er schon lange vor dem Ukraine-Krieg als „geopolitische Dummheit“. Heute sagt er diplomatisch, dass es wichtig sei, den Gesprächsfaden mit Russland trotz des russischen Angriffs nicht abreißen zu lassen. Wie will er das machen?
Familiäre Bande nach Russland
Seine Zuversicht für die Aufgabe, die manch anderer derzeit eher als Strafversetzung empfinden würde, erklärt sich am besten aus Lambsdorffs Familiengeschichte. Sein eigentlicher Name Alexander Sebastian Léonce Freiherr von der Wenge Graf Lambsdorff verweist auf seine Familiengeschichte. Seine Vorfahren gehörten einem deutsch-baltischen Adelsgeschlecht aus einer Gegend im heutigen südlichen Estland an. Sein Ururgroßonkel Wladimir Lamsdorf war von 1900 bis 1906 sogar russischer Außenminister, der Vater in den 80er-Jahren Kulturattaché in der deutschen Botschaft in Moskau. Viele seiner Vorfahren waren in den russischen Streitkräften und im russischen Staatsapparat aktiv.
Es gebe bei ihm „eine Grundzuneigung zu Land und Leuten“, sagt Lambsdorff. Mit 15 Jahren reiste er zum ersten Mal zum Besuch zu seinen Eltern nach Moskau und bereiste anschließend die damalige Sowjetunion. Viele Eindrücke von damals hat er bis heute nicht vergessen.
Er erinnert sich an die Begegnung mit einem Künstler, der sich der kommunistischen Künstlervereinigung nicht angeschlossen hatte und deshalb in ständiger Angst lebte, abgehört zu werden. „Diese Angst des Künstlers, frei zu sprechen, habe ich nie vergessen.“ Er erinnert sich auch daran, wie er graue Sowjet-Bauten damals als bedrückend empfand. Und trotzdem schimmerte durch die sozialistische Tristesse immernoch die alte russische Kultur durch.“ Er liebe bis heute die russische Literatur, Musik und Kunst. Von einem zweimonatigen Russisch-Sprachkurs, den er als junger Mann einst in Nowosibirsk absolvierte, sei allerdings viel zu wenig hängen geblieben.
Entsetzt von Putins Politik
Lambsdorff trennt zwischen Putins Politik, die ihn entsetzt, und dem, was Russland außerdem ausmacht. Daran will er anknüpfen, wenn er in diesem Sommer nach Moskau aufbricht. Es wird zweifellos auch ein Abenteuer. Lambsdorff will seine alten Kontakte in der russischen Zivilgesellschaft wieder neu beleben, sich viel mit Botschaftern anderer Länder austauschen. Was ihn genau erwartet und wer seine Gesprächspartner sein können, vermag er noch nicht einzuschätzen.
Vor einigen Monaten verwies Putin als Reaktion auf die Schließung russischer Konsulate in Deutschland 20 deutsche Diplomaten des Landes. Die Botschaft in Moskau gehört mit mehr als 300 Mitarbeitern zu den größten Auslandsvertretungen. Lambsdorff rechnet nicht damit, dass diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Russland irgendwann ganz zum Erliegen kommen könnten. „Deutschland und Russland pflegen seit 500 Jahren diplomatische Beziehungen. Sie haben selbst die dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges überdauert.“
Seit einigen Tagen liegt das russische Einverständnis, das sogenannte Agrément vor. Die Gastländer müssen der Entsendung des Botschafts-Personals ihre Zustimmung geben. Lambsdorff ist also in Moskau willkommen. Und was packt er in den Koffer? „Schlittschuhe und einen Eishockeyschläger“, sagt er ohne lange darüber nachzudenken. Aktuelle Bücher über Russland natürlich auch. Viel Besuch aus Deutschland erwartet er in den nächsten Monaten wohl nicht. Es könnte somit vorerst ein einsamer Posten werden.