Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Ende der PriorisierungWie man in NRW jetzt an einen Corona-Impftermin kommt

Lesezeit 6 Minuten

In Meerbusch konnten sich am Wochenende bei einer Drive-in-Impfaktion fast 3000 Menschen ihre Dosis abholen.

  1. Seit Montag kann sich jeder, der möchte, um einen Termin für eine Corona-Impfung bemühen.
  2. Doch Impfzentren, Haus-, Kinder- und Betriebsärzte in NRW warten womöglich noch wochenlang auf mehr Impfstoff.
  3. Wir geben einen Überblick

Ein knappes halbes Jahr nach den ersten Corona-Impfungen in Deutschland gibt es keine Priorisierung mehr: Die streng festgelegte Reihenfolge nach Risikogruppen ist seit Montag bundesweit aufgehoben. Damit haben alle ab zwölf Jahren nun zumindest theoretisch die Möglichkeit, einen Impftermin zu bekommen. Allerdings ist Geduld gefragt – auch in NRW. Mediziner und Vertreter der Kommunen sowie Betriebsärzte, die seit Montag ebenfalls mitimpfen dürfen, dämpften entsprechend die Erwartungen. Ein Überblick über die Lage.

Was sagen die Hausärzte in NRW über den ersten Tag?

Der große Ansturm auf die Hausarztpraxen ist laut Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Nordrhein, ausgeblieben: „Die Mitarbeiter berichten, dass sie ungefähr genauso viele Anrufe bekommen wie jeden Montag.“ Das bedeute zwar ein unverändert hohes Anrufaufkommen und immer wieder auch Patienten, die aggressiv würden. Aber: „Dass es nicht genügend Impfstoff gibt, scheint sich mittlerweile herumgesprochen zu haben“, sagte Funken.

Er rät: „Wer einen Termin vereinbaren will, sollte seinen Hausarzt kontaktieren.“ Gleichzeitig bat er die Impfwilligen um Geduld und Solidarität. „Der Arzt kann Ihnen jetzt noch keine Antwort darauf geben, wie viel Impfstoff er in der nächsten Woche bekommt“, betonte Funken. „Trotzdem sollte man sich nicht bei zig Ärzten auf die Liste setzen lassen. Das führt am Ende nur zu Frust bei allen.“

Auch Anke Richter-Scheer, Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe, erklärte: „Die Nachfrage nach Impfterminen in Hausarztpraxen ist seit Wochen immens.“ Wie sich die Situation nach der Aufhebung der Priorisierung entwickele, müsse sich erst zeigen. „Wir können nur um Geduld bitten. Die Praxisteams arbeiten alle an ihrer Kapazitätsgrenze“, so Richter-Scheer. Patienten rät sie, sich online über das Impf-Prozedere der eigenen Hausarztpraxis zu informieren: „Viele Praxen bieten Möglichkeiten zur Online-Terminanfrage oder digitale Buchungssysteme an. So kann man sich registrieren lassen, ohne das Telefonaufkommen in den Praxen zusätzlich zu erhöhen.“ Bundesweit sei der Impfstoff ebenfalls immer noch zu knapp für die hohe Nachfrage und werde weiter zu unzuverlässig geliefert, sagte Ulrich Weigelt, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, der Funde Mediengruppe. Gleichzeitig werde mit der Aufhebung der Priorisierung und der Ankündigung der Kinder- und Jugendimpfungen die Nachfrage noch zunehmen. Weigelt forderte, dass sich die Ankündigungen der Politik stärker an der tatsächlichen Umsetzbarkeit der Impfkampagne orientieren sollten und weniger am beginnenden Bundestagswahlkampf.

Wie läuft der Start der Impfungen in Betrieben?

Schleppend. Nur etwa 100 Dosen kann ein Betriebsarzt zum Start verimpfen. In einem Konzern mit 10000 Mitarbeitern und sechs Ärzten also zunächst nur rund 600, rechnet Wolfgang Panter, Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte, vor. Laut Panter kommen die Betriebe nicht umhin, zunächst eine Priorisierung vorzunehmen, um Beschäftigten, die besonders gefährdet seien, früher schützen zu können. „Diese Reihenfolge muss im Betrieb vernünftig kommuniziert werden“, sagte Panter unserer Redaktion. Die Impfbereitschaft unter den Beschäftigten sei mit rund 70 Prozent hoch. Aber ein Ende des Mangels sei leider nicht in Sicht, obwohl die Betriebsärzte gleich loslegen könnten. Neueste Informationen aus dem Bundesgesundheitsministerium deuteten darauf hin, dass „wohl bis Ende Juni noch keine Entspannung“ in Sicht sei, bedauerte Panter.

So richtig losgehen könne es bei den meisten Betriebsärzten wohl erst an diesem Dienstag, sagte die Regional-Vorsitzende Nordrhein-Süd des Betriebsärzte-Verbandes, Tanja Menting. Bei einer Lieferankündigung im Laufe des Montagnachmittags ohne Uhrzeit könne eine Impfaktion an dem Tag nicht geplant werden, zumal der Impfstoff von Biontech/Pfizer vor dem Impfen aufbereitet und dann zügig gespritzt werden müsse.

Der Regional-Vorsitzende Nordrhein-Nord des Verbandes, Thomas Meier, berichtete von einer kurzfristigen Verschiebung einer Lieferung auf Dienstag in seinem Bereich. Es sei ein riesiger Ansturm durch die Beschäftigen auf die wenigen Termine zu erwarten. „Das ist wie bei den Tickets für ein Madonna-Konzert. In zwei Minuten ist alles weg“, sagte Meier. Er befürchtet, dass in der kommenden Woche noch weniger Impfstoff als die rund 100 Impfdosen je Betriebsarzt zur Verfügung stehen werde, die für diese Woche angekündigt worden seien.

Der Vorsitzende des Regionalverbandes Westfalen-Lippe, Friedemann Bohlen, berichtete hingegen von höheren Belieferung als ursprünglich angenommen. In einem konkreten Fall hätten zwei Betriebsärzte bestellt und knapp 600 Impfdosen bekommen. Deshalb könne das Werkarztzentrum, das über 17000 Mitarbeiter in kleinen und mittelgroßen Unternehmen im Kreis Gütersloh betreue, zusätzlich zum Dienstag auch am Freitag impfen.

Wie ist die Lage in den Impfzentren im Land?

Laut Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) hat es in den Hotlines für die Impfzentren am Montag keinen großen Andrang gegeben. „Ein paar Leute haben angerufen und mussten vertröstet werden. Es wurde aber niemand aggressiv. Die Kommunikation im Vorfeld hat geholfen“, so eine Sprecherin der KVWL.

Aufgrund des Impfstoffmangels gibt es in Impfzentren gerade keine freien Termine. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) rechnet deshalb auch in den nächsten Tagen nicht mit einem „Ansturm“ auf die Buchungssysteme. „Es ist schlichtweg nichts verfügbar“, so ein Sprecher. Die KVNO erwartet, dass sich die Nachfrage weiter auf die niedergelassenen Ärzte konzentriert.

In den NRW-Impfzentren wird es laut Landesgesundheitsministerium bis mindestens Mitte Juni nur Zweitimpfungen geben können. Wann in den Zentren wieder Erstimpfungen stattfinden können, ist offen.

Wie sieht es mit den Kinder-und Jugendimpfungen aus?

Ein Teil der Kinderärzte ist offen für die Immunisierung von allen impfwilligen Zwölf- bis 15-Jährigen, ein anderer Teil will sich streng an einer zu erwartenden Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) orientieren und denkt zunächst nur daran, Kinder mit schweren Erkrankungen zu impfen. Sie alle sind unzufrieden mit dem Impfstoffmangel (s. nächste Seite dieses Artikels). Da es mangels ausreichender Datenbasis keine generelle Impfempfehlung für Kinder ab zwölf Jahren gebe, sei der individuelle Beratungsbedarf in den Praxen groß, so eine Sprecherin des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.

Sowohl die Ärztekammer Westfalen-Lippe als auch Mediziner des Uniklinikums Münster begrüßen die Freigabe des Impfstoffes von Biontech/Pfizer für Zwölf- bis 15-Jährige. Ob mit oder ohne Impf-Empfehlung der Stiko: „Es ist für die Kinderärzte kein Problem, nach sorgfältiger Besprechung mit den Eltern und den Kindern zu impfen“, sagte Heymut Omran, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik. Es handele sich um eine zugelassene Impfung und werde nach sorgfältiger Abwägung nicht nur an schwer vorerkrankten, sondern auch an gesunden Kindern vorgenommen. Zwölf- bis 15-Jährige müssten der Impfung selbst zustimmen. Eine Immunisierung über ihren Willen hinweg sei nicht gestattet. (mit dpa/afp)

Ansturm auch in der Region

Kinderärzte im Rhein-Erft-Kreis berichten von großer Nachfrage – doch der Impfstoff sei nach wie vor knapp. „Es stehen bereits mehrere Hundert Namen auf unseren Wartelisten. Aber wir können die Impfungen nicht verteilen wie Gummibärchen“, sagt der Wesselinger Kinderarzt Daniel Ring. Es könnten nicht alle Anfragen erfüllt werden. Der Hürther Kinder- und Jugendarzt Andreas Petri plant plant für den heutigen Dienstag die ersten sieben Coronaschutzimpfungen in seiner Praxis. „Geimpft werden zunächst 16- und 17-jährige Jugendliche mit Vorerkrankungen“, sagt der 59-jährige Mediziner, der seit 22 Jahren als Kinderarzt tätig ist. „Wenn wir die ersten Erfahrungen mit der Impfung gemacht haben, dann werden wir auch mehr Kinder Impfen“, sagt Petri, vorausgesetzt natürlich, der Impfstoff stehe zur Verfügung. Ähnliche s ist von Ärzten in andern Bereichen der Region zu hören.

Für den Kölner Kinderarzt Jürgen Krebber hat das Impfabenteuer mit einer Nullrunde begonnen. Vorige Woche hatte er seinen persönlichen Identifizierungscode zur Bestellung von Impfstoff erhalten. Doch dann erfuhr er von seinem Apothekenlieferanten die zugesagte Liefermenge: Nichts. Eine schlechte Nachricht für all jene, die auf seiner Warteliste stehen und auf eine Impfung gegen das Coronavirus hoffen. „Bei uns sind das Kinder mit chronischen Krankheiten“, sagt er. In den vergangenen Wochen habe er zahlreiche Impfbescheinigungen für deren Eltern ausgestellt, mit denen diese dann bei der Ethikkommission um eine bevorzugte Impfung bitten konnten. Immerhin ein kleiner Schutz für die erkrankten Kinder. Auch für die kommende Woche hat ihm sein Lieferant keine großen Hoffnungen gemacht. (ant/tho)