Auf seiner Lesetour stellt Wladimir Kaminer sein neues Buch „Mahlzeit! Geschichten von Europas Tischen“ im Gloria Theater vor.
Wladimir Kaminer im Kölner Gloria„Ich fühlte mich wie eine alte Schildkröte“
„Meine lieben Kölner:innen, ich bin wieder da!“ begrüßt Wladimir Kaminer sein Publikum in gleichermaßen grammatikalisch und politisch korrektem Gender-Deutsch. Der Satz ist nicht einfach so daher gesagt, denn schon lange bestreitet der 1967 in Moskau geborene Wahlberliner seine erste Leseshow des Jahres traditionell im Kölner Gloria Theater.
Köchen über die Schulter geschaut
Diesmal gibt es sogar ein Update, denn statt bisher am dritten, findet das Gastspiel bereits am zweiten Januar statt. Da nimmt man es Kaminer umso mehr ab, wenn er sagt: „Für mich ist das immer ein wichtiger Punkt, das neue Jahr mit Kölnern zu beginnen.“ Das Publikum nimmt’s mit Begeisterung zur Kenntnis. „Mahlzeit! Geschichten von Europas Tischen“ lautet der Titel der aktuellen Lesetour.
Neben dem titelgebenden Buch hat er auch noch eine weitere Neuerscheinung von 2024 im Gepäck, eine „Gebrauchsanweisung für Nachbarn“, die er gemeinsam mit Martin Huyn schrieb. Wie so ziemlich alles, was aus Kaminers Feder fließt, sind seine Texte stark vom eigenen Leben beeinflusst. Die Inspirationen für „Mahlzeit“ schöpfte er etwa aus der Dokumentarfilmreihe „Kaminer Inside: Wie isst Deutschland?“, die er für 3Sat drehte. Da durfte er den bekanntesten Köchen des Landes über die Schulter schauen, sich über neue Food-Trends informieren und natürlich beim Zubereiten helfen.
Was sich bisweilen deutlich weniger glamourös gestaltete als erwartet. Etwa wenn es um die Zubereitung größerer Mengen Löwenzahnsalat ging. „Am Ende dieser Drehtage fühlte ich mich wie eine alte Schildkröte. Soviel Löwenzahn hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesammelt – geschweige denn gegessen.“ Solche eingestreuten Anekdoten bestimmen den Abend und sind Wladimir Kaminers große Stärke. Zwar verspricht er, aus beiden Büchern jeweils einen Text zu lesen, doch kommt er dabei stets „vom Hölzchen aufs Stöckchen“.
Immer wieder fühlt er sich zu Einschüben und Erklärungen genötigt, so dass man als Zuhörer schon nach kürzester Zeit nicht mehr weiß, ob Kaminer gerade aus dem Buch vorliest oder ob der Text ihn gerade wieder an eine ganz andere Episode erinnert hat. Doch das dürfte kaum jemanden im Publikum stören, denn die eingestreuten, unglaublich witzigen Schilderungen sind quasi Kaminers Markenzeichen. Und das Buch kann man ja später immer noch lesen.
„Gebrauchsanweisung für Nachbarn“
Da will er etwa einen Text über die Küche der DDR vorlesen und sinniert über seine 28-jährige Tochter, die die „Ostpro“-Messe besucht und ein Faible für die Küche der DDR hat – die sie aber nie persönlich erlebt hat, sondern nur aus Filmen wie „Goodbye Lenin“ kennt. Von der Tochter schwenken seine Gedanken hinüber zum 24-jährigen Sohn, der Kunst studiert und den öffentlichen Raum gerne mal mit illegalen Graffiti verschönert. Bei Kaminer klingt das dann so: „Er hat schon halb Berlin bemalt. Er hat noch nicht den richtigen Platz für seine Kunst gefunden. Aber er ist ein guter Junge.“
Was die „Gebrauchsanweisung für Nachbarn“ angeht, konnte Kaminer auf zwei sehr unterschiedliche Erfahrungen zurückgreifen. Neben der Wohnung am Prenzlauer Berg (über einem nepalesischen Streetfood-Restaurant, was auch schon zur Folge hatte, dass sich eine Maus ins Arbeitszimmer des Schriftstellers verirrte) hat die Familie seit einigen Jahren einen Zweitwohnsitz in einem 148-Einwohner-Dorf in Brandenburg. Besonders zu Corona-Zeiten sei das praktisch gewesen, versichert er.
„Eineinhalb Meter Abstand sind wirklich kein Problem, wenn der nächste Nachbar einhundert Meter entfernt wohnt.“ Nicht nur das Publikum genoss einen gelungenen Abend. Auch Kaminer sparte nicht mit Lob für die Kölner: „Ihr seid so normale, vergnügte Menschen – die Welt ist doch noch zu retten.“
Wladimir Kaminer:„Mahlzeit! Geschichte von Europas Tischen“, Goldmann Verlag, 208 S. 22 Euro.
Martin Huyn, Wladimir Kaminer: „Gebrauchsanweisung für Nachbarn“, Piper Verlag, 224 S., 16 Euro.